Mittwoch, 8. Februar 2012

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Die Presse verweigert jegliche kritische Auseinandersetzung mit ihr

[via Nachdenkseiten]
 
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Wenn die Sonne der politischen Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten. Der Schatten, den Angela Merkel wirft, wird von Tag zu Tag länger – wobei nicht immer klar ist, ob die Kanzlerin in der Krise wächst, oder ob die Sonne der politischen Kultur immer weiter sinkt. Angela Merkel wirkt in ihrer zweiten Regierungszeit sakrosankt.

Die Presse verweigert jegliche kritische Auseinandersetzung mit ihr, die Demoskopen vermelden im Wochentakt neue Rekord-Umfragewerte und noch nicht einmal die größte Oppositionspartei hat die Traute, sich im kommenden Wahlkampf mit der Kanzlerin anzulegen. Inhaltlich lässt sich der grassierende Merkel-Hype nicht nachvollziehen, ist ihre Regierungsbilanz doch mehr als durchwachsen. Dies alles erinnert eher an ein fiktives Wunderland, das vor Paradoxen und Absurditäten nur so strotzt.

Von Jens Berger

Man kann einen Menschen, der sich standhaft weigert, seine Positionen mit der Realität in Einklang zu bringen als "starsinnig" bezeichnen – man könnte jedoch auch das freundlichere Wort "prinzipientreu" verwenden. Wer sich weigert, Entscheidungen zu treffen, wird gemeinhin als "entscheidungsschwach" bezeichnet – meint man es gut mit ihm, benutzt man lieber den Begriff "eisern". Doch wann haben Sie zuletzt einen Zeitungsartikel gelesen, der Angela Merkel als starrsinnig und entscheidungsschwach beschrieb? Glaubt man den Medien, ist die Kanzlerin nicht verbohrt, unbelehrbar, uneinsichtig, borniert, halsstarrig oder obstinat, sondern rigide, apodiktisch, bestimmt, disziplinarisch, resolut, rigoros, unbeugsam, unerbittlich, und unnachgiebig. Sie merken es bereits, all diese Begriffe beschreiben mehr oder weniger dasselbe, unterscheiden sich jedoch in der Konnotation und die Medien sind emsig bemüht, der Kanzlerin nur positive Konnotationen zuzuschreiben. Seit 1945 gab es wohl keinen deutschen Politiker, der von der hiesigen Presse derart unkritisch begleitet wurde. Es scheint beinahe so, als sei Angela Merkel für die schreibende Zunft kein Wesen von dieser Welt, an das man irdische Maßstäbe anlegen könnte. So ist es auch kein großes Wunder, das zwischen Schein und Sein eine riesige Lücke klafft.

Die Legende besagt, dass Angela Merkel die Krisenkanzlerin sei, die Deutschland mit ruhiger Hand durch den Orkan der Finanz- und Eurokrise steuert und nun ganz Europa in den deutschen Tugenden schult. Es ist erstaunlich, wie es zu dieser Legende kommen konnte und noch erstaunlicher ist es, dass nicht nur die Parteigänger Merkels, sondern auch die vermeintlich unabhängige Presse diese Legende glaubt und munter weiterstrickt. Bei wirklich unabhängiger Betrachtung stellt sich Merkels Rolle in der Eurokrise nämlich ein wenig anders dar und kommende Historiker werden sich wahrscheinlich verwundert die Augen über die Verfehlungen des zeitgenössischen Journalismus reiben.

Im Frühjahr 2010 war es niemand anderes als die deutsche Kanzlerin, die als erste offen die Option in den Ring warf, Griechenland pleite gehen zu lassen. Diese Sätze entfachten die Eurokrise, die bis zu diesem Zeitpunkt nur eine griechische Budgetkrise war. Über die Motive der Kanzlerin herrscht bis heute Unklarheit. Wollte sie die Krise forcieren, um ihre Macht auf ganz Europa auszuweiten? Oder wollte sie ganz profan ihrem Parteifreund Jürgen Rüttgers helfen, der sich damals mitten im Wahlkampf befand? Wie dem auch sei, den Preis für Merkels Geschwätzigkeit zahlen nun nicht nur die Griechen, sondern ganz Europa. War es das wert?

Eine der großen Untugenden der Kanzlerin ist es, nicht aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, sondern unbeirrbar ihren Kurs fortzusetzen – koste es, was es wolle. Als Frau Merkel im Sommer 2011 bar jeder Vernunft darauf pochte, bei der "Euro-Rettung" den Privatsektor auch gegen dessen Willen in Haftung zu nehmen, löste sie die nächste Eskalationsstufe aus, die mit voller Wucht nun auch Italien und Spanien traf. Glaubt man der Legende, behütet Angela Merkel den deutschen Staatsschatz vor den gierigen Blicken der Südeuropäer, wie einst der Zwerg Alberich den Nibelungenhort. Die Frage, ob es überhaupt der billionenschweren Rettungspakete und –schirme bedürft hätte, wenn die deutsche Kanzlerin schon zu Beginn der Krise Führungsstärke gezeigt hätte, stellt bezeichnenderweise jedoch niemand. Hätte Deutschland 2010 einen Kanzler gehabt, der auch nur rudimentäre Kenntnisse über die Mechanismen der Finanzmärkte besitzt, wäre es nie zu einer Eurokrise gekommen und der Steuerzahler wäre gar nicht erst in die Verlegenheit gekommen, ein Rettungspaket nach dem anderen zu schnüren.

