Dienstag, 21. Januar 2014

Werner Rügemer über das beabsichtigte Freihandelsabkommen zwischen der USA und der EU als Offensive gegen Arbeitnehmerrechte

 

TTIP Stop: Werner Rügemer in der Presse

von redaktion01
 
[via arbeitsunrecht.de]
 
http://arbeitsunrecht.de/ttip-stop-telepolis-junge-welt/
 

Telepolis bringt Interview zu Freihandels-Zone | Junge Welt mit Artikel

occupy-ttipDer Mitinitiator unseres Aufrufes gegen das transatlantische Freihandelsabkommen, Werner Rügemer, hat dem Journalisten Reinhard Jellen  für das Online-Magazin telepolis.de ein längeres Interview gegeben (siehe hier).

In der Tageszeitung junge Welt ist er mit einem längeren Hintergrundartikel vertreten (siehe hier). Wir dokumentieren beide Texte für die Nachwelt:

 Der Aufruf »Arbeitsrechte verteidigen: Freihandelsabkommen zwischen USA und EU stoppen!« kann hier unterzeichnet werden: http://arbeitsunrecht.de/ttip

TTIP: Abkommen gegen Mindestlöhne?

Werner Rügemer über das beabsichtigte Freihandelsabkommen zwischen der USA und der EU als Offensive gegen Arbeitnehmerrechte

Interview: Reinhard Jellen, erscheinen in telepolis.de am 17. 01. 2014

Seit Mitte 2013 verhandeln EU und USA über das Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). Dies wird vielfach als "Freihandelsabkommen" bezeichnet, jedoch bestehen Handelshindernisse wie Zölle zwischen den USA und der EU nur noch in sehr geringen Maßen. Statt dessen geht es hier vor allem um "Investitionshemmnisse" wie Arbeits- und Sozialstandards, um die es aber gerade in den USA und gegenwärtig auch in der EU besonders schlecht steht. Somit ist ein drastischer Einschnitt in Arbeitnehmerrechte zu erwarten, wenn die Verhandlungspartner USA und EU ihre Standards miteinander harmonisieren.

Die beiden Kölner Publizisten Werner Rügemer und Elmar Wigand haben deshalb einen Aufruf gegen das TTIP angestoßen, der diese bislang wenig thematisierte Problematik in den Mittelpunkt stellt: "Arbeitsrechte verteidigen: Freihandelsabkommen zwischen USA und EU stoppen!". Der Aufruf ist auf der Website Arbeitsunrechtveröffentlicht und kann dort unterzeichnet werden.

Herr Rügemer, die USA haben sechs der acht Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO (International Labour Organisation, ILO) nicht übernommen. Welche sind dies?

Werner Rügemer: Zuerst einmal: Die ILO ist eine Unterorganisation der UNO. Sie hat die in der UNO-Menschenrechtserklärung enthaltenen Arbeits- und Sozialrechte präzisiert und wacht über ihre Umsetzung. Am wichtigsten sind die 8 Kernnormen: Erstens die Koalitionsfreiheit, also das Recht der Beschäftigten, sich frei zu organisieren, etwa in Gewerkschaften; zweitens das Recht auf kollektiv verhandelte Tarifverträge; drittens die Abschaffung der Zwangs- und Pflichtarbeit allgemein, vor allem wegen des Einsatzes von Häftlingen für private Unternehmen; viertens das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit von Mann und Frau; fünftens die Festlegung eines Mindestalters für den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis; schließlich sechstens das Verbot der Diskriminierung in der Arbeitswelt wegen Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politischer Meinung, nationaler und sozialer Herkunft.

Die USA haben diesen sechs Normen nicht zugestimmt und sind somit der Staat, der trotz jahrzehntelanger Verhandlungen im internationalen Vergleich bei weitem die wenigsten der acht Normen ratifiziert hat.

Wie würde sich das auf die Arbeitnehmerrechte in der EU auswirken?

