Dienstag, 18. Juni 2013

Hartz IV und #seine #Umsetzung hat ein #großes #menschenzerstörendes #Potential... [lesenswert!!!]


"Inge Hannemann gefährdet tausende Mitarbeiter der Jobcenter"

Kommentar zur Presseerklärung der Bundesanstalt für Arbeit

 
[via heise.de]
 

 

In einer Presseerklärung vom Freitag hat die Bundesanstalt für Arbeit die durch ihre öffentliche Kritik an Hartz 4 bekanntgewordene Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann massiv angegriffen und ihr vorgeworfen, durch ihre Äußerungen die vielen tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter "beleidigt, herabgewürdigt und in Gefahr gebracht" zu haben.

Die Kritik von Frau Hannemann an Hartz 4 und an der Arbeit der Jobcenter sei falsch und führe "die Öffentlichkeit in die Irre". Es gäbe auch nicht "Tausende von Selbstmorden unter Kunden der Grundsicherung".

Das sieht zum Beispiel Norbert Hermann, Lehrbeauftragter für Sozialrecht und langjähriger Hartz4-Berater in Bochum, anders. Gegenüber Telepolis erklärt er: "Inge Hannemann hat ausgesprochen, was Fachleute bis hin zu Professoren und Professorinnen seit Jahren versuchen, der Öffentlichkeit zu vermitteln: Hartz IV und seine Umsetzung hat ein großes menschenzerstörendes Potential. Das Suizidrisiko wird von Fachleuten als um das 20-Fache erhöht eingeschätzt."

Hannemann kritisiert vor allem auch die existenzgefährdenden Sanktionen. Bis zu ihrem Hausverbot war sie für Betroffene unter 25 Jahren zuständig. Für diese Menschen kann schon bei kleinstem Anlass die Auszahlung des Lebensunterhalts für drei Monate vollständig gestrichen werden. Diese Ungleichbehandlung von Personen unter 25 Jahren wird inzwischen von Vertretern fast aller Parteien kritisiert. Selbst Johannes Vogel, FDP-Arbeitsmarktexperte im Bundestag, hat hier in einem Gespräch mit mir "verfassungsrechtliche Probleme" eingeräumt. Nur die BA weiß ganz sicher, dass Hartz 4 nicht dem Grundgesetz widerspricht.

Aber vielleicht kennt man dort ja auch das Gesetz und den Alltag in den Jobcentern nicht so genau? In einer Talkshow (Maischberger) hat Vorstandsmitglied Alt zum Beispiel einmal behauptet, dass niemand in Hartz IV hungern muss oder seine Wohnung verliert. Das Gegenteil ist leider nur allzu wahr. Im Joycenter.net in Aachen zum Beispiel laufen beinahe täglich Hilferufe von Betroffenen auf, die tatsächlich bereits hungern oder kurz vor der Zwangsräumung ihrer Wohnung stehen. Nicht selten ist schuld daran genau das, was Hannemann ebenfalls zu Recht kritisiert: eine von der Bundesanstalt für Arbeit mit unzähligen Richtlinien aufgeblähte Bürokratie, die es dem einzelnen Jobcentermitarbeiter wirklich schwer macht, noch den Menschen hinter Regelwerk und Zielvorgaben zu sehen.

Richtig stellt daher auch die BA in ihrer Pressemitteilung fest, dass die Jobcentermitarbeiter "sich zunehmend Aggressionen von Seiten der Kunden ausgesetzt sehen". Und zwar in einem Umfang, dass die Erwerbsloseninitiative Joycenter.net die Einrichtung von Sicherheitsschleusen gefordert hat. Solche Sicherheitsschleusen wird es im Aachener JC-Neubau nicht geben, weil, so die offizielle Version, man sich nicht abschotten wolle: "Wir sind eine offene Behörde", plappert der Aachener Pressesprecher nach, was auch von der Bundesanstalt so immer wieder behauptet wird.

Das ist, so weiß jeder Betroffene, natürlich falsch. Nicht mal telefonisch sind die Mitarbeiter in den meisten Jobcentern noch zu erreichen; Anrufe werden auf Callcenter ausgelagert. In einem nicht öffentlichen Gespräch gibt denn auch ein Mitarbeiter der Geschäftsführung einen Hinweis auf den wahren Grund der Ablehnung solcher dringend erforderlicher Sicherheitsmaßnahmen: "Wissen Sie, Herr Heck, was so eine Schleuse kostet?"

Dass sie dem neoliberalen Staat nicht viel mehr wert sind als die Erwerbslosen, die sie verwalten sollen, das wissen auch die meisten Jobcentermitarbeiter nur zu gut. Auch dass es nicht die Kritik von Inge Hannemann ist, die sie in Gefahr bringt, wissen ihre tausenden Kolleginnen und Kollegen in den Jobcentern natürlich. Und viele unter ihnen bewundern Hannemann denn auch mehr oder weniger heimlich für ihren Mut. Und wissen: Nicht ihre Kollegin Hannemann "hat sich den falschen Beruf ausgesucht", wie es in der Pressemitteilung abschließend heißt. Und nicht unter Hannemann leiden sie, wie behauptet, sondern unter einer verfehlten Politik, getragen und noch verschärft durch den Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit.

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