Donnerstag, 8. April 2010

Der "soziale Unternehmer" ist derzeit ein Schlagwort. Aber - gibt es ihn wirklich? (Kurskontakte 164)


Wirtschaft als Weltverschönerung

erschienen in Ausgabe 164  PDF-Version (180.78 KB)
Gibt es kulturkreative Wirtschaftsimpulse?

Der "soziale Unternehmer" ist derzeit ein Schlagwort. Aber – gibt es ihn wirklich? Und wird alles besser, wenn nur genügend Frauen und Männer alternative Unternehmen gründen? Unsere Redakteurin Lara Mallien sucht Antworten.

Krise, Krise überall – Finanzkrise, Weltwirtschaftskrise. Auf "Spiegel online" lesen wir, dass die Zahl der unter 25-jährigen Arbeitslosen in Deutschland von gut 291 000 auf mittlerweile 367 000 gestiegen ist. Dennoch bleibt diese Krise seltsam fern: Der Tisch ist gedeckt, das Auto nach wie vor mit einem endlichen Rohstoff betankt, die Menschen planen weiterhin neue Projekte und passen sich den leicht veränderten Gegebenheiten an. Auch wir, die Verleger unter anderem von KursKontakte, müssen die wirtschaftliche Struktur der Zeitschrift neu erfinden. Bei Licht betrachtet, werden wir ökonomischer – statt den Ausstieg aus der "bösen" kapitalistischen Wirtschaft zu planen, steigen wir sogar noch intensiver ein. Wäre es aber angesichts der Krise nicht Zeit für einen Ausstieg?
Das Gegenteil scheint angebracht: Schließlich stellt der Impuls, sich selbst immer wieder neu zu erfinden, die eigentliche Wirtschaftskraft dar – der menschliche Erfindungsgeist, der mit unterschiedlichsten, auch extremen Rahmenbedingungen zurechtkommt und überleben will. Kreativität ist eine krisensichere Ressource. Erst wenn sie in den Menschen völlig erlahmen würde, dürfte man von einer echten Krise sprechen.
Diesen kreativen und vor allem kooperativen Wirtschaftsgeist erleben wir seit dem öffentlich eingestandenen Ausbruch der sogenannten Wirtschaftskrise seit einigen Monaten in Gesprächen mit Geschäftspartnern so intensiv wie nie zuvor. Mal können wir, mal können die anderen nicht rechtzeitig bezahlen. Ob es der Lieferant für die Heizung im neugebauten Mehrgenerationenhaus ist oder ein Anzeigenkunde, der ein spirituelles Seminar anbietet: Wir kommen über unsere jeweilige Situation ins Gespräch, finden Lösungen und beraten uns sogar gegenseitig. So entsteht Solidarität, man glaubt an die Zukunft, schenkt Vertrauen und freut sich, wenn es eingelöst wird.
Austausch und Solidarität, Wirtschaft als ein gemeinsames Gestalten – Heide Göttner-Abendroths These, dass die Schenkökonomie,1 die geschenkte Arbeit am Leben als Basis allen Wirtschaftens, omnipräsent ist, wird für uns immer konkreter erlebbar. Nicht nur in der täglichen Haus- und Gartenarbeit und im Begleiten der Kinder, sondern auch in der Sorgfalt eines Handwerkers, in der Geduld eines Gläubigers und im Bemühen eines Schuldners (man ist ja immer beides), in der Beratung durch Freunde, in der Bereitschaft, zu spenden und zu fördern. Auf dieser gesunden Ökonomie des Gebens sitzt als Parasit jene Wirtschaft der Gier, die gerade zusammenkracht.