Werner Rügemer: Wir sehen folgende Gefahren: In den USA selbst gelten zwar nationale Gesetze entsprechend einiger ILO-Normen, etwa Koalitionsfreiheit und kollektive Tarifverhandlungen sowie ein Mindestalter von 14 Jahren für ein Arbeitsverhältnis. Auch gilt das Anti-Diskriminierungs-Gesetz. Diese Gesetze sind aber in der Praxis stark eingeschränkt. 25 US-Bundesstaaten, insbesondere im weithin gewerkschaftsfreien Süden, dämmen die nationalen Gesetze zusätzlich ein. Nur noch gut sechs Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft sind gewerkschaftlich organisiert.

Entscheidend in Bezug auf die EU ist weiter, dass die einschlägigen US-Gesetze nur in den USA gelten und nicht für die Aktivitäten von US-Unternehmen im Ausland. Deshalb haben die USA die ILO-Normen nicht ratifiziert, denn diese würden in allen Staaten verpflichtend sein.

Ich erinnere daran, dass deshalb US-Konzerne seit Jahrzehnten auch in der Bundesrepublik Deutschland erfolgreich als Betriebsratsgegner und Lohndrücker agiert haben. Zur Zeit ist dafür unter anderem Amazon bekannt. Zudem und vor allem sind US-Konzerne, Private Equity Fonds und andere Fondsgesellschaften schon seit etwa einem Jahrzehnt dabei, in der EU verstärkt zu investieren, auch in den südeuropäischen Krisenstaaten. Dafür wollen sie mithilfe des TTIP bisher noch bestehende Hemmnisse beseitigen.

Welchen Normen haben die USA zugestimmt?

Werner Rügemer: Die USA haben von den acht ILO-Kernnormen lediglich zwei ratifiziert: Erstens die Abschaffung der Zwangsarbeit als Disziplinarmaßnahme, zweitens die Abschaffung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Damit wird aber Kinderarbeit nicht generell verboten, sondern nur in einigen der schlimmsten Formen, namentlich die Beschäftigung als Soldaten, als Prostituierte, im Drogenhandel und in der Pornografie.
"Arbeitgeber dürfen ganz legal Streikbrecher einsetzen"

Weiter befürchten Sie, dass die in den USA eingerichteten "transatlantischen Sonderzonen" mit sogenannten "Right to work"-Gesetzen durch das TTIP die Arbeitnehmerrechte in der EU tangieren würden. Warum?

Werner Rügemer: Als transatlantische Sonderzonen bezeichnen wir die 25 von 50 US-Bundesstaaten, in denen sogenannte "Right to work"- Gesetze gelten. Schon seit 1947 haben US-Einzelstaaten das Recht, von nationalen Arbeitsgesetzen abzurücken (Taft-Hartley Act). "Right to work" bedeutete hier: Arbeiter dürfen zur Arbeit gehen, auch wenn Gewerkschaften einen Betrieb bestreiken. Das heißt konkret: Arbeitgeber dürfen ganz legal Streikbrecher einsetzen. Damit sollen gewerkschaftlich organisierte, auch legale Streiks ausgehebelt werden. Die Einschränkung gewerkschaftlicher Aktivitäten geht inzwischen darüber hinaus.

Antreiber auf der politischen Ebene waren und sind vor allem die US-Handelskammer und die Partei der Republikaner. Die Gefahren für die EU bestehen darin, dass verstärkt Unternehmen nicht nur aus den USA selbst, sondern auch aus europäischen Staaten sich in diesen US-Sonderzonen ansiedeln. Das ist seit den 1990er Jahren verstärkt der Fall. Das hätte transatlantische Rückwirkungen, weil dieselben Unternehmen ja gleichzeitig auf beiden Seiten des Atlantiks aktiv sind.

In der EU werden zur Zeit im Zuge der "Rettungsmaßnahmen" für EU-Krisenstaaten gleichfalls Arbeits- und Sozialrechte eingeschränkt. Warum zeigen Sie also auf die USA?

