Dienstag, 9. Oktober 2012

Der SPIEGEL hat nun sein Herz für die Vermögendsten im Lande entdeckt. Ein Herz für Reiche [via Tante Jolesch]


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Thomas Lukscheider

DER SPIEGEL: Ein Herz für Reiche
 
[via Tante Jolesch]
 
 
http://www.tantejolesch.at/tjtrue.php?bild=herzreiche.jpg&href1file=herzreiche


"Ein Herz für Kinder" und "ein Herz für Tiere" heissen sentimentale und vor allem auflagestärkende Aktionen und Publikationen der Boulevardpresse aus den 80er-Jahren. Genutzt hat es weder den Kindern noch den Tieren. Die Kinderarmut hat sich in Deutschland seither verdoppelt, Massentierhaltung und Tierversuche sind immer noch an der Tagesordnung.

Der SPIEGEL hat nun sein Herz für die Vermögendsten im Lande entdeckt. "Jagd auf Reiche" (ohne Fragezeichen) lautet der Beitrag von Sven Böll, und er beschäftigt sich mit der geplanten ein-prozentigen Vermögenssteuer aus den Reihen der SPD.


Dokumentierte Schieflage

Immerhin. DER SPIEGEL hat nun auch die internationale OECD-Statistik zu Vermögenssteuern entdeckt , die in der Tante seit einem Jahr immer wieder einmal veröffentlicht wird. Demnach tragen die reichsten Deutschen, gemessen am BIP, mit 0,9% zum Gemeinwohl bei, die Amerikaner und Franzosen mit über 3%, die Briten mit 4,2%, die Vermögendsten in Österreich mit 0,6%.

Sven Böll schildert zunächst wahrheitsgemäss die Schieflage in Deutschland. Die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung konnten zwischen 1999 und 2009 ihren Reichtum um 16 Prozent steigern, die Mittelschicht stagnierte, und die Ärmsten wurden um 10 Prozent ärmer. So der Armuts- und Reichtumsbericht der Regierung.

Doch für die Vermögenssteuer kann der SPIEGEL-Autor sich dennoch nicht erwärmen. Zuviel Verwaltungsaufwand, behauptet er. Und … es käme zu allerlei Trickserien. Seltsam nur, dass die Schweiz und USA, dass GB und Frankreich seit Jahrzehnten problemlos das Drei- bis Vierfache im Vergleich zu Deutschland an vermögensbezogenen Steuern lukrieren. Seltsam auch, dass die Musterung, Antragsbearbeitung und Konto-Begutachtung, die Kontrolle und Bespitzelung der Millionen Arbeitslosen und HartzIV-Empfänger kaum Kritiker findet. Sie kostet das Zigfache an Aufwand.

Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn Ressourcen und Personal mehr in Richtung Finanzfahndung gelenkt würden. Mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen würden mehr als genug Kräfte frei, um die Reichen angemessen zu besteuern.


Selektierte Sonderfälle

In diese Richtung denkt Sven Böll in seinem Beitrag nicht. Stattdessen bringt er das Beispiel eines Unternehmers, der angeblich seinen Betrieb schliessen würde, wenn er Vermögenssteuern zahlen müsste. Eine sinnvolle vermögensbezogene Steuer würde arbeitsplatzsicherndes Betriebsvermögen schonen. Wer in seinen Betrieb reinvestiert, den trifft eine Besteuerung praktisch nicht, nur sein privat angehäuftes Vermögen und Einkommen würde besteuert werden wie Arbeitseinkommen auch. Und das ist gut so.

Die grössten Vermögenswerte stecken ohnehin in vermieteten Immobilien. Dieser Bereich hat mit dem Führen von Industrie- oder Handwerks-Betrieben wenig zu tun. Sven Böll nennt denn auch eine Immobilienfirma als Beispiel, die "Deutsche Wohnen AG". "Scheinreich" nennt Sven Böll den börsennotierten Konzern. Würden die 1,2 Milliarden Vermögen des Konzerns mit einem Prozent besteuert, müsste er 12 Millionen Euro Vermögenssteuer bezahlen. Das ist "fast ein Viertel des Jahresgewinns" klagt der SPIEGEL-Autor. Ja? Und? Der Durchschnittsarbeitnehmer zahlt prozentual mehr an Abgaben .

