Zoff im Kapitalparadies
Unternehmerwillkür in Polens Sonderwirtschaftszonen:
Chinesischer Auftragsfertiger bricht Streikrecht und wundert sich über Widerstand
Von Tomasz Konicz
[via Junge Welt]
Das Leben ist nicht so gut, wie die Werbesprüche suggerieren: In Polens Sonderwirtschaftszonen stehen grundlegende Menschenrechte sehr schnell zur Disposition, sobald die Renditeziele nicht erfüllt werden. Dies bekamen zuletzt 25 Arbeiterinnen des chinesischen Unternehmens Chung Hong in der Sonderwirtschaftszone Tarnobrzeg zu spüren: Sie wurden am 10. Juli ausgesperrt und fristlos entlassen, nachdem sie an einem legalen Streik teilgenommen hatten. Chung Hong ist ein sogenannter Auftragsfertiger, produziert also »billig« für namhafte internationale Markenkonzerne wie die südkoreanischen Elektronikgiganten Samsung und LG, ausgeschrieben: »Life's good«. In Tarnobrzeg läßt Chung Hong Computer-Mainboards und Fernseher von rund 200 Lohnabhängigen montieren.Der Bruch des Streikrechts markiert den bisherigen Höhepunkt der Auseinandersetzungen bei Chung Hong. Die Spannungen zwischen Management und Arbeiterschaft hatten seit Dezember 2011 zugenommen. Damals war es der libertären Gewerkschaft Arbeiterinitiative (Inicjatywa Pracownicza IP) gelungen, eine Betriebskommission zu gründen, der rund 80 Lohnabhängige beitraten. Da IP damit als einzige Gewerkschaft bei dem Auftragsfertiger vertreten war, erhielt sie gemäß dem polnischen Arbeitsrecht ein Vertretungs- und Verhandlungsmandat für die Gesamtbelegschaft.Arbeitsbedingungen und die Entlohnung bei Chung Hong sind selbst für polnische Verhältnisse schlecht. Um die 350 Euro Brutto erhalten die Beschäftigten im Schnitt. Viele werden mit Bussen aus den umliegenden von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Kleinstädten aus bis zu 100 Kilometer Entfernung zur Fertigungsstätte befördert. Die Frauen arbeiten dort im Zwei- bis Dreischichtbetrieb, wobei die Bedingungen in den zurückliegenden Jahren noch verschlechtert wurden: Die Überstundenzulagen wurden genauso abgeschafft wie das Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Zudem wurden mehr Leiharbeiter eingesetzt ein kurzfristig gemieteter Beschäftigter erhält rund 300 Euro im Monat.Mit Gewerkschaften hat das Unternehmen offenbar nichts am Hut. Die Geschäftsführung weigerte sich, mit der IP in Tarifverhandlungen zu treten. Als diese daraufhin eine Urabstimmung über einen Streik organisierte, entließ das Management den Aktivisten Krzysztof Gazda, der als »Rädelsführer« bezeichnet wurde. Die Gewerkschaft bezeichnete dies als Bruch der polnischen Arbeits- und Gewerkschaftsgesetze, etwa 40 Arbeiterinnen traten in den Ausstand. Daraufhin wurden sie ausgesperrt und anschließend 24 von ihnen gefeuert. Das Management sprach von einer »anarchistischen Attacke«, die nur »Chaos« verbreite und das »Investitionsklima in Polen verschlechtern« würde.Die Inicjatywa Pracownicza mobilisiert den Widerstand. In den vergangenen Wochen gab es mehrere Demonstrationen und Besetzungsaktionen. Außerdem wurde eine Informationskampagne gestartet, die das Bewußtsein der Bevölkerung für die Zustände in Polens Sonderwirtschaftszonen schärfen soll. Im Unterschied zu früheren rechtswidrigen Entlassungen von Gewerkschaftlern gelang es diesmal, eine öffentliche Diskussion anzustoßen.Die linksliberale stellvertretende Parlamentsvorsitzende Wanda Nowicka solidarisierte sich mit den Gewerkschaftern ebenso wie Politiker der polnischen Sozialdemokraten, die diese Vorkommnisse im europäischen Parlament thematisieren wollen. Solidaritätsaktionen wurden auch von Mitgliedern der libertären US-Gewerkschaft IWW und der deutschen FAU organisiert.Streikende und Gewerkschafter besetzten auch die Räumlichkeiten der für die Sonderwirtschaftszonen zuständigen Industrieentwicklungsagentur. Damit sollte auf die stillschweigende Komplizenschaft der rechtsliberalen polnischen Regierung mit den »Investoren« in den neoliberalen Exklaven aufmerksam gemacht werden. Die Administration von Premier Donald Tusk schwieg bislang zu dem Rechtsbruch in Tarnobrzeg. Tusk nahestehende Medien versuchten, die prominenten Unterstützer der geschaßten Arbeiterinnen als »Linksradikale« zu diskreditieren. Regierungsstellen blockten aktuelle Initiativen zur stärkeren staatlichen Kontrolle der arbeitsrechtlichen Situation in den Sonderwirtschaftszonen ab. Warschau zeigte sich statt dessen verstärkt bemüht, die Wirtschaftskooperation mit Peking (und damit auch Taipeh und Hongkong, denn dort haben viele »Shareholder« chinesischer Konzerne ihren Sitz; d. Red.) im Rahmen der Strategie »Go China« auszubauen: Unternehmen, die in Teilen Ostchinas bereits über Arbeitskräftemangel klagen, sollen allen Ernstes zu Investitionen in Polen animiert werden.Derzeit gibt es rund 14 Sonderwirtschaftszonen in Polen. Für die Unternehmen gilt dort eine nahezu vollständige Steuerbefreiung. Und außerdem gibt es staatliche Investitionszuschüsse. IP-Funktionäre erklärten, daß in der Zone Tarnobrzeg einzig die Arbeiter Steuern zahlen würden ihre Lohnsteuern. Diese Zonen fungieren auch als Wegbereiter der Prekarisierung der Arbeit. So werden die Lohnabhängigen durch immer wieder erneuerte Zeitverträge an der kurzen Leine gehalten. In dem Moment, in dem die arbeitsrechtlichen Beschränkungen dieser Zeitverträge greifen, werden die Beschäftigten entlassen und nach kurzer Zeit bei Bedarf erneut angestellt. Zwischen 2000 und 2011 stieg der Prozentsatz dieser prekären Arbeitsverträge in Polen von 5,8 auf 26,9 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse. Dies ist der Spitzenwert in Europa und liegt nahezu doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt.Am heutigen Dienstag berichten Arbeiterinnen über den Streik bei Chung Hong und die Situation in den polnischen Sonderwirtschaftszonen. Die von der FAU Berlin und vom Arbeitskreis Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West organisierte Solidaritätsveranstaltung findet um 19.30 Uhr im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin statt.
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