Werner Rügemer: Wir zeigen genauso auf die EU. Die EU-Mitgliedsstaaten wie auch die Bundesrepublik Deutschland haben die meisten der genannten ILO-Normen zwar anerkannt, verletzen sie aber immer häufiger und nachhaltiger: Die Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF setzen zum Beispiel in Griechenland Tarifverträge außer Kraft, senken Löhne und Renten und so weiter. Die Gefahr beim TTIP besteht ja gerade darin, dass mit den USA und der EU zwei Verhandlungspartner aufeinander treffen, die ihre geschilderten Praktiken miteinander harmonisieren wollen!

Im TTIP sind private Schiedsgerichte vorgesehen, die gegebenenfalls über Schadenersatz für Konzerne entscheiden sollen. Können Sie uns erläutern, wie das aussehen soll?

Werner Rügemer: Private Schiedsgerichte werden eingerichtet oder angerufen, wenn zwei Vertragspartner in einen Konflikt geraten. Vertragspartner in dieser Hinsicht sind im TTIP einzelne Unternehmen und Staaten. Die Vertragspartner benennen ihre Vertreter. Diese Gerichte werden vor allem mit Anwälten global tätiger Wirtschaftskanzleien besetzt und sind nicht staatlich, sondern privat, verhandeln nicht-öffentlich und haben kein Revisionsrecht. Solche Gerichte gibt es schon länger, beispielsweise mit dem "Freihandelsabkommen" NAFTA, das 1994 zwischen den USA, Kanada und Mexiko in Kraft trat. Sie sollen nun durch TTIP noch weiter institutionalisiert werden.

Ein solches Gericht könnte beispielsweise gegen einen Staat vorgehen, der einen gesetzlichen Mindestlohn einführt: Ein Konzern könnte dann klagen, dass der Mindestlohn die Gewinne in bestehenden oder geplanten Niederlassungen oder bei bestimmten Projekten einschränke. So könnte sich etwa die Große Koalition in Deutschland mit viel Theater in den nächsten Jahren, wie angekündigt, auf den Mindestlohn von 8,50 Euro einigen. Und gleichzeitig würden sich die EU mit den USA im TTIP auf private Schiedsgerichte verständigen, vor denen der gerade mühsam beschlossene Mindestlohn wieder weggeklagt werden kann.

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TTIP: Angriff auf Arbeitsrechte

»Freihandelsabkommen« EU-USA: Bisher unbeachtet drohen auch für abhängig Beschäftigte, Rentner und Erwerbslose erhebliche Gefahren. Widerstand auch deshalb nötig
Von Werner Rügemer, erschienen in junge Welt, 15. Januar 2014

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, genannt Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP), hat wenig mit freiem Handel zu tun. Zwischen EU und USA spielen Zölle so gut wie keine Rolle. Jetzt geht es um Investitionen, genauer gesagt um die Abschaffung von sogenannten Investitionshemmnissen.

Hintergrund ist die gegenseitige Kapitaldurchdringung zwischen Konzernen und Banken mit Standort in den USA und in Europa. Kein transkontinentaler Wirtschaftsraum ist so eng verknüpft – nicht nur hinsichtlich des Kapitals, sondern auch politisch, militärisch, geheimdienstlich, medial und kulturell. Diese Entwicklung wurde Anfang der 1990er Jahre intensiviert: Im deregulierenden Westeuropa und im zusammengebrochenen sozialistischen Lager gab es für angloamerikanische Investoren einiges zu holen. Zum Schnäppchenpreis.

