Seit den 1980ern können die imperialistischen Zentren den Tendenzen zu Überakkumulation und Profitratenfall nur durch Erhöhung der Ausbeutungsrate entgegenwirken. Damit verbunden ist der Zwang zur beständigen Globalisierung von Produktion und Handel, zu beständig steigender Kapitalintensität, zu einer Aufblähung des Finanzsektors sowie wachsenden Finanzproblemen des Staates und enormen Spekulationsblasen. So hatten 1980 das Weltsozialprodukt und Finanzvermögen noch etwa dieselbe Höhe, 2011 war das Finanzvermögen dagegen schon 3,7 Mal höher! Diese immer stärker vom Finanzmarkt getriebene Akkumulation kann ganze Volkswirtschaften in den Ruin stürzen und belastet die "Realwirtschaft" mit einer immer höheren Zinslast.
Mit den schweren Erschütterungen des Finanzsystems 2007-09 ist dieses neoliberale Akkumulationsregime aus dem Gleichgewicht geraten. Die Stabilisierungsmaßnahmen konnten zwar den Zusammenbruch verhindern, aber kein neues Gleichgewicht herstellen. Hier einige Merkmale der generellen Instabilität:
- Die "Rettungsprogramme" haben die Staatsfinanzen in eine prekäre Situation gebracht. Sie dienen letztlich der Aufrechterhaltung des aufgeblähten Finanzsektors (Bedienung von Zinsforderungen) und sind daher im Rahmen von "Sparprogrammen" zusätzliche Belastungen für die Ökonomie.
- Die Geldmengen, die im Rahmen der Stabilisierungspolitik der Zentralbanken ins Unermessliche gesteigert wurden, machen sich immer mehr in Inflation spürbar - mit Auswirkungen auf Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise. Wie immer sind die Ärmeren davon am meisten betroffen.
- Mit der Krise sind die USA sowohl als "Konsument der letzten Instanz" als auch als wirtschaftspolitischer Hegemon stark geschwächt. Die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) und einige rohstoffreiche Länder wie die OPEC-Staaten haben sich größere Freiräume geschaffen. Auch Deutschland als EU-Führungsmacht hat mehr Gewicht in der Weltarena. Durch die große Rolle der Industrie in der deutschen Ökonomie kann diese in einer Periode zweifelhafter Erträge im Finanzbereich stabile Gewinne garantieren und ist damit eindeutig ein Gewinner der Krise, speziell im Verein mit den vorgenannten Regionen. Damit ist aber auch das Geflecht der inner-imperialistischen Beziehungen aus dem Gleichgewicht geraten.
- Aufgrund der immer strikter werdenden Vorgaben der Finanzmärkte werden bürgerlich-demokratische Institutionen zur offensichtlichen Farce: Regierungen werden unabhängig von Wahlen eingesetzt, Regierungsprogramme werden mehr oder weniger von offenen Agenturen des großen Finanzkapitals bestimmt. Wir erleben wir eine neue Form autoritärer Krisenpolitik, während neue nationalistische, rassistische oder auch faschistische Gruppierungen die politische Stabilität des bürgerlichen Parlamentarismus von der anderen Seite untergraben. So sind autoritäre EU-Austeritäts-Technokratie und chauvinistische Anti-EU-Populisten zwei Seiten einer Medaille.
Die Weltkonjunktur
Die gegenwärtige Periode ist weder von den üblichen Konjunkturzyklen noch von neuen Regelmäßigkeiten geprägt. Die Märkte sind hoch politisch. Gerade weil die Finanzierungsbedingungen kapitalintensiver Industrien ebenso vom Aufbringen von Kapital an entsprechenden Märkten abhängen, schlagen die Turbulenzen auf den Finanzmärkten in kurzer Zeit auch in die "Realwirtschaft" durch.