Wirtschaft nach menschlichem Maß
Je deutlicher dieser Zusammenhang wird, desto ärgerlicher wird jeder Cent, der nicht in lebensfördernde Zusammenhänge fließt, sondern in Supermärkten, Tankstellen oder aufgeblähten Verwaltungsapparaten versandet. Müssen wir bei all dem mitspielen? Gibt es nicht inzwischen genug kulturkreative Unternehmer im Land, die Sehnsucht haben nach einer "Wirtschaft nach menschlichem Maß", wie sie E. F. Schumacher schon Anfang der 70er-Jahre in seinem Klassiker "Small is Beautiful: Economics as if People Mattered"2 gefordert hat? Schumacher war schon damals überzeugt, dass die moderne, materialistische Lebensweise eine Wirtschaftswissenschaft hervorbringt, die Ausbeutung von Ressourcen, Gewinnmaximierung und Steigerung von Konsum predigt. Dabei, so Schumacher, müsste es das Ziel einer sinnvollen Wirtschaft sein, ein Höchstmaß an persönlicher Zufriedenheit mit einem möglichst geringen Verbrauch herzustellen.
Diese so einfachen, wesentlichen Gedanken werden bis heute immer wieder neu formuliert, beispielsweise von Andreas Weber, der in seinem letzten Buch "Bio Kapital"3 von einer Wirtschaft schreibt, die nicht von dem Missverständnis ausgeht, ein ungebremster Wettkampf aller gegen alle sei die treibende Kraft der Natur, sondern vielmehr die Lust an Symbiose und Kooperation. Weber träumt in seinem Buch genau wie Schumacher von lokaler Kreislaufwirtschaft, von einer ökologischen Ökonomie, deren Bruttosozialprodukt in seelischer Gesundheit zu messen ist.
Warum liegen zwischen den beiden Büchern von Schumacher und Weber mehr als 30 Jahre, in denen alle mehr oder weniger das Wirtschaftsspiel des –vermeintlich – grenzenlosen Wachstums mitgespielt haben? Wir selber mussten uns 1984 bei der Gründung einer GmbH vom Amtsrichter sagen lassen, dass der von uns in die Firmenstatuten aufgenommene Wachstumsverzicht bezüglich des Gesellschaftswerts sittenwidrig sei: Eine GmbH ziele nun mal auf die Mehrung des Werts der Geschäftsanteile, und man dürfe es einem Gesellschafter nicht verwehren, aus seinem Anteil später mal richtig Kapital zu schlagen …
Lag eines der Hindernisse für die Entwicklung einer gesunden Ökonomie etwa darin, dass in der Alternativszene Wirtschaft immer feindlich betrachtet wurde, nach dem Motto "… und keiner geht hin"? "Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin." "Stell dir vor, es ist Schule, und keiner geht hin." Warum drehen wir das nicht um und sagen jetzt: "Stell dir vor, es ist Wirtschaftskrise, und alle organisieren eine lebensfördernde Ökonomie?" Was könnte nicht alles passieren, wenn ein erheblicher Teil der auf 30 % der Bevölkerung geschätzen Kulturkreativen im Land lauter kleine Unternehmungen zur Verschönerung und zur Pflege aller Wesen auf diesem Planeten gründete? Würden dann Firmen entstehen, die nicht nur nebenbei ein bisschen Kulturförderung betreiben, sondern die in der Art ihrer Tätigkeit bereits durch soziale Innovationen, ökologische Produkte oder sinnvolle Dienstleistungen Nahrung für Körper und Seele schaffen? Würden dann die Regiogeld-Netzwerke wie Pilze aus dem Boden schießen, und könnten über kurz oder lang dezentrale Versorgungskreisläufe entstehen, so dass uns die Krise der Globalisierungs­giganten dort draußen irgendwann nicht mehr interessierte? Das mag eine naive Phantasie sein, aber ließe sich daraus eine Vision machen? Vielleicht könnte sie entstehen, wenn alle angehenden Entrepreneure in einer "Akademie für Visionautik", wie sie Jutta und Boris Goldammer gerade in Berlin ins Leben rufen, in die Lehre gingen.
Sagen wir, die 367 000 Arbeitslosen unter 25 Jahren können in Workshops bei Frithjof Bergmann5 herausfinden, was sie wirklich, wirklich im Leben wollen und wie sie das in einem eigenen Unternehmen in die Tat umsetzen: Wäre das nicht eine "Weltverschönerung"6 – wie der Schriftsteller Ulrich Holbein sein jüngstes Buch nennt? Darin gibt er "Anleitungen zur Geniewerdung für alle". Ein gutes Motto für künftige Unternehmer. Warum sollten nur die Künstler die Welt verschönern dürfen?

