Originalien
(1) | Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen, |
(2) | Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen, Hufelandstraße 55, 45147 Essen |
A. Gendolla Email: astrid.gendolla@uni-essen.de |
Online publiziert: 8. Februar 2006
Schlüsselwörter Migräne - Menstruation - Attackenbehandlung - Triptane - Tagebuch
Menstruation and migraineTreatment of menstrual migraine attacks with rizatriptan
Abstract Many woman report that menstruation triggers migraine attacks. These attacks occur some days before, during or after the onset of menstruation. Young and otherwise healthy women often consult gynaecologists with this problem. We report the results of a study conducted in a primary care setting with gynaecologists treating menstrual migraine with 10 mg rizatriptan. The study included 720 patients who reported treatment of two consecutive migraine attacks occurring around the time of menstruation: 85% of the patients took rizatriptan 10 mg conventional tablets (Maxalt) and 15% used the melt wafer (Maxalt lingua). Data of 548 diaries could be evaluated. Over 90% of the patients reported a fast onset of action, improvement of disability and satisfaction with the ease of handling the medication; 80% reported being pain free. Nine adverse events were reported in this study, none of which were serious.
Keywords Migraine - Menstrution - Teatment of acute attacks - Triptans - Diary
Migräne ist eine Frauenkrankheit. Jahrhundertelang hat Frauen mit Migräne das Stigma des Neurotizismus oder der eingebildeten Krankheit (Hysterie) angehaftet. Erkenntnisse zur Genetik, Pathophysiologie und Therapie der Migräne konnten diese Vorurteile ausräumen. Migräne ist eine chronische, neurobiologische Erkrankung, die heutzutage gut therapierbar ist.
Der typische Migränekopfschmerz ist einseitig, stechend pulsierend, verschlechtert sich bewegungsabhängig und weist als fakultative Begleitsymptome Nausea, Vomitus, Photo- und Phonophobie auf [8].
Die Prävalenz der Migräne beträgt bei Männern 39% und bei Frauen 1319%. Der Erkrankungsbeginn liegt hauptsächlich zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Vor der Pubertät beträgt die Häufigkeit der Migräne 45%, wobei es keinen geschlechtsspezifischen Unterschied gibt [8, 14, 15]. Dies zeigt die Bedeutung hormonaler Einflüsse auf die Migräne bei Frauen. Migräneattacken bei Frauen sind oft länger und intensiver.
Kopfschmerz und Begleitsymptome
Bei der Entstehung des Migränekopfschmerzes kommt es zu einer Dilatation meningealer Blutgefäße. In den Gefäßwänden liegen C-Fasern, die dann den pulsierenden Schmerz vermitteln. Darüber hinaus kommt es zu Plasmaextravasion mit Freisetzung von proinflammatorischen und exzitatorischen Neuropeptiden (Substanz P, CGRP, VIP), die ihrerseits die Vasodilatation unterhalten. Im Tierversuch können sowohl Triptane als auch Azetylsalizylsäure, nichtsteroidale Antirheumatika und Ergotamine diese neurogene Inflammation blockieren. Bei Menschen ließ sich während einer Migräneattacke ein erhöhter Blutspiegel von CGRP (calcitonin gene-related petide) in der Jugularvene nachweisen [3]. Autonome Symptome wie Nausea und Vomitus sind der Mitbeteiligung des Hirnstamms zuzuschreiben. PET- (positron emission tomography-)Studien weisen auf den Hirnstamm als möglichen Migränegenerator hin [19].
Aura
Die vaskuläre Hypothese ging ursprünglich davon aus, dass eine Minderperfusion der Hirnrinde zu neurologischen Ausfällen führt. Dies ist in der Zwischenzeit widerlegt. Die neurogene Hypothese postuliert eine spreading depression, bei der es nach einem kurzen Exzitationspuls zu einer Hemmung der kortikalen Aktivität kommt, die sich mit einer Geschwindigkeit von 26 mm/min über die Hirnrinde ausbreitet. Dieses elektrophysiologische Phänomen konnte in der Zwischenzeit mittels funktioneller Kernspintomographie und Magnetenzephalographie belegt werden [4].
Genetik
Migräne ist eine genetisch determinierte Erkrankung. Für bestimmte Untergruppen von Migräne (familiär hemiplegische Migräne) sind Erbgänge und Genloki bereits gesichert [13].
Rizatriptan ist ein oral wirksamer Serotonin- (5-HT-)Rezeptoragonist aus der Klasse der Triptane mit hoher selektiver Affinität zu humanen 5-HT1B- und 5-HT1D-Rezeptoren. An den oben genannten intrakraniellen Strukturen dominieren die von Rizatriptan selektiv aktivierten Serotoninrezeptorsubtypen 5-HT1B und 5-HT1D. Im Jahr 2002 wurden die Triptane als Mittel der 1. Wahl bei Migräneattacken in die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) aufgenommen [2].
Menstruelle Migräne
Die höchste Migräneinzidenz innerhalb des Zyklus besteht innerhalb von etwa 2 Tagen vor bis zu 2 Tagen nach Beginn der Menstruation. In diesem Zeitraum ist die Attackenhäufigkeit doppelt so hoch wie außerhalb der Periode. Die Diagnose menstruelle Migräne hatte in die erste Version der Kopfschmerzklassifikation der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft (International Headache Society, IHS) keinen Eingang gefunden [12]. Weniger als 10% aller Frauen mit Migräne haben eine rein menstruelle Migräne, d. h. Migräneattacken nur zu diesem und keinem anderen Zeitpunkt im Zyklus [15]. Bei etwa 60% aller Frauen steigt jedoch die Migränehäufigkeit während der Menstruation [7].