Ende 2011 schien es, als ob die Erholungsphase nach der Weltrezession 2009 vorbei sei, und die Weltwirtschaft geradewegs auf den "Double-Dip", einen erneuten tiefen Einbruch zusteuern würde. Heute wird klar, dass stattdessen eher eine Stagnationsphase begonnen hat, deren Merkmale u.a. sind:
- Die "Politik des lockeren Geldes" wurde, nachdem sie schon in USA und GB zu einer zeitweiligen Beruhigung der Finanzmärkte geführt hat, auch von der EZB übernommen. Zusammen mit der Ausweitung der europäischen Sicherungsmechanismen auf über eine Billion Euro und dem Management des Griechenland-Schuldenschnitts, hat dies zunächst den Zusammenbruch des Euro verhindert. Doch die Rettungsmaßnahmen kamen nicht den notleidenden Ökonomien in Griechenland, Spanien oder Portugal zu Gute, sondern sicherten die Bankensysteme dieser Länder und v.a. die dortigen Anlagen der Finanzmärkte.
- Für Export-Ökonomien wie Deutschland sind günstige Zinsen (v.a. für Unternehmensanleihen) und der relativ niedrige Euro ein starkes Konjunkturprogramm. Dazu kommt die leichte Erholung (2% BIP-Wachstum) durch Förderprogramme in den USA. Der steigende Export in die USA konnte die Abschwächung der Ausfuhren in die Schwellenländer (v.a. China und Brasilien) ausgleichen.
- In einigen Ländern, darunter Deutschland, haben durch bessere Export-Aussichten und günstige Binnennachfrage auch die Investitionen wieder angezogen. Dies hat insgesamt zu einem optimistischen Frühjahrsgutachten der deutschen Wirtschaftsinstitute geführt, die ihre Wachstumsprognosen leicht nach oben korrigiert haben (0,9% für 2012).
Gleichzeitig ist klar, dass viele Faktoren zu einem erneuten Abschwung führen können: die Euro-Krise ist noch lange nicht ausgestanden, in vielen EU-Ländern herrscht Rezession und die Sparhaushalte verschärfen diese noch, steigende Öl- und Rohstoffpreise werden zu ernsten Risiken, die Erholung der USA steht auf schwachen Beinen, die geldpolitischen Rettungsmaßnahmen können schnell zum Krisen-Bumerang werden, die Abschwächung der Nachfrage aus den Schwellenländern kann sich fortsetzen etc. Politische Ereignisse, wie ein Iran-Krieg oder eine Zuspitzung der politischen Situation in Ländern wie Griechenland können schnell auch auf diese instabilen wirtschaftlichen Zusammenhänge Auswirkungen haben.
EU-Krise und Neuordnung der Weltmärkte
Länder wie Griechenland, Portugal oder Irland stehen vor einem oder mehreren Jahrzehnten des Sparens und des Absturzes auf das soziale Niveau von Ländern wie Rumänien. Die Vertiefung der Eurokrise ist eine Manifestation der historischen Krise des kapitalistischen Systems.
Hintergrund der Krise des EU-Südens ist sicher deren Produktivitätsgefälle zu den zentralen Industrie-Ökonomien wie Deutschland - und dies innerhalb eines Währungsraumes. Günstige Zinsen und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Ökonomien, sowie der Wegfall als Billiglohnstandort aufgrund z.B. der osteuropäischen Alternativen, führten zu massiven Handelsbilanzdefiziten. Die Flucht der Finanzmärkte aus "Risiko-Papieren" nach der Kreditklemmen-Krise musste unweigerlich diese strukturelle Schwäche der Euro-Konstruktion aufdecken.
Die nunmehr in den betroffenen Ländern durchgeführten "Strukturreformen" zielen u.a. auf eine massive Zerstörung noch vorhandenen eigenständigen Kapitals und eine massive Entrechtung von Gewerkschaften. Letztlich markiert diese Entwicklung eine Kolonialisierung dieser Länder durch die zentralen EU-Kapitale, v.a. des deutschen. Das "Spardiktat" von EU-Führung und BRD-Kapital ist nur vordergründig einfach Austeritätspolitik. Damit einher gehen grundlegende "Reformen" wie die Aufweichung des Kündigungsschutzes und von Tarifsystemen, Lohnsenkungen, Massenentlassungen im öffentlichen Dienst, Renten"reformen", Streichung von Sozialleistungen, Privatisierungen usw.