Übrigens. Das Ergebnis der "Deutsche Wohnen AG" lag 2011 bei 157,4 Mio. Euro.
(Siehe Aktionärsbrief Jahresergebnis 2011 - http://ir.deutsche-wohnen.com/websites/deuwo/German/1/investor-relations.html)


Das Flucht-Phantom

Schliesslich lässt Sven Böll den Multimillionär Ulrich Dietz zu Wort kommen und schwingt die altbekannte Flucht-Keule.
30 Millionen Euro ist dessen Aktienpaket wert. Der Unternehmer findet es "absurd", dass er eventuell Aktien verkaufen müsste, um die geplante einprozentige Vermögenssteuer zu entrichten. Ein HartzIV-Bedürftiger muss bis auf 10.000 Euro sein ganzes Vermögen und alle seine Ersparnisse aufbrauchen, ehe er auch nur einen Cent Unterstützung erhält. Das ist in der Tat absurd und inhuman.

Der Fall von Dietz ist ausserdem untypisch und erscheint konstruiert, denn die Vermögendsten haben ihren Reichtum im Schnitt zu 70% in Immobilien angelegt und nur zu einem geringen Teil in Wertpapieren oder auf Sparbüchern. Damit entfällt auch das Scheinargument des Oxford-Ökonomen Clemens Fuest, den Sven Böll in seinem Artikel zitiert: "Wer viel Geld hat, kann seinen steuerlichen Wohnsitz leicht ins Ausland verlagern".

Das kann er eben nicht, wenn er sein Vermögen vor allem in Immobilien angelegt hat, denn die müsste er als erstes zu Geld machen. Wenn das aber nur 10% der Reichsten täten, käme ein Preisverfall von rund 30% zustande. Diesen Angebots-Preis-Zusammenhang haben die Immobilienkrisen in Deutschland(1992ff), Japan(1992ff), den USA(2007ff) und Spanien(2010ff) gezeigt. 30% Wertverlust (das entspräche rund 30 Jahren Vermögenssteuer von 1 Prozent!), nur damit diese Reichsten dann im Zielland eventuell auch noch das Doppelte bis Vierfache der bisherigen Vermögenssteuern bezahlen dürften.

Die meisten Reichen wissen das. Sven Böll eher nicht.
Würde stimmen, was die prächtig ausstaffierten Unkeriche ständig an die Wand malen und unbedarfte Gemüter wie Sven Böll glauben, dann müssten Spanien, Italien, Frankreich, Kanada, USA, GB entleert sein von Reichen und Vermögenden. Dem ist aber nicht so. Schliesslich tragen die in ihrer Heimat über ihre vermögensbezogenen Steuern mit 2,5%, 3,5%, 4,2% vom BIP zum Gemeinwohl bei.


Tricks und Stimmungsmache

Sven Bölls Artikel verdunkelt mehr als er informiert. Zur Sache schreibt er wenig Erhellendes. Hingegen ist der Beitrag sehr aufschlussreich, was die Verschleierungstricks und Stimmungsmache angeht.

Das Rezept ist einfach und wird von den Medienprofis seit Jahrzehnten durchgenudelt. Es lautet: Pick dir ein paar Extreme und Ausnahmefälle heraus, notfalls konstruiere sie. Male das Szenario aus, gib dem Ganzen ein Gesicht mit Bildern und Zitaten. Schon kannst du gegen alle Fakten Stimmung in jede gewünschte Richtung erzeugen.

Im Jahr 2003 praktizierte die Bild-Zeitung diese Methode bis zum Exzess mit ihren berüchtigten Tendenz-Artikeln zum Fall "Florida-Rolf". Der litt an Depressionen und Bauchspeicheldrüsen- entzündung, war deshalb per Gutachten als arbeitsunfähig eingestuft und lebte von deutscher Sozialhilfe in Höhe von monatlich 1425 Euro in Florida. Dort spürten ihn die Bild-Reporter auf und stellten ihn in ihrem Blatt an den Pranger. Durch die monatelange Hetze wurde auch der Boden für HartzIV bereitet.

SPIEGEL-Autor Sven Böll arbeitet ähnlich, jedoch zum Wohle der Reichsten. Mit speziell selektierten und zum Teil konstruierten Ausnahmefällen erzeugt er Empathie für die armen Reichen, die angeblich gejagt werden. So werden der milliardenschwere Immobilienkonzern und der 30fache Millionär zu bemitleidenswerten Verfolgten.

Bleibt noch die Frage, warum es in GB, den USA, in Frankreich, Spanien, Italien, Skandinavien seit Jahrzehnten gelingt, vermögensbezogene Steuern einzuheben, die drei-, vier-, fünfmal so hoch sind wie die in Deutschland oder Österreich?

Antwort:
Vielleicht auch deshalb, weil es dort mehr wirklich beherzten Journalismus gibt.




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