Innovationskraft statt Konsumismus
Solche Gedanken scheinen überall virulent. Ende Juni trafen wir Christoph Harrach und Noel Klein-Reesinck – die Macher der Internet-Plattform "KarmaKonsum" und der gleichnamigen Konferenz, die unter dem Motto "Strategien für LOHAS und neues Wirtschaften" zum zweiten Mal stattfand – am Workshop-Tag in der Frankfurter Börse. Sie berichteten uns begeistert von dem Vortrag der Konsum-Psychologin Simonetta Carbonaro, die von einer "neuen Ökonomie der Bedeutsamkeit" gesprochen hatte. Die Konsumenten hätten genug von der hedonistischen Tretmühle der "Zuvielisation", sie suchten jetzt nach Werten, Authentizität und Glück – das sei die neue Aufgabe der Wirtschaft. In einem Interview mit dem Trendbüro7 sagt Carbonaro:
"Überall in der Gesellschaft sieht man hoffnungsvolle Signale, dass sich die Menschen zusammenschließen, sich selbst organisieren und ihre kollektive Intelligenz in Gang setzen. Die Übersättigung der Märkte, die Umweltbedrohungen, die Hyperindividualisierung mit der damit verbundenen Krise der Familie – das sind alles Aspekte, welche die latent in der Bevölkerung vorhandene Innovationskraft jetzt herausfordern."
Es geht also nicht mehr nur um grünen Konsum, sondern um Innovationskraft, Selbstorganisation, die Überwindung der Vereinzelung. Öko-Schick als Status-Symbol wird in der Gesellschaft inzwischen sogar negativ wahrgenommen, berichtet Noel Klein-Reesinck über das Fazit der KarmaKonsum-Studie "LOHAS – Mehr als Green Glamour",8 die zur Konferenz erschienen ist.
"Ich glaube ja fest an das Revival der traditionellen Handwerkskunst. Ich sehe darin nicht nur ökologische und ökonomische sinnvolle Aspekte, sondern auch gerade das soziale Element empfinde ich als sehr attraktiv", schreibt Christoph Harrach in einem aktuellen Blog auf www.karmakonsum.de. Heutzutage kommen solche Gedanken nicht mehr nur von den Land-Ökos, die ihre Hemdknöpfe selber drechseln (wie in meiner Familie in den 80ern), sondern das sagt ein Stadtmensch, der damit ein urbanes Projekt kommentiert, eine Strick-Graffiti-Aktion aus Toronto, USA: Frauen treffen sich in einem Café, stricken bunte Schläuche und verzieren damit Brückenpfeiler, Ampelpfosten und andere triste Flächen. Im Café gibt es Nadeln und Wolle zu kaufen …