Auch wenn mit dieser Krise wichtige Export-Märkte für das deutsche Kapital einbrechen und so ein lukratives Geschäft mit deren Verschuldung tw. verloren geht, eröffnen sich mit dieser Politik langfristig neue Investitionsfelder für Billiglohnsektoren in der unmittelbaren Peripherie.
Außerdem konnte das deutsche Kapital während der Krise in wesentlichen Sektoren (z.B. Automobil-, Maschinenbau-, Chemie) gegenüber Konkurrenten Marktanteile gewinnen und sich größere Exportalternativen sichern. Von einer gesicherten EU-Basis aus strebt das deutsche Kapital offensichtlich in wirtschaftlicher Kooperation speziell mit China und Russland eine Neuordnung der Weltmärkte zu Lasten der USA an. Dies ist sicher auch der zentrale Konflikt der nächsten Jahrzehnte.
Von daher ist auch klar, dass die wesentlichen Kräfte des deutschen Kapitals die EU und letztlich auch den Euro um jeden Preis verteidigen und neu ordnen wollen. Dies verlangt weiter eine enge Kooperation mit Frankreich, eine gewisse Ausgrenzung von Britannien und die Halbkolonisierung der schwächeren EU-Staaten, wie sich dies im "Fiskalpakt" abzeichnet. In der Außenpolitik wird es zu weiteren Parallelgängen zu China und Russland kommen, wie sich auch das eigenständige militärische Engagement verstärken wird. Auch die "Sicherung der EU-Außengrenze" wird zur Ausweitung von Repressions-Instrumenten speziell unter deutscher Federführung führen. Insgesamt müssen wir uns auf einen aggressiveren deutschen Imperialismus mit wachsendem internationalen ökonomischen und politischen Gewicht einstellen.
Allerdings ist diese Perspektive an eine wesentliche Bedingung geknüpft: die Bewältigung der Euro-Krise - und die ist nicht in Sicht. Die derzeitige deutsche EU-Strategie, die sich im "Fiskalpakt" äußert, ist nicht geeignet, die Krise mittelfristig zu entschärfen. Keines der qualitativen Probleme der EU-Konstruktion (wirtschaftliche Ungleichgewichte, keine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik etc.) wird dadurch angegangen (wie dies z.B. in einer auf "Eurobonds" basierenden Politik angelegt wäre). Im Prinzip geht es bei dieser Strategie um die Aufrechterhaltung der EU als Staatenbund unter noch stärkerer Dominanz der deutschen Finanzpolitik. Dies begünstigt zwar die Konkurrenzbedingungen des deutschen Kapitals und auch die Finanzierungsbedingungen des deutschen Staates (niedriges Zinsniveau). Andererseits destabilisiert es die EU-Peripherie immer mehr und führt zu deren wirtschaftlichem Abstieg. Auch wenn dies langfristig zu einem für das deutsche Kapital günstigen Umbau der EU führen kann, ist dies mit enormen Risiken für politische und wirtschaftliche Krisen verbunden, die den ganzen EU-Raum und die Existenz des Euro/EU-Projekts gefährden können.
Das deutsche Kapital als vorläufiger Krisengewinner
Während in Griechenland 10% der Bevölkerung inzwischen ohne jedes offizielle Einkommen sind, feiern VW und BMW zusammen 2011 einen Rekordgewinn von 23 Mrd. Euro - ein Betrag, mit dem man das griechische Staatshaushaltsdefizit von 21 Mrd. Euro locker bezahlen könnte.
