Montag, 27. Mai 2013

--->>> Das Märchen von der demographischen Lücke gehört inzwischen zum offiziellen Glaubensgut [Lesebefehl!!!]


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Tante Jolesch

Das Märchen von der demographischen Lücke
 
[via tantejolesch.at]
 
 
 




Private Versicherungen wie Allianz, UNIQA und AIG verbreiten das Märchen der demographischen Lücke zu eigenen Profitzwecken. Warum das Panikszenario, das sich in Köpfen vieler bereits als Naturgesetz verankert hat, hinfällig ist, erklärt die Tante anhand drei fataler Denkfehler.

Das Märchen von der demographischen Lücke gehört inzwischen zum offiziellen Glaubensgut österreichischer Regierungsstellen. Wer die österreichische Staatsbürgerschaft erlangen will, sollte an diese Saga glauben. Das legt zumindest die offizielle Webseite des Integrationsstaatssekretärs Sebastian Kurz nahe.

Das Märchen von der demographischen Lücke geht so:
Heute kommen auf einen zu versorgenden Menschen vier Beschäftigte. Im Jahr 2050 sollen es nur noch zwei Beschäftigte sein, die einen Menschen mitversorgen. Das kann nicht klappen, heißt es. Deshalb müssen die Menschen länger arbeiten und sich privat zusatzversorgen, damit sie nicht verarmen.

Erfunden wurde dieses Märchen in den Zentralen der großen Versicherungen wie Allianz, UNIQA, AIG. Die Vermögendsten und Konzernchefs griffen es freudig auf, witterten sie doch eine Chance noch weniger Abgaben zu zahlen, wenn das staatliche Pensionssystem gekippt wird. Die Vordenker der großen Volksparteien plapperten die Saga andächtig nach, kam sie doch aus der Haubenküche anerkannter ExpertInnen. Während das Märchen von den Wunderpapieren heute niemand mehr glaubt, hat das Märchen von der demographischen Lücke in den Köpfen vieler nahezu den Status eines Naturgesetzes erlangt.

Das Märchen enthält drei Denkfehler.

Erstens. Unterstellt wird in den Studien der Privatversicherer, dass die Lebenserwartung wie in den letzten 50 Jahren linear ansteigt, dass die Älteren sich allgemein im selben Tempo wie bisher in die Nähe der Hundertermarke bewegen. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Steigerung der Lebenserwartung sich abflacht oder einpendelt. In einigen Industrieländern ist die durchschnittliche Lebenserwartung in den letzten Jahren bereits gesunken.

Zweitens. Seit über hundert Jahren gibt es die Entwicklung, dass immer weniger Beschäftigte mehr alte Personen versorgen. Im Jahr 1900 kamen 12,4 Erwerbsfähige (15-64 Jahre) auf eine alte zu versorgende Person (über 64 Jahre), 50 Jahre später nur noch 6,9. Nach weiteren 50 Jahren (Jahr 2000) waren es 4,1. Und für 2050 werden von einigen Demographen 2,0 prognostiziert. (Vergleiche M. Schlecht et al., Mythos Demografie).

Man sieht, die Entwicklung ist nichts Neues. Eine stark sinkende Zahl von Beschäftigten ist sogar in der Lage, neben den Alten ab 65 Jahren eine immer größere Zahl an Menschen, die studieren, mitzuversorgen, ohne dass deshalb in den letzten 100 Jahren auch nur eines der vorhergesagten Horrorszenarios eingetreten wäre. Im Gegenteil, der Wohlstand für alle ist seit 1950 erheblich gewachsen.

Woher kommt das?

Seit über 100 Jahren nimmt die Produktivität pro arbeitender Person massiv und stetig zu. Der daraus resultierende gravierend zunehmende Output an Waren und Dienstleistungen sorgte selbst bei immer weniger Beschäftigten dafür, dass sich die Versorgung aller ohne Abstriche beim Lebensstandard meistern ließ. Der Wohlstand ist im Schnitt sogar stark angestiegen. Der Output an Waren und Dienstleistungen pro Beschäftigten wird auch in Zukunft stark zunehmen, weil die Digitalisierung der Arbeit weitergeht, weil Nanotechnik und Roboterisierung noch hinzukommen.

Drittens. Selbst innerhalb der tendenziösen Vorstellungsgrenzen der Privatversicherer erweist sich das Panikszenario als hinfällig, weil mit methodischen Fehlern behaftet. Dennoch droht eine Verarmung breiter Bevölkerungsschichten – jedoch nicht wegen der Überalterung der Gesellschaft.

Die entscheidende Frage ist: Welche Produkte werden erzeugt, wohin fließen in Zukunft Dienstleistungen, auf welche Ziele werden die Anstrengungen gerichtet, welche Projekte werden finanziert, in welche Kanäle wird Arbeit gelenkt? In den Bau von weiteren Luxushotels, Yachten, Villen, Privatflugzeugen, in das Schürfen von Gold, die Herstellung von Preziosen oder in den Energie- und Verkehrsumbau, in Bildung, Pflege, Gesundheit?

Die Tante meint, wenn es nicht gelingt, diesen qualitativen Unterschied zu vermitteln, wenn es nicht gelingt, die geistige Hegemonie der neoliberalen Märchenerzähler zu brechen, werden wir in gar nicht allzu ferner Zukunft eine Gesellschaft nach oligarchem Muster sein, Zwischenstufe HartzIV. Auf der einen Seite immer üppiger ausgestattete Villenviertel, noch mehr Fünf-Sterne-Hotels und Wohlfühloasen, ein Luxusgast, den zehn Angestellte betreuen, auf der anderen Seite zehn Kranke, die mit einer Pflegekraft auskommen müssen. Neben dem Golfplatz eine Schule, die verrottet und ein Kindergarten, der um Sanierung und mehr Angestellte betteln muss.

In vielen Ländern des Ostens und Südens ist das längst Realität. Fünf Prozent Superreiche, die von einer Party zur nächsten jetten, 15 Prozent, die den Reichtum verwalten und „absichern" und 80 Prozent, die, wenn sie Glück haben, bis 70 arbeiten dürfen, um dann „bestenfalls" noch fünf oder zehn Jahre dahinzuvegetieren.

Aus Optik der herkömmlichen Wirtschafts"wissenschaften" werden auch solche Gesellschaften in Summe reicher und in den einschlägigen Gazetten für ihre beeindruckenden Wachstumserfolge gelobt.

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Der Text erschien zuerst bei
über.morgen.


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