Kapitalverflechtung

Das war ein Vorspiel. Seit Ende der 1990er Jahren kaufen US-Konzerne, Private Equity- und andere internationale Investoren verstärkt Anteile an europäischen Unternehmen und gründen Niederlassungen in der EU. Die Mehrheit der Aktien etwa der 30 größten Konzerne und Banken in Deutschland (DAX-Unternehmen) ist bekanntlich in ausländischem Eigentum, insbesondere bei Investoren mit Hauptsitz in den USA. Der Wall-Street-Investor Blackrock etwa ist in neun der 30 DAX-Unternehmen Hauptaktionär (siehe »Deutschland-AG aufgekauft«, jW vom 19. März 2013). Die Hauptberater der von 2009 bis 2013 amtierenden Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel in Sachen Finanzen und vor allem Euro-Krise waren in dieser Reihenfolge: Goldman Sachs (New York), Commerzbank, Barclays (London), UBS (Zürich) und Deutsche Bank.

Die Entwicklung verlief und verläuft auch gegenläufig. Die Deutsche Bank etwa kaufte sich in den USA den Bankers Trust und verlegte ihre Hauptaktivitäten nach London und New York. Pharma- und Automobilkonzerne mit Traditionssitz in der Bundesrepublik haben Produktionsstätten in den USA errichtet, vielfach in den Südstaaten, wo Gewerkschaften kaum mehr existent, die Löhne niedrig und die Zugeständnisse der um Arbeitsplätze ringenden Städte hoch sind.

In dieser Hinsicht sind mit den USA auch Kanada und Mexiko eng verbunden. Zwischen den drei Staaten trat zum 1.1.1994 das North Atlantic Free Trade Agreement (NAFTA) in Kraft. Es gilt als Vorläufer des geplanten TTIP. Auch mit NAFTA wurden nicht nur mehr Handel versprochen, sondern auch mehr Arbeitsplätze. Allerdings, so die Bilanz: Der Handel verdreifachte sich, Arbeitsplätze gingen verloren. Mexiko wurde zur verlängerten Werkbank für ausländische Konzerne: In den »Maquiladoras« werden vor allem Textilien und Elektrogeräte aus importierten Vorprodukten hergestellt. Die hochsubventionierten Nahrungsmittel aus den USA und der EU führten zum Ruin der für Mexiko bis dahin vorherrschenden klein- und mittelbäuerlichen Agrarwirtschaft. Wegen der auch in Südkanada niedrigeren Löhne wurde ein Teil der Autozulieferindustrie dorthin verlagert: Maquiladoras auf höherem Niveau.

Abbau und Deregulierung

In Mexiko wie in den USA gingen Hunderttausende Arbeitsplätze verloren. Ohne daß dies ausdrücklich als Ziel beschlossen wurde, wurden auch die Arbeitsverhältnisse dereguliert, die Löhne auf ein noch niedrigeres Niveau als 1994 gedrückt. Mexiko und Kanada wurden für Im- und Exporte weitgehend von den USA abhängig.

In den USA wie in der EU werden Arbeitsrechte erheblich eingeschränkt. Was würde passieren, wenn diese beiden Vertragspartner ihre Praktiken sogar noch miteinander harmonisierten? In der bisherigen Kritik gegen TTIP werden die Gefahren für Umwelt und Nahrungsmittel (Genmais, Chlorhühnchen) betont, ebenso die Macht der privaten Schiedsgerichte. Selbst die Gewerkschaften haben bisher noch nicht klar genug auf die Gefahren für die Lohnabhängigen und für die vom Lohnsystem abhängigen Rentner und Arbeitslosen aufmerksam gemacht.

Man stelle sich folgendes vor: Im TTIP vereinbart die EU mit den USA die Klagerechte der Investoren vor privaten Schiedsgerichten. Dann beschließt der Bundestag nach großem Getöse endlich den angekündigten Mindestlohn von 8,50 Euro. Und schon können Investoren den Mindestlohn wegklagen, weil er ihre Profite in den deutschen Niederlassungen oder geplanten Großprojekten einschränke.

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Der Aufruf »Arbeitsrechte verteidigen: Freihandelsabkommen zwischen USA und EU stoppen!« kann hier unterzeichnet werden: http://arbeitsunrecht.de/ttip





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