Donnerstag, 24. Oktober 2013

Union wird ... alles tun um den ziemlich künstlichen Effekt von Niedriglohnjobs zu erhalten, um angebliche Erfolge am Arbeitsmarkt weiter vorzutäuschen

 
 
global news 2997 21-10-13:
 
Mindestlöhne von nur 8,50 Euro allein bringen keinen Wirtschaftsboom und sind doch dringend nötig
 
[via jjahnke.net]
 
 

Die Verteidiger von Mindestlöhnen sollten sich nicht mit falschen Federn schmücken, wie dem vorausgesagten starken positiven Effekt auf die Volkswirtschaft. Auch ohne den müssen Mindestlöhne schon aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit und des sozialen Anstands kommen. Und um zu verhindern, daß Löhne mit Steuergeld aufgestockt und Arbeitgeber im Ergebnis subventioniert werden. Und sie müssen auch dann noch kommen, wenn einige Arbeitsplätze verloren gehen, was durchaus wahrscheinlich ist. Dabei wären 8,50 Euro pro Stunde zu niedrig, da dann auch nach 40 Versicherungsjahren nur eine kümmerliche Rente von 460 Euro herauskäme, die aus Steuergeldern aufgestockt werden müßte. In Luxemburg, Frankreich, Belgien, Niederlande und Irland liegt der Mindestlohn über 8,50 Euro und selbst unter Berücksichtigung der Kaufkraftunterschiede ist er in Frankreich etwas höher.

Bei der volkswirtschaftlichen Beurteilung hilft eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) . Danach würde ein Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde 17 % der Erwerbstätigen oder fast sechs Millionen Arbeitnehmer betreffen, die weniger als 8,50 Euro verdienen und bei denen der Bruttostundenverdienst im Durchschnitt um 35 % erhöht würde, wenn sie in derselben Beschäftigung verbleiben würden.

Das sind nach meiner Rechnung durchschnittlich 2,20 Euro pro Stunde oder bei einer durchschnittlichen Stundenzahl pro Jahr von etwa 1000 (der Durchschnitt für alle Arbeitnehmer liegt bei 1360, aber Geringverdiener haben sehr oft nur Teilzeitjobs) sind das pro Arbeitnehmer 2.200 Euro pro Jahr an zusätzlichem Verdienst, von dem sich dann die Steuer noch einiges holt. Bei 6 Mio betroffenen Arbeitnehmern wären das vor Steuer etwa 13 Mrd Euro pro Jahr. Gemessen an der jährlichen deutschen Wirtschaftsleistung ergäbe sich ein Plus von maximal gerade einmal 0,5 %. Dabei ist jedoch weiter zu berücksichtigen, daß dieser Personenkreis beim Einkauf zu einem erheblichen Teil auf importierte Billigware ausweicht, von der die deutsche Wirtschaft wenig hat. Man sollte also den wirtschaftlichen Positiveffekt für die Gesamtwirtschaft nicht überschätzen. Sehr viel wichtiger wäre es, das allgemeine Lohnniveau anzuheben!

Auch das DIW warnt vor übermäßigen Erwartungen: "Werden die durch einen allgemeinen Mindestlohn entstehenden zusätzlichen Lohnzahlungen in Relation zur gesamten Lohnsumme gesetzt, ergäbe sich bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro für Deutschland ein Anstieg der Bruttolöhne (berechnet anhand von Monatslöhnen, ohne Sonderzahlungen) von nominal gerade einmal drei Prozent. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wäre schon deshalb kein Kaufkraftschub zu erwarten."

Der positive gesamtwirtschaftliche Effekt von Mindestlöhnen würde weiter in dem Maße vermindert, wie es zu einer regionalen Differenzierung (z.B. Ost-West) mit entsprechender Unterschreitung von 8,50 Euro kommen sollte und wenn Arbeitsplätze verloren gehen oder die Beschäftigung auf den Schwarzmarkt (Arbeitskräfte aus Osteuropa) oder in Minijobs verlagert wird. Vor allem steigert die deutsche Wirtschaft ständig ihre Produktivität, indem Arbeit durch billigere Automaten ersetzt wird. Vor allem gering qualifizierte Jobs sind diesem Prozeß unterworfen. Seit dem Jahr 2000 ist die Produktivität um rund 14 % gestiegen, seit dem Jahr 1970 sogar um 85 % und vieles davon ist das Ergebnis des Einsatzes von Automaten. Auch das DIW neigt zur Vorsicht: "Allerdings kann ein Mindestlohn trotz konstantem beziehungsweise gestiegenem Beschäftigungsvolumen Substitutionsprozesse und eine hohe Arbeitsmarktdynamik auslösen. Damit bringt ein Mindestlohn nicht nur Gewinner, sondern auch Verlierer hervor, die aufgrund ihrer geringen Produktivität beziehungsweise Entlohnung die eigentlichen Adressaten des Minimallohns waren."