2010/11 zeichneten sich durch enorme Gewinnsteigerung der großen deutschen Industriekonzerne aus. Ihnen ist es gelungen, in bestimmten kapitalintensiven Produktionsbereichen mit hohem Fachkräfteanteil, aber stetig gesunkenen Lohnstückkosten, einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen. Dazu kommt eine billige "verlängerte Werkbank" speziell in Osteuropa und einigen EU-Ländern, sowie ein langfristig aufgebautes weltweites Netz von Direktinvestitionen zur Absatzsicherung. Aufgrund des frühzeitigen Anlaufens der Produktion nach der Krise 2008 konnten Marktanteile gewonnen werden. Deutschland ist, was die Exportüberschüsse betrifft, weiterhin mit Abstand "Exportweltmeister" und profitiert somit von der weltweiten Verschuldungsmisere.
Aufgrund der satten Gewinnperspektive der deutschen Industrie ist diese auch ein Magnet für das verzweifelt nach profitabler Anlage suchende, durch die Zentralbankpolitik aufgeblähte Finanzkapital. Der an Kapital führt auch zu einer Stärkung des deutschen Finanzkapitals.
Das deutsche Kapital ist also tatsächlich gestärkt aus der Krise hervorgegangen und baut seine Rolle in der EU und der Welt weiter aus. Zu spüren bekommen das die schwächeren EU-Staaten - aber auch die eigene Arbeiterklasse.
Krisenbewältigung auch auf Kosten des deutschen Proletariats
Zentral für die Stärkung der Position des deutschen Imperialismus war die enorme Steigerung der Ausbeutungsrate der Arbeiterklasse. Stagnierender Lohnentwicklung und sinkenden Lohnstückkosten standen hier enorme Produktivitätsgewinne gegenüber: die Arbeitsproduktivität je Stunde stieg im letzten Jahrzehnt jährlich um etwa 2%, in der Industrie gab es sogar 2-stellige Zuwachsraten. Dazu stieg die Höhe der tatsächlichen wöchentlichen Arbeitszeit und die reale Nettolohnentwicklung sank in den letzten 10 Jahren um 3,3%.
Entscheidend sind aber nicht die unmittelbaren Lohnhöhen - entscheidend ist das starke Zurückbleiben der Lohnentwicklung gegenüber der Produktivitätssteigerung. Dahinter verbirgt sich eine immer intensivere, psychisch und körperlich anstrengendere Arbeit. Massiv ausgedehnte Niedriglohn-Maloche und höher-bezahlte, Burnout-gefährdete Instensiv-ArbeiterInnen sind die beiden Quellen des "Wohlergehens" des deutschen Kapitals.
Mit der Erholung der deutschen Ökonomie nach der Krise sanken in Deutschland auch die offiziellen Arbeitslosenzahlen. Doch der Beschäftigungsaufbau betrifft v.a. Bereiche der Leiharbeit, der befristeten Beschäftigung und des Niedriglohnbereichs. Fast ein Viertel der Beschäftigten arbeiten heute in diesem Bereich, 34% der abhängig Beschäftigten verdienten 2010 unter 1.100 Euro im Monat. Zudem sind gerade die unteren Einkommensgruppen besonders von Teuerung betroffen.
Dabei waren es in den letzten 10 Jahren gerade die unteren Einkommensgruppen, die besondere Reallohnverluste hinnehmen mussten. Die oberen Einkommensgruppen unter den abhängig Beschäftigten haben zwar leichte Reallohnsteigerungen erlebt, waren aber zugleich stark von der Intensivierung der Arbeit betroffen. Die Spaltung der Klasse in "Kernbelegschaften" und "Prekäre" war für das Kapital enorm erfolgreich.
Besonders betroffen ist die Jugend. In Südeuropa wird von einer "verlorenen Generation" geredet, Spanien hat z.B. eine Jugendarbeitslosigkeit von ca. 45%. Lt. einer DGB-Studie sind auch hierzulande nur 30% der ArbeiterInnen unter 30 in Vollzeit und unbefristet beschäftigt, bei 54% der Beschäftigten unter 30 wird von prekären Arbeitsverhältnissen ausgegangen. Gleichzeitig werden Praktika ausgeweitet, zusammen mit dem "Bundesfreiwilligendienst" und dem "sozialen und ökologischen" Jahr wurde ein massiver Niedriglohnsektor für junge Beschäftigte geschaffen.