Anstatt echte Führungsstärke zu beweisen und der Eurokrise zum Wohl der Europäer abseits der eingeschlagenen ideologischen Trampelpfade zu begegnen, zeigt sich Merkel einmal mehr unbelehrbar und zwingt ganz Europa den neoliberalen Kurs auf, unter dem Deutschland schon lange zu leiden hat. Das ist weitaus mehr als eine bloße Frage der Ideologie, führt ihre Politik doch dazu, dass Millionen Menschen, die nichts für die Krise können, ihre Arbeit verlieren, Lohneinbußen hinnehmen und – was wohl am schwersten wiegt – ganzen Generationen ihre Chance an der sozioökonomischen Teilhabe nimmt.

Nur ein Narr wird glauben, dass die Millionen junger Spanier, Italiener, Griechen und Iren, die heute vor dem Scherbenhaufen ihrer Existenz stehen, nicht ihren Glauben an die Demokratie verlieren. All dies scheint die deutsche Presse nicht zu stören. Vielleicht nimmt man die Auswirkungen der Merkelschen Politik auch schlicht und ergreifend überhaupt nicht wahr, reicht der schreiberische Horizont doch oft nur bis zum Querlesen des nächsten Sinn- oder Hüther-Interviews. Wenn es so sein sollte, dass jedes Volk die Medien hat, die es verdient, ist Deutschland wahrlich von allen Göttern verlassen.

Es ist jedoch zu einfach, die offenbar durchaus vorhandene Anerkennung der Bevölkerung nur mit der merkelfreundlichen Berichterstattung erklären zu wollen. Die Legenden, die rund um die Kanzlerin gesponnen wurden, scheinen sich vielmehr auf tragische Art mit der seit Jahren offen gestreuten Abstiegsangst ganzer Bevölkerungsschichten zu ergänzen. Was Griechenland im Großen, sind die prekären Arbeitsverhältnisse und Hartz IV im Kleinen. Man hat sich – wenn man "noch" nicht selbst betroffen ist – mit der herrschenden Ideologie arrangiert und redet sich ein, dass jegliche Solidarität mit den Schwächeren am Ende nur denjenigen schadet, die sich solidarisch zeigen. Es ist durchaus bekannt, das es heutzutage jeden erwischen kann und das soziale Netz bereits so löcherig ist, dass es im Fall von Arbeitslosigkeit keinen Schutz mehr bietet. Gleichzeitig wird uns immer wieder eingetrichtert, dass Deutschlands Wirtschaft auf einem soliden Pfad ist und es uns "immer noch" vergleichsweise gut geht. Doch mit was wird hier eigentlich verglichen?

Natürlich geht es uns im Vergleich zu den Griechen oder den Spaniern "immer noch" gut. Uns ging es jedoch auch vor der Krise besser als den Südeuropäern. Zum Glück verfügt Deutschland nun einmal über ein sehr solides wirtschaftliches Rückgrat, das noch nicht einmal die neoliberale Politik der letzten Regierungen zerbrechen konnte.

Man sollte sich daher auch lieber die Frage stellen, wie gut es uns gehen könnte, hätte die Politik nicht mit Vollgas den Weg in die neoliberale Sackgasse genommen. Doch diesen Vergleich stellt niemand an. Fast scheint es so, als wolle gar nicht daran denken, was alles besser sein könnte. Nicht nur Politik und Medien, auch die Bevölkerung hat nach Jahren der Indoktrination ihre visionäre Kraft verloren. Es geht nur noch darum, nicht selbst zu den Verlierern zu gehören und da wagt man es erst gar nicht, die Paradoxen und Absurditäten aus Angies Wunderland zu hinterfragen.

Merkels Erfolg wäre wohl undenkbar, wenn unsere Gesellschaft nicht derart visionsträge wäre. Analog tragen all diejenigen die Verantwortung für die hoffnungslose Situation, die aus Denkfaulheit, politischem Kalkül oder blankem Opportunismus mit an der Legende der eisernen Kanzlerin stricken. Es darf nicht sein, dass ein

Gewerkschaftsboss die Kanzlerin (wofür eigentlich?) über den grünen Klee lobt und im gleichen Atemzug der Linken jeglichen Gestaltungswillen abspricht. Man kann nicht gleichzeitig die Kanzlerin loben und ihre neoliberale Agenda kritisieren – sollte der DGB diesen Widerspruch nicht sehen, macht er sich lächerlich. Auch die große Oppositionspartei SPD macht sich nur noch lächerlich, wenn sie es aus politischem Kalkül ablehnt, gegen die Kanzlerin in den Wahlkampf zu ziehen.

Nun ist freilich nicht so, dass die momentane SPD-Führung auch nur im Verdacht stünde, so etwas wie eine Vision zu haben – in früheren Tagen versuchte man im Willy-Brandt-Haus jedoch noch zumindest den Eindruck zu erwecken, als sei dies anders. Nicht nur die Medien, auch die Gewerkschaften und die SPD erwecken in puncto Merkel den Eindruck, als hätten sie geschlossen ihre Arbeit niedergelegt. Dies ist eine weitere Paradoxie und Absurdität aus Angies Wunderland. Wen mag es da verwundern, dass auch die Bevölkerung kapituliert und in die fiktive Parallelwelt flieht, in der die Sparpolitik die Konjunktur ankurbelt, die Deregulierung des Arbeitsmarktes Wohlstand für alle schafft und Angela Merkel Europa mit eiserner Hand aus der Krise dirigiert?



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