Dienstag, 2. März 2010

"Industrie gegen Datenkontrolle" (Tagesspiegel vom 02.03.2010)

 
 

 


Cebit

Industrie gegen mehr Datenkontrolle

In der Debatte um mehr Datensicherheit im Internet hat die IT-Branche die Bundesregierung scharf angegriffen: Verbandschef Scheer schimpfte zum Auftakt der Computermesse Cebit über "Politiker, die Ängste schüren". Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger will die Sammelwutdes Staates einschränken.
 

2.3.2010 0:00 Uhr
 

 
Berlin/Hannover - In der Debatte um mehr Datensicherheit im Internet hat die IT-Branche die Bundesregierung scharf angegriffen. Der Präsident des Branchenverbandes Bitkom, August-Wilhelm Scheer, schimpfte zum Auftakt der weltgrößten Computermesse Cebit am Montag über „Spielverderber, die auf der Tribüne sitzen" und „Politiker, die Ängste schüren". „Datenschutz ist wichtig", sagte er. Aber die Schutzargumente würden überbetont. „Wir dürfen nicht nur darüber reden, wie man was verbieten kann."
 
Der Verbandschef reagierte damit auf die wachsende Kritik der Bundesregierung an der Datensammelwut von Unternehmen im Internet. Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hatte wiederholt Google für sein Straßenbildprojekt „Street View" kritisiert und die Bürger aufgefordert, der Veröffentlichung von Fotos ihrer Häuser im Internet zu widersprechen. Viele haben das getan. Auf Tagesspiegel-Anfrage erklärte Google, es gebe „mehrere tausend Widersprüche". Nach Auffassung der rheinland-pfälzischen Landesregierung verstößt das Vorhaben gegen deutsches Recht. In der wissenschaftlichen Vorlage des vom Mainzer Justizministerium in Auftrag gegebenen Gutachtens wird kritisiert, dass die Rohversion der Aufnahmen nicht anonym in die USA geschickt werde.

„Wir sprechen jetzt innerhalb der Bundesregierung, mit Datenschützern und den Unternehmen, wie mit den bereits gewonnenen Daten und den Widersprüchen umgegangen wird", sagte Aigners Sprecher Holger Eichele. Ministerin Aigner befürchtet, dass Unternehmen wie Facebook, Google, Apple oder Microsoft im Internet Persönlichkeitsprofile erstellen könnten, mit denen sich viel Geld verdienen lasse. Das sieht auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar so. „Nicht die Aufnahmen sind gefährlich, sondern die Verwendung der Daten", sagte Schaar dem Tagesspiegel. „Wie und wo man wohnt, kann Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse zulassen. Das kann bei Kreditanfragen eine Rolle spielen oder bei der Suche nach einem Arbeitsplatz", warnte Schaar.

Schaar begrüßte den Vorstoß von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, dass Unternehmen künftig den Bürgern einmal im Jahr Auskunft über gespeicherte Daten geben sollen. Allerdings müssten für die Wirtschaft und den Staat gleiche Maßstäbe gelten, betonte Schaar. Auch Falk Lüke, IT-Experte des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, sieht den Staat in der Pflicht. „Der Staat nimmt eine Vorreiterrolle ein", sagte er dieser Zeitung.

Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) will staatliches und privates Datensammeln einschränken. Dem Tagesspiegel sagte sie: „Politisch gehört der Datenschutz im öffentlichen wie im nichtöffentlichen Bereich zusammen betrachtet." Der Staat habe seit dem 11. September 2001 immer mehr Datenberge angelegt. Jetzt komme es darauf an, staatliches und privates Datensammeln einzuschränken. „Es reicht nicht aus, wenn die Politik mit erhobenem Zeigefinger auf die Wirtschaft zeigt. Alles, was die Transparenz im Umgang mit Daten stärkt, geht in die richtige Richtung. Der Datenbrief kann eine sinnvolle Ergänzung sein, wenn er technisch machbar ist", sagte die Ministerin.



(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 02.03.2010)
 

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