Ebenso sind Frauen im Niedriglohnsektor und in der Teilzeit überdurchschnittlich hoch repräsentiert. Von den beschäftigten Frauen sind 38% in Teilzeit beschäftigt, Tendenz steigend. Frauen werden v.a. auch durch Kinderbetreuung und Hausarbeit massiv in die Teilzeit gedrängt, besonders im Dienstleistungssektor.
Andererseits werden auch Fachkräfte entlassen oder ausgelagert, um sie als "freie Mitarbeiter" ohne tarifliche und unbefristete Arbeitsverträge weiterzubeschäftigen. Auch die "geregelte" Zuwanderung von MigrantInnen führt zur Selektion in "brauchbare" und "unbrauchbare" Arbeitskräfte!
Die Burgfriedenspolitik des Reformismus
Ermöglicht wurde diese soziale Abwärtsentwicklung durch die fatale Krisenpartnerschaft von Kapital und Gewerkschaftsführung. Mit der Durchlöcherung der Tarifverträge (Pforzheimer Abkommen), wiederholten Kompromissen zur "Standortsicherung", der Umwandlung von Teilen der Belegschaft in LeiharbeiterInnen und letztlich der Hinnahme der Agenda-Reformen hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Gewerkschaften zumindest soweit verschoben, dass Tarifverträge für eine beträchtliche Zahl von Beschäftigten nicht mehr oder nur tw. wirksam sind. Dadurch werden auch die Arbeits- und Kampfbedingungen für die Kernbelegschaften schwieriger.
Infolgedessen kam es, v.a. im Zusammenhang mit der Agenda-Politik, zu einer beträchtlichen Entfremdung von Teilen der GewerkschaftsaktivistInnen von der SPD. Auch die Gewerkschaftsführungen konnten hier nicht anders, als in bestimmten Ausmaß in Konflikt mit "ihrer" Partei zu geraten. Trotzdem wurde der Kampf nicht mit der Entschiedenheit geführt, die möglich und notwendig gewesen wären. Resultat dieses Zerwürfnisses war letztlich die Etablierung der LINKEN als linksreformistische Partei - als politisches Standbein des linken Flügels der Bürokratie.
Mit der Krise setzte sich endgültig der rechte Gewerkschaftsflügel durch als Co-Manager des zu sichernden "Standorts Deutschland". Durch diese "Burgfriedenspolitik" sind die Gewerkschaftsführungen und speziell die Betriebsratsbürokratien der Großkonzerne heute noch enger mit dem Industriekapital verbunden. Auf politischer Ebene drückt sich dies durch die Rückendeckung für den EU-Kurs der Bundesregierung und das Stillhalten in fast allen sozialpolitischen Themen aus. Einem politischen Konflikt gegenüber der Sparpolitik der Bundesregierung wird konsequent ausgewichen. Kleinere "Korrekturen", z.B. bei Mindestlohn, Leiharbeit und Steuerpolitik will man durch das Zusammenrücken mit der SPD erzielen.
Auch wenn die Sparhaushalte der Bundesregierung gegenüber denen anderer EU-Staaten nicht so dramatisch ausfielen, so sind die Spardiktate ("Schuldenbremse") besonders in den Kommunen ein beständiger Angriff auf die Soziallöhne der Arbeiterklasse. Doch in Bezug auf diese Sparpolitik gibt es von Seiten der Gewerkschaftsführungen wie der SPD nicht nur keine Gegenwehr - letztlich wird der "Sachzwang" der Haushaltskonsolidierung im Rahmen der EU-Rettung akzeptiert. So sind die reformistischen Führungen in Gewerkschaften und SPD zum Haupthindernis für wirksamen Widerstand.