Die in Deutschland nachgefragte Zahl an Arbeitsstunden ist seit 1991 auch wegen der Automatisierung weiter zurückgegangen. Sie wäre noch stärker gefallen, wenn Deutschland nicht einen wuchernden Niedriglohnsektor aufgebaut hätte. Mindestlöhne würden einen nicht zu quantifizierenden Teil dieser Jobs wieder zurücknehmen. Das ließe sich nur verhindern, wenn entweder die Wochenarbeitszeit verkürzt würde oder die Lebensarbeitszeit nicht durch Verschiebung des Renteneintrittsalters noch verlängert würde oder wenn durch ein weit besseres Bildungssystem die Zahl der niedrig Qualifizierten vermindert würde oder wenn Dumpingimporte aus Niedrigstlohnländern, wie China, verhindert würden oder wenn der Produktivitätsfortschritt zum Ausgleich dafür, daß Automaten keine Sozialversicherungsbeiträge erbringen, besteuert würde. Doch das sind alles Schritte, an die derzeit niemand denkt.

Auch denkt niemand in der deutschen Politik an das skandinavische Vorbild. Der Niedriglohnanteil liegt beispielsweise in Schweden bei 2,5 % gegenüber 22,2 % in Deutschland (Abb. 15972, 18223). Das wird durch von den Gewerkschaften vereinbarte Mindestlöhne - also keine gesetzlichen Mindestlöhne - erreicht. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist dort erheblich höher (Abb. 18204, 15690), während in Deutschland bei niedrigem Organisationsgrad auch noch die Tarifbindung der Unternehmen immer mehr absinkt (Abb. 17018). Hinzu kommt eine in Skandinavien viel niedrigere Lohndiskriminierung der Frauen (Abb. 14224s).

Zudem senkt das weit bessere skandinavische Bildungssystem den Anteil der gering Qualifizierten. Der Anteil der Bevölkerung mit Hochschulbildung ist weit höher als in Deutschland (Abb. 18145s). Anders als das deutsche, sind die skandinavischen Schulsysteme auf Aufstieg programmiert. Der Anteil der jungen Erwachsenen, die ein höheres Bildungsniveau erreichen als ihre Eltern, ist höher als der Anteil der jungen Erwachsenen, die ein geringeres Bildungsniveau erreichen, bei Schweden z.B. um 34 %. In Deutschland ist dies jedoch nicht der Fall: 20 % der 25- bis 34-Jährigen, die nicht mehr an Bildung teilnehmen, ist es gelungen, ein höheres Bildungsniveau zu erreichen als ihre Eltern, wohingegen 22 % dieser Altersgruppe ihre Ausbildung mit einem niedrigeren Niveau abgeschlossen haben (Abb. 15954s).
Der öffentliche Beschäftigungsanteil von Bildung, Gesundheits- und Sozialarbeit, andere Gemeindearbeit, soziale und persönliche Dienste ist in Skandinavien mit über 30 % um 8 Prozentpunkte höher (Abb. 13675, 18198). In den öffentlichen Bereichen ist auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad besonders hoch. Schwerpunkt sind soziale und kulturelle Dienstleistungen aller Art, die der Gesamtbevölkerung zur Nutzung offen stehen. Für die Akzeptanz der hohen Abgabenlast bei aufstrebenden Mittelschichten ist das öffentliche Dienstleistungsangebot sehr wichtig, weil z.B. jeder Bürger weiß, egal was passiert, bei Bedarf und im Alter habe ich gegenüber meiner Kommune Anspruch auf hochwertige ambulante wie stationäre Pflegeleistungen.
Die Union wird wahrscheinlich alles tun, um den ziemlich künstlichen Effekt von Niedriglohnjobs zu erhalten, um angebliche Erfolge am Arbeitsmarkt weiter vorzutäuschen.

Worauf es in Deutschland vor allem ankommt, ist eine Anhebung des allgemeinen Lohnniveaus kombiniert mit einem weit sozialeren Steuersystem. Man kann nur hoffen, daß flächendeckende Mindestlöhne auch zu einer Anhebung des allgemeinen Lohnniveaus beitragen würden. Wichtiger noch wäre allerdings eine Korrektur an Hartz-4, weil der Absturz auf Sozialhilfeniveau nach nur einem Jahr Arbeitslosigkeit der Hauptdruckpunkt ist, der die Arbeitnehmer motiviert, sich mit niedrigeren Löhnen abzufinden und die Gewerkschaften entsprechend schwächt.

 



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