Social Entrepreneurship
Gibt es wirklich einen Trend zum kulturkreativen Unternehmertum? Der Wirtschaftsprofessor Günter Faltin (siehe Porträt auf der vorigen Seite) möchte einen solchen Trend jedenfalls bewusst auslösen. Sein Labor für Entrepreneurship oder sein Buch "Kopf schlägt Kapital" ermutigen jeden, ein Unternehmen zu gründen und sich von dem Vorurteil zu befreien, dass eine Unternehmensgründung nur mit einer dicken Kapitaldecke im Hintergrund, mit einem betriebswirtschaftlichen Studium und mit jeder Menge Selbstausbeutung möglich sei. Vielmehr gehe es darum, ein gutes Konzept zu entwickeln, eine Idee reifen zu lassen, Partner zu finden, die einem bei der Umsetzung helfen – und Hartnäckigkeit zu entwickeln. Gute Ideen fielen nicht vom Himmel, sondern seien das Ergebnis sorgfältiger Beobachtungen und langer Denkprozesse, erklärt Faltin. Selbst wenn die Idee den Bekannten, Freunden und Fachleuten am Anfang verrückt vorkommt, weil sie gängigen Konven­tionen widerspricht, dürfe man sich nicht abhalten lassen, Entrepreneur zu werden und seine Ideen in die Tat umzusetzen. Das bedeute nicht, hohe Risiken einzugehen, zu einem guten Konzept gehöre gerade ein risikoarmer Weg. Gefragt seien vernünftige Lösungen, die das Leben einfacher machen. "Funktion statt Konvention" ist eines von Faltins Schlagwörtern. Ist Entrepreneurship, so wie Faltin es beschreibt, an sich schon ein kulturkreativer Faktor? Oder geht es auch hier letztlich nur darum, eine Nische im bestehenden System zu finden, mit einer guten Idee ein "Champion im Wirtschaftsleben" zu werden? Wenn im Zentrum des Interesses allein günstigere Preise oder ein besseres "Funktionieren" der Welt stünden, wäre das doch reichlich langweilig.
Faltin berichtet in seinem Buch von einer ganzen Reihe von erfolgreichen Startups. Manche von ihnen, nicht zuletzt Faltins Teekampagne, können wirklich die Welt verschönern, andere scheinen mir eher konventionelle, auf Funktion und Erfolg gepolte Geschäftsmodelle zu sein, der Wirtschaftsfaktor "Lebenssinn" ist schwer erkennbar. Entrepreneurship ohne kulturkreative Werte und Inhalte führt wohl nicht weiter. Aber Faltin möchte ausdrücklich zu dieser Verbindung aus Unternehmergeist und innerem Anliegen ermutigen: "Sie glauben, Sie taugten nicht für Entrepreneurship, weil Sie sich für die Welt des Geldes nicht begeis­tern könnten und Sie auch ein bisschen Idealismus in sich spürten? Sie seien nicht zum Gründer geboren, weil Ihnen die Ellenbogen und das Durchsetzungsvermögen fehlten? Verbinden Sie Ihren Idealismus, Ihr Engage­ment für eine bessere Gesellschaft mit der Lust zu einem sparsamen, ideenreichen, kreativen Umgang mit Ressourcen."9
Auf der Suche nach den kulturkreativen Entrepreneurs stößt man unweigerlich auf die Organisation "Ashoka".10 "Social Entrepreneurship" heißt das Stichwort, unter dem hier seit 1981 soziale Aktivisten mit Stipendien, professioneller Beratung und einem Netzwerk Gleichgesinnter in über 60 Ländern unterstützt werden. Das bekannteste Mitglied ist Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus. Der Name Ashoka kommt aus dem Sanskrit und bedeutet etwa "das aktive Überwinden von Missständen", so lernen wir aus der Infobroschüre, die auch eine Definition des Social Entrepreneurs liefert: "Social Entrepreneurs finden Anworten auf drängende soziale Fragen. Sie arbeiten mit neuen, durchgreifenden Ansätzen daran, ein gesellschaftliches Problem dauerhaft und großflächig zu lösen. Das ist Inhalt und Ziel ihrer Arbeit – sei es im Bereich Bildung, Familie, Umweltschutz, Armutsbekämpfung, Integration oder Menschenrechte. Ihr Anliegen ist gemeinnütziger Natur. Ashoka ist überzeugt, dass Social Entrepreneurs die Motoren gesellschaftlichen Wandels sind. Denn es gibt wenig Machtvolleres als eine gute Idee in den Händen einer redlichen Unternehmerpersönlichkeit."
Wunderbar – ein Konjunkturpaket für Ashoka und alle anderen Organisation, die Social Entrepreneurship fördern! Aber wenn Günter Faltin recht hat, dass es auf den Kopf und nicht auf das Kapital ankommt, brauchen wir ein immaterielles Konjunkturpaket der Ermutigung.
Ashoka nennt ihre inzwischen 2000 Stipendiaten "Ashoka Fellows". Einer von ihnen ist mir in einem Video in Faltins Labor aufgefallen. Dort wurde Franz Dullinger, Gründer der Initiative XperRegio,11 als "Political Entrepreneur" vorgestellt. Ein politischer Unternehmer – wie hat man sich das vorzustellen?
Dullinger fragte sich im Jahr 2002, wie wirkungsvolle Regionalentwicklung in seiner kleinen niederbayerischen, eher abgelegenen, ländlichen Region gestaltet sein müsste. Die typischen Probleme dort sind bekannt: Abwanderung junger qualifizierter Menschen, entleerte Ortskerne, etc. Indem er Netzwerke aus unternehmerischen Bürgern und Kommunalpolitikern initiierte, begannen die Einwohner, die Entwicklung ihrer Region selbst in die Hand zu nehmen. Der Schwerpunkt war von Anfang an Regionalentwicklung durch Förderung unternehmerischer Menschen.
Die EU quittierte die Initiative mit einem revolutio­nären Zuschlag: 22 Gemeinden bekamen ihr eigenes Budget zur Förderung derjenigen, die einen neuen Schritt wagen. Das Prinzip "Verantwortung und Budget direkt an die Graswurzeln" setzte einen positiven Wettbewerb um die besten Ideen in Gang und löste Aufbruchstimmung aus. In drei Jahren wurden 172 Projekte umgesetzt und gut 400 neue Arbeitsplätze geschaffen.
Ich möchte mehr erfahren über die Wirklichkeit der Social Entrepreneurs. Mich interessiert, inwiefern sie in bestehenden Bahnen denken, ob sie die Wirtschaft im Grund so belassen wollen, wie sie ist, sie nur in ein soziales Wattepaket einpacken wollen, ja gar den gegenwärtigen Missstand für den "Erfolg" ihres sozialen Unternehmens brauchen – oder ob es unter ihnen Menschen gibt, die tatsächlich die Kraft aufbringen, das Alte zu transformieren. Während dieser Suche sind kleine Interviews entstanden, von denen drei auf der folgenden Seite vorgestellt werden. Sie stimmen zuversichtlich. Ist womöglich eine Welt, in der man nicht mehr "Brücken bauen muss zwischen der Wirtschaft und dem sozialen Sektor", wie es jetzt noch in der Ashoka-Broschüre heißt, sondern in der Unternehmertum, soziales, politisches und spirituelles Engagement zu einem integralen Ganzen verschmolzen sind, näher, als wir glauben?