Dies heißt aber nicht, dass es für reformistische Politik in Deutschland keinen Spielraum mehr gäbe. Gerade die Erfolge der letzten Jahre ermöglichen es dem Kapital sehr wohl, Zugeständnisse in Bezug auf Einkommenszuwächse bestimmter Sektoren der Klasse als auch bei Fragen wie Mindestlohn oder Regulierung von Leiharbeit zu machen. Auch würde die Komplementierung von Sparpolitik mit Konjunkturprogrammen ("Wachstumsagenda") auf europäischer Ebene durchaus im Interesse des deutschen Export-Kapitals liegen. Insofern wäre für die deutsche Bourgeoisie eine fortgesetzte Einbindung von Gewerkschaftsbürokratie und SPD (z.B. in Form einer Großen Koalition) von Vorteil.
Die reformistischen Rezepte gegen die EU-Krise ergeben durchaus neue politische Möglichkeiten für Kräfte wie SPD, Linkspartei oder Attac. Dabei stehen Konjunkturprogramme für eine "Ergänzung der Sparpolitik um eine Wachstumskomponente" im Vordergrund. Klar ist aber, dass solche Programme wiederum an den Finanzmärkten finanziert werden und für diese neue Anlagemöglichkeiten schaffen. Somit bieten sie eben keinen Ausweg aus den Zwängen der Finanzmarkt-Vorgaben. Das gilt auch für die Vorschläge zur "Regulierung der Finanzmärkte" und die "Überprüfung der Schulden", wie sie etwa von Attac oder der LINKEN vorgebracht werden. Weder eine Finanztransaktionssteuer noch ein Verbot bestimmter spekulativer Geschäfte könnte an den Grundproblemen auch nur irgendwas ändern.
Krise der bürgerlichen Führung in Deutschland
Trotz der Erfolge ist das derzeitige Erscheinungsbild der politischen Führung der deutschen Bourgeoisie schlecht. Das EU-Krisenmanagement von Merkel ist eher ein Stolpern von Krise zu Krise. Der "Fiskalpakt" kann zwar die deutsche Führung in der EU festigen - doch er kann die EU-Krise nicht eindämmen und führt zu hohen Stabilisierungskosten. Eine Alternative zu mehr EU-Integration (Stichwort "Euro-Bonds") wäre zwar mit SPD/Grünen umsetzbar, ist aber derzeit sicher in der deutschen Bourgeoisie und im Kleinbürgertum nicht mehrheitsfähig.
Der Sieg bei den letzten Bundestagswahlen schien die FDP stark zu machen. Doch ihr Erfolg - die Ausrichtung auf die "gehobenen" Kleinbürger und gutsituierte Mittelschichten - war abhängig vom Erfolg des neoliberalen Modells, das in der Krise nicht mehr aufrecht erhaltbar war.
Im Gegenteil: als herrschender EU-Imperialismus war die BRD-Regierung gezwungen, im Interesse des EU-Blocks Politik zu machen, bei dem nicht sicher war und ist, ob die Krise überstanden wird. Gerade diese Politik der Krisenlösung, inklusive des Eingreifens der EZB für die Staatsanleihen bedrohter Staaten, trägt erste Züge einer akkordierten, europaweiten Kapitalstrategie, die auch auf Kosten bestimmter Kapitalfraktionen gehen kann, wie z.B. des Kleinbürgertums. Das Dilemma der FDP war und ist, in dieser Situation für keine soziale Klasse oder Klassenfraktion eine befriedigende Perspektive zu bieten. Insofern ist die FDP in einer permanenten Abwärtsbewegung und kann froh sein, wenn sie überhaupt noch in Parlamente kommt. Angesichts dieser Schwäche eines Teils der Regierung ist eigentlich nur noch die Frage, ob diese Koalition bis zu den geplanten Wahlen 2013 durchhält. Wichtige Teile der herrschenden Klasse bereiten sich daher auf eine Große Koalition nach den nächsten Bundestagswahlen vor.
