Blessing Verlag
(Bild: Blessing Verlag)

Die Politik der letzten zwanzig Jahre hat Spuren hinterlassen. Kathrin Hartmann hat sich auf Spurensuche begeben. Was sie entdeckt hat, ist in großen Teilen Verwüstung. In ihrem Buch "Wir müssen leider draußen bleiben – Die neue Armut in der Konsumgesellschaft"leuchtet Hartmann in die Ecken der Gesellschaft, die Politik und Medien häufig im Dunkeln lassen oder in ein falsches Licht rücken. Die Autorin fordert ein Ende der politischen "Schamlosigkeiten".

Hartmann hat eine "Liste der Schamlosigkeiten" verfasst, zusammenfassend argumentiert sie: "Fast alle politischen Entscheidungen der vergangenen 20 Jahre sind zugunsten der Wirtschaftselite gefallen. Angefangen vom Abbau des Sozialstaates über die Senkung der Lohnnebenkosten für Arbeitgeber bis hin zu großzügigen Steuersenkungen – von der Rettung der Banken auf Kosten der Allgemeinheit einmal ganz zu schweigen."

Eine Gesellschaft ohne Zusammenhalt

Die Autorin, die unter anderem für die Frankfurter Rundschau arbeitet, hat sich in die Menschenschlangen vor Tafeln in München und Berlin eingereiht, mit Betroffenen gesprochen, sie begleitet. Sie schreibt über "Rentner in abgetragenen Mänteln, Menschen mit Gehwagen oder Krücken, Migranten, Frauen mit klapperigen Kinderwagen und Trolleys, die Köpfe gebeugt, die Blicke müde, bepackt mit Taschen und abgewetzten Einkaufstüten, die noch übrig geblieben sind aus jener Zeit, als ein Einkauf im Supermarkt oder Discounter zum normalen Alltag gehörte."

Eindringlich beleuchtet Hartmann auf diese Weise das System, die gesellschaftliche Ordnung, der die Politik seit der Jahrtausendwende zum Durchbruch verhalf. Der Zusammenhalt in der Gesellschaft habe sich weitgehend aufgelöst: "Die Schichten in Deutschland haben sich mittlerweile so weit voneinander entfernt, dass es kaum noch Berührungspunkte gibt – und keine Orte mehr, an denen sich Menschen unterschiedlicher Schichten begegnen und austauschen", analysiert Hartmann.

Politische Zusammenhänge

Sie berichtet aus der Lebenswelt der Armen – und aus jener der Reichen. Denn auch mit ihnen hat sie gesprochen. So macht sie auf Ungerechtigkeiten aufmerksam, die schreiend sind, in Politik und Medien aber zumeist lautlos verhallen. Denn wer am Rande dieser Gesellschaft steht, kann sich kaum Gehör verschaffen.

Die Autorin belässt es nicht allein bei diesem Anschauungsunterricht. Sie stellt die von ihr in den Blick der Öffentlichkeit gerückten menschlichen Schicksale in einen größeren politischen Zusammenhang. Dazu zieht sie wissenschaftliche Studien heran, die die gesamte Dimension einer Politik verdeutlichen, die sich auf das Glück des Einzelnen verlässt.

Mit ihrer klaren Sprache webt Hartmann diese beiden Ebenen ihres Buches nahtlos ineinander. Die komplexen Zusammenhänge, die sich hinter den nüchternen Zahlen verbergen, werden so deutlich.

Missstände, die nicht thematisiert werden

Hartmann spannt in ihrem 416-Seiten-Werk einen weiten Bogen. Er reicht von den Nöten der Hartz-IV-Empfänger über die Macht der Eliten bis zum Einfluss der Medien. Sie thematisiert auch die Nahrungsmittelkrise und die Folgen einer verfehlten Entwicklungspolitik durch Mikrokredite.

Man muss die kompromisslose Haltung der Autorin nicht in allen Punkten teilen. So ist ihre Erklärung der Nahrungsmittelkrise zu verkürzt. Wesentliche ökonomische Voraussetzungen, wie die landwirtschaftliche Produktivität in jenen Ländern, die von Nahrungsmittelkrisen besonders betroffenen sind, bleiben unberücksichtigt. Was aber die Analyse unserer Gesellschaft anbelangt, ist Hartmann ein eindrucksvolles Buch gelungen. Es öffnet die Augen für Missstände, die in den Nachrichten allzu häufig unter den Tisch fallen. Die Parteien, die dieses Buch als Richtschnur für ihre Politik heranziehen, können nur gewinnen – und die Menschen in dieser Gesellschaft mit ihnen.

Kathrin Hartmann: Wir müssen leider draußen bleiben – Die neue Armut in der Konsumgesellschaft, Karl Blessing Verlag, München 2012, 416 Seiten, 18,95 Euro, ISBN 978-3-89667-457-9



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