Anmerkungen:
(1) Siehe KursKontakte 161 "Wovon wir wirklich leben. Margrit Kennedy, Heide Göttner-Abendroth und Johannes Heimrath denken gemeinsam über einen neuen Geist in der Wirtschaft nach. "(2) Deutsche Übersetzung: Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Alternativen für Wirtschaft und Technik, Rowohlt, Reinbek 1977. (3) Andreas Weber: Bio Kapital. Berlin Verlag, Berlin 2008. (4) www.visionautik.de. (5) www.neuearbeit-neuekultur.de. (6) Ulrich Holbeins Weltverschönerung, Zweitausendeins, Frankfurt 2008. (7) www.trendbuero.de, Link "Sozialer Reichtum". (8) Die Studie kann über www.karmakonsum.de bestellt werden. (9) Günter Faltin: Kopf schlägt Kapital, Hanser, München 2008, Seite 227. (10) www.ashoka.org. (11) www.xperregio.de.

Franz Dullinger
Ostbayerische Unternehmer revolutionieren die Politik

Franz Dullinger initiierte "XperRegio", ein unkonventionelles Regionalentwicklungsprojekt, mit dem es gelang, dass Kommunen EU-Gelder direkt in unternehmerischen Menschen investieren konnten (www.xperregio.de).

Herr Dullinger, was bedeutet für Sie Unternehmergeist?