Zentrale politische Projekte
Schwerpunktthemen auf Regierungsebene werden im nächsten Jahr sein:
- Stabilisierung des Euro und Eindämmung der EU-Schuldenkrise; Durchsetzung des Fiskalpakts;
- Fortsetzung der "Haushaltskonsolidierung" und Durchsetzung der "Schuldenbremse";
- Abwälzung der Kosten des Gesundheitssystems auf die abhängig Beschäftigten;
- Steuerreformen zu Gunsten des Kapitals;
- Ausdehnung der Einsatzbereitschaft des deutschen Militärs im Ausland;
- Vertiefung der Partnerschaft mit den BRIC-Staaten;
- Stärkung der Repressionsapparate und Hetze gegen MigrantInnen;
- Moderierter "Atomausstieg" unter Regie der großen Energie-Konzerne ("Energiewende");
- Fortsetzung einer reaktionären Familienpolitik (z.B. Betreuungsgeld).
Perspektiven des Widerstands
Unsere Perspektive für den Widerstand gegen die Krisenpolitik ist weiterhin die Notwendigkeit des Aufbaus einer europaweiten und internationalen Massenbewegung. Massendemonstrationen und Besetzungsaktionen sind da sicher ein erster Schritt.
Um gegen die Abwälzung der Krisenlasten erfolgreich zu sein, müssen wir uns jedoch auch fragen, welche gesellschaftliche Kraft, welche Klasse letztlich in der Lage ist, die Angriffe abzuwehren und die Reichen dazu zu zwingen, für ihre Krise selbst zu zahlen? Es ist die Arbeiterklasse, die Klasse der Lohnabhängigen, die gezwungen ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, die den Reichtum dieser Gesellschaft hervorbringt und die gleichzeitig auch die Macht hat, die Produktion, die Profitwirtschaft zum Stillstand zu bringen - durch Betriebsbesetzungen und Streiks bis hin zum Generalstreik.
Doch das heißt auch, dass wir uns politisch auf die Gewinnung der arbeitenden Bevölkerung und ihrer Organisationen - allen voran der Gewerkschaften - orientieren müssen. Es führt kein Weg daran vorbei, in den Betrieben, in den Gewerkschaften für einen Kurswechsel einzutreten, für eine Politik des Klassenkampfes und den Aufbau einer Basisopposition.
Die drohende soziale Katastrophe bedeutet einen Generalangriff auf die Masse der Bevölkerung, allen voran die Lohnabhängigen. Um ihn abzuwehren, werden politische Massenstreiks und Generalstreiks zentrale Mittel sein. Ein Schritt dazu sollte ein europaweiter Streik- und Aktionstag mit einem europaweiten Generalstreik gegen die Kürzungs- und Kahlschlagprogramme der europäischen Regierungen - allen voran der deutschen Imperialisten -, der EU, der EZB und des IWF sein.
Übergangsforderngen
Die Krise erfordert auch eine politische Antwort, ein Übergangsprogramm, das vom Kampf gegen die aktuellen Angriffe zum Kampf um die Macht führt. Ein solches Programm erfordert eine Organisation, die dafür kämpft, den Aufbau einer politisch klaren, revolutionären, kommunistischen Partei und Internationale. Die Gruppe Arbeitermacht und die "Liga für die Fünfte Internationale" sind heute keine Parteien, sondern kämpfende Propagandaorganisationen. Die gegenwärtige Krise wird jedoch immer wieder zu Krisen und Erschütterungen in der Arbeiterbewegung führen wie zur Zeit die Krise in der Linkspartei und auch im autonomen Spektrum. Sie wird zur Bildung von Umgruppierungsprojekten wie z.B. der "Neuen antikapitalistischen Organisation" führen. Als RevolutionärInnen stehen wir vor der Aufgabe, in diese Bewegungen einzugreifen, indem wir taktische Flexibilität und die Bereitschaft zur politischen Zusammenarbeit und solidarischen Diskussion mit Prinzipienfestigkeit und dem offenen Kampf für ein revolutionäres Programm verbinden.
Aus den politisch-ökonomischen Perspektiven der Gruppe Arbeitermacht, beschlossen von der Jahreskonferenz im Juni 2012, Neue Internationale 171, Juli/August 2012
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen