global news 2964 05-08-13:
Illusionen in der Tagesschau:
Geht es 76 % der Deutschen wirklich sehr gut oder mindestens gut?
[via jjahnke.net]
Da meldet die Tagesschau zur besten Abendstunde in die deutschen Wohnzimmer und Kneipen per Deutschlandtrend von Infratest dimap, 76 % betrachteten ihre persönliche wirtschaftliche Situation als sehr gut oder gut und nur 24 % als weniger gut bis schlecht. Das ist natürlich eine Steilvorlage für Frau Merkel. Die achtet ohnehin nur auf die Interessen der sich gut Fühlenden und sichert sich damit die Wiederwahl. Damit sich so viele angeblich sehr gut und gut fühlen, braucht es eine gewaltige Propagandamaschine. Sie ist mit fast täglichen Jubelmeldungen über die deutsche Wirtschaft und den Arbeitsmarkt bestückt und dann natürlich auch mit einem täglichen Schreckenspanorama über die Eurokrisenländer, quasi als Kontrastprogramm zu Deutschland. Und dann glauben so viele Menschen brav, auf einer Insel der Seeligen zu leben.
Man kann dieses Traumbild allerdings selbst von der amtlichen Statistik her hinterfragen. Allein ein Viertel aller Beschäftigten oder fast 8 Millionen Arbeitnehmer gehören zu den Niedriglöhnern, bei denen samt ihrer Familien man das Gutgefühl nicht erwarten sollte. Dabei hat Deutschland den höchsten Niedriglöhneranteil in Westeuropa (Abb. 15972).
Kein anderes Land in W-Europa ist bei den Arbeitseinkommen so gespalten und vertieft diesen Riß immer weiter. So stellt auch das amtliche Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das immerhin zur Bundesagentur für Arbeit gehört, für die gesamte EU fest:
"Fast ein Viertel aller deutschen Beschäftigten bezog im Jahr 2010 einen Niedriglohn, das heißt weniger als 2/3 des mittleren Lohns. Die auf Basis von Stundenlöhnen ermittelten Niedriglohnquoten weisen für Deutschland mit einem Anteil von 24,1 % an allen Beschäftigten den höchsten Wert unter den Vergleichsländern auf, wenn man einmal von Litauen (27,5 Prozent) absieht." (Siehe Abb. 18208).
Dann kommen zu den Niedriglöhnern und ihren Familien die rund 3 Millionen Arbeitslosen und ihre Familien. Und die vielen Rentner, deren Renten in der Nähe der Armutsgrenzen liegen.
Weiter gibt es fast 6 Mio Arbeitnehmer, die nur auf Zeitvertrag befristet arbeiten können und deren wirtschaftliche Zukunft schon deshalb unsicher sein muß. Seit 2002 ist die Zahl der Zeitverträge um 1,2 Mio oder 27 % gestiegen (Abb. 17847). Dabei zählt Deutschland in W-Europa zu den Ländern mit einem besonders hohen Anteil an befristeten Arbeitsverhältnissen (Abb. 15073).
Schon von allen diesen amtlich-statistisch erfaßten Übeln betroffen sein sollten weit mehr als die 24 % der Befragten, die der Umfrage zufolge meinen, daß es ihnen weniger gut bis schlecht geht. Warum räumen die Umfrageinstitute nicht ehrlicherweise ein, daß Menschen in der Regel bei Umfragen nicht gern zu erkennen geben, daß es ihnen schlecht geht. Das amerikanische "How do you do" wird auch in der Regel mit "fine" beantwortet. Und nach Brecht sieht man die im Schatten nicht. Warum fragen die Umfrageinstitute nicht wenigstens nach den Gründen für das angebliche Gutgefühl, ehe sie ihre Erbsen geistlos addieren? Warum kann eine seriöse Fernsehanstalt nicht wenigstens ein kleines Fragezeichen hinter solche Befragungen setzen? In Wahlzeiten wäre das in Deutschland wohl Ketzerei und beim amtlichen Fernsehen mit Zwangsgebühren erst recht.
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