Jemand hat Unternehmergeist, wenn er gemäß einem inneren Antrieb eine Sache verfolgt und damit für Bewegung sorgt – Neues in die Welt bringt. Persönlich habe ich mich stets für eine lebendige ländliche Welt eingesetzt und konnte mein Engagement mit wirtschaftlichem Erfolg immer ganz gut verbinden.
Der Präger des Begriffs Entrepreneurship, Günter Faltin, sieht darin eine gesellschaftsverändernde Kraft. In welche Richtung möchten Sie der Gesellschaft Impulse geben?
Zu allen Zeiten – überall auf der Welt – gingen wegweisende Veränderungen von Entrepreneuren aus. Mit meinen Aktivitäten will ich beitragen, dass immer mehr Menschen in den Dörfern mutig das vorwärtstreiben, was ihnen ein Anliegen ist – und das besonders konsequent.

Was hat sie zu dem Projekt XperRegio inspiriert?

Von klein auf habe ich mich in meinem Dorf engagiert. In Vereinen, dann im Gemeinderat. Nach der Hochschule betreute ich 40 Gemeinden im Alpenraum bei ihrem Entwicklungsprozess. Überall wurde viel geredet. Spätestens dann war klar: Spürbare Bewegung gibt es dann, wenn ein begeisterter, unternehmerischer Mensch oder eine kleine Gruppe "ihre Sache" machen. Kommen immer mehr von diesen Typen zusammen, versprüht das Kraft und bewirkt: Wenn der das schafft, dann hält mich auch nichts mehr auf …
Welche Veränderung hat XperRegio in Ihrer Region bewirkt?
Vielen wurde klar, dass wirklich nicht auf eine Beglückung von außen zu warten ist. Selber anpacken macht Freude und wirkt. XperRegio hat dazu beigetragen, dass in drei Jahren über 400 neue Arbeitsplätze entstanden sind – Aufbruchstimmung hat sich breit gemacht. Jedoch möchte ich nach der kurzen Zeit noch nicht von einem grundsätzlichen Wandel der Einstellung "pro Unternehmertum" sprechen. Da muss man ständig daran arbeiten.

Wie können kreative Entrepreneurs auf die politischen Strukturen Einfluss nehmen?

Mit viel Einsatz konnten wir uns in Brüssel Gehör verschaffen. Besonders zäh ist es in der Landesverwaltung und manchmal auch vor Ort. Auf diese Strukturen einzuwirken bindet sehr viel Energie. Wir tun uns das weiterhin trotzdem an, weil es nicht sein kann, dass riesige Mengen Steuergelder in immer gleich bleibenden Mustern – bekanntermaßen ineffizienten – verteilt werden. Effizienter ist aus meiner Sicht, wenn die Entrepreneure Biotope kultivieren, wo sie mit ihresgleichen zusammenkommen und eine Stimmung erzeugen, die einfach antreibt.
Angenommen, es brechen einmal bestimmte überregionale Versorgungssysteme zusammen – was würden Sie persönlich dann tun, um Ihre Region zu stärken?
Das, was wir jetzt auch tun: Auf die unternehmerischen Menschen setzen. Die Entwicklung der letzten Jahre zeigt deutlich, dass zwischen Gewinner- und Verliererregion ein schmaler Grat ist. Wo Menschen sind, die wollen und können, wird sich etwas bewegen, woanders eben nicht.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Region und für die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden?
Ich wünsche mir, dass die Menschen in unseren Dörfern immer selbstbewusster werden und für "ihre Sache" immer nochmal einen draufsetzen. Wenn sie sich dann in witziger und gewinnbringender Umgebung treffen, wird immer klarer, wie schön es ist, sich auch für die Gemeinschaft einzusetzen – gerade auch mit Menschen aus anderen Regionen in Europa und der Welt.


Wiebke Koch
Ein Netzwerk von Zukunftsmachern

Wiebke Koch ist Initiatorin und Vorstandsvorsitzende der Self eG, eines Netzwerks von und für "multi-dimensionale" Unternehmer, die Profitabilität als Mittel zum Zweck einsetzen und das soziale und ökologische Gefüge unserer Welt neu gestalten wollen (www.self-germany.de). Das Interview führte Heiner Benking.

Frau Koch, wie sind Sie dazu gekommen, sich in der Self eG zu engagieren?

Die Idee des Social Entrepreneurship hat mich von Anfang an fasziniert. Einmal von der Bewegung infiziert, gründete ich den Berliner SelfHub, der heute als HUB Berlin das wohl größten Gemeinschaftsbüro Deutschlands ist.
Wie ich dazu kam? … Ich hatte einen Traum. Den Traum davon, mich endlich nicht mehr zwischen diesen unauflösbar scheinenden Widersprüchen entscheiden zu müssen: Will ich etwas Sinnvolles tun, die Welt ein bisschen besser verlassen, als wir sie vorgefunden haben? Oder doch lieber steile Karriere und gutes Geld verdienen?
Was wäre, wenn wir die Vorteile der Selbständigkeit, der freiberuflichen Tätigkeit und des Gefühls, einen wichtigen Beitrag zu leisten, kombinieren könnten mit den Vorteilen eines größeren Unternehmens? Was wäre, wenn wir mit Gleichgesinnten unter einem Dach, in professionellem Umfeld als Selbständige arbeiten könnten? Und was wäre, wenn das Element der "Gleichgesinnnten" nicht auf dem Beruf, der Branche oder dem Sektor beruhte, sondern auf gemeinsamen Werten und Vorstellungen von einer neuen Form zu leben und zu arbeiten?
Da ich diesem Traum auf die Dauer nicht länger ausweichen konnte und wollte, musste ich es wenigstens versuchen. Und so gibt es jetzt "self", das Netzwerk von und für Social Pioneers, die neue Generation von Unternehmern.
Was bedeutet für Sie der Geist von Entrepreneurship?
Dieser Geist liegt für mich darin, etwas zu unternehmen, anstatt zu unterlassen. Entrepreneure sehen Möglichkeiten und Chancen dort, wo andere Probleme und unüberwindbare Hindernisse sehen, und ruhen nicht, bevor sie nicht eine Lösung in die Welt gebracht haben.

Wie motivieren Sie einen positiven Unternehmergeist? Wie erlauben Sie ein Empowerment des Einzelnen im HUB?

Gegenfrage: Muss positiver Unternehmergeist motiviert werden? Wenn ja, warum? Wir leben in Deutschland in einer Gesellschaft, in der Unternehmertum noch heute bei vielen Menschen negative Assoziationen auslöst (auch deshalb sprechen wir lieber von Entrepreneuren). Die Vorstellung ist immer noch fest in den Köpfen verankert, dass sich das Geldverdienen und wirtschaftliche Effizienz auf der einen Seite und Gutes tun und Verantwortung für sich selbst und die Gesellschaft übernehmen gegenseitig ausschließen.
Natürlich können wir motivieren, inspirieren und zum Nachdenken einladen, indem wir die Geschichten positiver Beispiele erzählen, Vorbilder ins Bewusstsein bringen und zeigen, dass jede(r) den Dreiklang von individueller Selbstverwirklichung, gesellschaftlicher Verantwortung und wirtschaftlicher Tragfähigkeit verwirklichen kann.
Der HUB ist ein Ort, wo die Menschen die Rahmenbedingungen finden, die sie für sich benötigen: Infrastruktur ist da nur eine Seite. Unsere Hosts (englisch für "Gastgeber") hören zu, geben Tipps, vernetzen, organisieren Veranstaltungen, die den Mitgliedern helfen, ihre Projekte zum Erfolg zu führen. Sie gestalten den physischen und "unsichtbaren" Raum, die Atmosphäre und sorgen für die "tägliche Dosis Inspiration". Vor allem aber motivieren sie die Mitglieder, sich gegenseitig zu unterstützen, Kooperationen aufzubauen, sich in dafür vorgesehenen Veranstaltungen vorzustellen, die vorhandenen Möglichkeiten optimal zu nutzen und selbst im eigenen Sinn mit auszubauen.


Petra Moske
Der Welt Wärme schenken

Petra Moske gründete mit Elisabeth Schuh den Nestwärme e. V., der Familien und Alleinerziehende mit behinderten und chronisch kranken Kindern unterstützt (www.nestwaerme.de).

Frau Moske, warum haben Sie das Projekt "Nestwärme" gestartet?

Der persönliche Auslöser war einerseits das negative Erlebnis, ausgegrenzt zu sein, weil man ein bisschen anders denkt als andere, ein Grenzgänger ist, andere überfordert – und andererseits das positive Erlebnis, wie schön es ist, in die Mitte genommen zu werden und Freunde zu finden. Kinder mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten erleben in unserer Gesellschaft ständig Ausgrenzung. Das wollte ich ändern.

Was hat Ihnen den Mut gegeben, aus Ihrem bisherigen Beruf auszusteigen und nur noch für die Nestwärme zu arbeiten?

Während der Aufbauphase waren Elisabeth Schuh und ich in einer sozialen Organisation angestellt. Dort waren wir zwar mit den Inhalten, nicht aber mit den Strukturen und der Arbeitsweise einverstanden. Irgendwann war klar: Da machen wir nicht mehr mit! Wir gehen lieber in die Arbeitslosigkeit und in die Selbständigkeit und kümmern uns um das, was uns wichtig ist. Ich studierte parallel zu meiner Arbeit Betriebswirtschaft und entwickelte dadurch einen klaren Blick auf die Probleme.
Damit man sich für Werte einsetzen kann, sind meiner Erfahrung nach Schicksalsschläge oder Erlebnisse notwendig, die einem so etwas wie Demut beibringen. Mein Schlüsselerlebnis war, Familien mit behinderten Kindern kennenzulernen: Da kann man lernen, bedingungslos zu sein. Diese Mütter können keine Bedingungen an ihre Kinder oder an das Leben stellen, sie können nur bedingungslos lieben.
Wie unterstützt der Nestwärme e. V. solche Familien?
Wir helfen ihnen dabei, den Spagat zwischen der völligen Selbstaufgabe für ihre Kinder und dem Wunsch nach eigenem Raum und einem eigenständigen Leben zu bewältigen, geben ihnen das Gefühl von Geborgenheit. Das passiert vor allem, indem wir Menschen gewinnen, die diesen Familien Zeit schenken. In den zehn Jahren unseres Bestehens konnten wir auf diese Weise 22 000 Familien erreichen, aber wir sind noch lange nicht am Ziel, es gibt 950 000 betroffene Familien in Deutschland.
In unserem Verein engagieren sich über 500 Menschen, die in Deutschland Nestwärme schenken. Wenn Sie diese Zeit bewerten, dann wertschöpfen wir über eine Million Euro im Jahr. Wir würden gerne auch eine Art Schenk-Börse initiieren, in der jeder Mensch seine Talente anbietet.

Konnten Sie im Lauf der Jahre dazu beitragen, dass sich die Situation für behinderte oder chronisch kranke Kinder in Schulen, Kindergärten und Institutionen verbessert?

Unser Ansatz ist vor allem die familiäre Ebene. Wir wollen die Eltern stärken, damit sie ihre Kinder nicht weggeben und in Heime stecken, sondern das Leben mit ihnen teilen können. Selbstverständlich verstärken wir den Trend, besondere Kinder in die normalen Schulen zu integrieren. Wir haben eine Kinderkrippe eröffnet, in der gesunde und schwerstkranke und behinderte Kinder zusammensein können. Das sollte eigentlich das "Normale" werden und nicht einen besonderen Titel wie "integrativer Kindergarten" tragen.

Vor welchen Aufgaben steht der Nestwärme e. V. nach seinem zehnjährigen Jubiläum?

Inzwischen sind wir so gewachsen, dass wir professionelle unternehmerische Strukturen schaffen müssen, auch um uns zu schützen. Dabei achten wir darauf, dass wir in unserer Unternehmenskultur die Werte beibehalten, die uns wichtig sind: ein unbürokratischer Umgang, gegenseitiges Vertrauen, Selbstverwirklichung, Authentizität – die Wärme, um die es uns geht, brauchen wir auch in der Art, wie wir zusammenarbeiten.


Autoren


Mallien, Lara

Posted via email from 01159 Dresden Löbtau-Süd und Umgebung

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