Jutta Ditfurth über den verwandlungsfähigen Kapitalismus, den zunehmenden Rassismus, den ausbleibenden Widerstand
Die Publizistin, Soziologin und politische Aktivistin Jutta Ditfurth setzt sich seit Jahrzehnten kritisch mit dem Kapitalismus und dem politischen Zeitgeschehen auseinander. Im Gespräch erklärt sie, warum Reformen und Parteien nichts am Kapitalismus ändern und weshalb die Revolution noch immer nicht ausgebrochen ist. ( )
Frau Ditfurth, in Ihrem Buch "Zeit des Zorns" schreiben Sie: "Der Kapitalismus ist durch Reformen nicht in eine humane Gesellschaft zu überführen." Haben Sie überhaupt noch Hoffnung in die Parteipolitik?
Jutta Ditfurth: Nein. Reformen sind ja heute keine Reformen mehr, also keine wirklichen Verbesserungen der Lage der Menschen. Wenn eine Reform angekündigt wird, ist das eher eine Drohung, denn es folgt meistens eine Verschlechterung der sozialen Lage, spätestens durch die Hintertür. Durch das, was heute "Reformen" genannt wird, sind keine Änderungen hin zu sozialer Gleichheit und wirklicher Freiheit in einer dann humanistischen Gesellschaft möglich.
Aber nicht nur Parteien sind reformistisch, sondern auch etliche soziale Bewegungen sind es. Selbst wenn in einer bestimmten historischen Phase die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse gewisse Verbesserungen, sogenannte "Reformen" für Mensch und Natur zulassen, sind diese nicht von Dauer, denn sobald der emanzipatorische Druck nachlässt, werden diese wieder abgeräumt.
Die dem Kapital eigene gnadenlose Konkurrenz und Profitmaximierung erzwingen die Spaltung der Gesellschaft in wenige Reiche und viele Arme. Der Brutalität und der Vernichtungslogik des Kapitals sind weltweit keine Grenzen gesetzt. Der Staat des Kapitals und seine Parteien sind Ausdruck dieser kapitalistischen Gewaltverhältnisse. Linke Flügel staatstragender Parteien sind gestutzte Flügel, sie fliegen nie zu den Wurzeln des Problems.
Aber gerade in den Jugendorganisationen der Parteien finden sich doch häufig Leute, die wirklich etwas ändern wollen.
Jutta Ditfurth: Einigen glaube ich, dass sie es ernsthaft wollen. Aber diese Jugend-Organisationen bürgerlicher Parteien sind Durchlauferhitzer. Die Parteispitzen sagen sich: Lass die jungen Leute sich dort mal austoben. Wir prüfen dann, wer bereit ist, seine "linken Illusionen" aufzugeben, wer nützlich für uns ist. Die Partei macht Angebote: Stipendien, Jobs, soziale Reputation. Die Anpassungsbereiten fischen sie sich raus. So ist das schon immer gewesen.
Wenn von der Parteipolitik nichts zu erwarten ist: Wo ist sie dann, die Revolution? Wo ist die Wut der Bevölkerung auf die kapitalistische Ausbeutung? Wo sind zum Beispiel all die Ausgestoßenen und all die drangsalierten Sozialhilfeempfänger?
Jutta Ditfurth: Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, dass die Gedemütigtsten und Ausgebeutesten gleichsam automatisch das revolutionärste Bewusstsein besitzen. Manchmal wissen linke AktivistInnen wenig von den sozialpsychologischen Voraussetzungen politischen Bewusstseins. Da spielt doch vieles eine Rolle.
Manche Menschen sind über einen langen Zeitraum so kaputt gemacht und entmutigt worden, dass sie froh sind, mit ihren Angehörigen jeden einzelnen Tag zu überstehen. Andere schuften sich in zwei oder drei Jobs frühzeitig ins Grab. Wieder andere fliehen vor der Ausweglosigkeit für sich und ihre Kinder in verschiedene Suchtformen oder träumen sich weg. Und diejenigen, die es irgendwie schaffen, sich durchzuschlagen, stoßen dann auf unsichtbare Mauern in dieser Gesellschaft: perfide soziale Selektionssysteme, undurchlässige Strukturen. Der kritisch denkende Teil junger Menschen, ob aus proletarischen, kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Familien, wird in oft hierarchischen, verschulten Ausbildungseinrichtungen der Ideologie der herrschenden Verhältnisse ausgesetzt und wer trotzdem ernsthaft Veränderungen durchsetzen will, stößt, grob gesagt, auf zwei Reaktionsweisen des Staates: Zuckerbrot oder Peitsche, Integrationsangebot oder Repression.
Quelle: Telepolis
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