1) | Durch den langsamen, prämenstruellen Östrogenabfall entsteht eine vulnerable Phase, in der eine Migräneattacke entstehen kann. |
2) | Initial hohe Östrogenspiegel sind eine Voraussetzung zur Entstehung der menstruellen Migräneattacke. |
3) | Bei kontinuierlich hohen Östrogenspiegeln kann die Migräne sistieren [14, 16, 17, 18]. |
Die Studie wurde als Anwendungsbeobachtung bei niedergelassenen Ärzten der Fachrichtung Gynäkologie durchgeführt. Jeder Arzt konnte den Therapieverlauf von 15 Patientinnen dokumentieren. Es wurden demographische Daten (Geburtsdatum, Geschlecht, Größe und Gewicht) und Daten zur Anamnese (Diagnose, Anamnese der Migräneattacken und deren Relation zum Zeitpunkt der Menstruation sowie bisherige medikamentöse und nichtmedikamentöse Behandlung) erhoben. Maximal 2 Migräneattacken sollten von den Patientinnen in Form eines Tagebuchs dokumentiert werden. Abgefragt wurden darin das Datum des Beginns der Migräneattacken, der Name des eingenommenen Medikaments und eine Beurteilung der medikamentösen Therapie. Zum Abschluss sollte der behandelnde Arzt Angaben zur Fortsetzung der Therapie machen und Gründe zu Fortsetzung bzw. Abbruch der Therapie nennen. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden abgefragt und auf einem gesonderten Dokumentationsbogen beschrieben.
Die Auswertung dieser Anwendungsbeobachtung erfolgte mit Methoden der deskriptiven Statistik.
Alle erhobenen Parameter wurden je nach Merkmalsart entweder durch eine Mittelwertsanalyse (arithmetisches Mittel, Median, Standardabweichung, Minimum und Maximum) ausgewertet oder mittels Häufigkeitsverteilung (Anzahl, Prozent) beschrieben. Insbesondere Symptome der Migräneattacken und der Therapieverlauf unter MAXALT® 10 mg (Erreichen der Schmerzfreiheit) wurden analysiert. Außerdem wurden unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Therapieabbrüche ausgewertet.
Mittelwert±SD | |
---|---|
Alter (Jahre) | 39,5±10,4 |
Gewicht [kg] | 65,4±9,4 |
Größe [cm] | 167,5±6,2 |
Die Migräneerkrankung war bei den Patientinnen im Mittel seit 10,6 Jahren bekannt, bei 30,3% der Patientinnen seit 15 Jahren, bei 17,2% der Patientinnen seit 510 Jahren und bei 38,5% der Patientinnen seit mehr als 10 Jahren.
Die Migräneattacke dauerte in den 3 Monaten vor Beginn der Erhebung durchschnittlich 2 Tage, bei ca. 28% der Patientinnen bis zu 1 Tag, bei etwa der Hälfte (ca. 47%) bis zu 2 Tagen und bei ca. 20% der Patientinnen bis zu 3 Tagen. Bei ca. 4% der Patientinnen dauerte ein Migräneanfall länger als 3 Tage (meist 4 Tage).
Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit | n | [%] |
---|---|---|
Ja, bettlägerig | 135 | 18,8 |
Ja, eingeschränkt | 520 | 72,2 |
Nein | 55 | 7,6 |
Keine Angabe | 10 | 1,4 |
Bei der Mehrheit der Patientinnen traten die Migräneattacken entweder vor Beginn der Menstruation (ca. 45%) oder gleichzeitig mit Beginn der Menstruation (ca. 41%) auf. Nur eine geringe Anzahl Patientinnen (ca. 8%) dokumentierte Migräneattacken nach Beginn der Menstruation. Die Migräneattacken mit Beginn vor Eintritt der Menstruation verteilten sich wie folgt: Etwa 27% begannen 1 Tag, ca. 24% 2 Tage und 9% 3 Tage vor Menstruationsbeginn. Die Migräneattacken mit Beginn nach Menstruationseintritt verteilten sich wie folgt: Etwa 19% begannen 1 Tag, ca. 12% 2 Tage und ca. 16% 3 Tage nach Menstruationsbeginn.
Der größte Teil der Patientinnen (ca. 76%) behandelte Migräneattacken vor Erhebungsbeginn medikamentös, davon ca. 69% mit Analgetika/nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) und ca. 16% mit Triptanen. Eine nichtmedikamentöse Behandlung ihrer Migräne gab ca. ein Viertel der Patientinnen an.
Über vier Fünftel der Patientinnen verwendeten Rizatriptan in Form von MAXALT® 10 mg, während 14,9% MAXALT® lingua 10 mg einsetzten.
Die Wirksamkeit der Therapie mit Rizatriptan wurde den Tagebuchinformationen entnommen. Dazu konnten die Tagebuchinformationen von ca. 540 Patientinnen mit 1053 Migräneattacken ausgewertet werden. Der mittlere Abstand zwischen 2 Migräneanfällen betrug etwa 36 Tage. Bei mehr als der Hälfte der Patientinnen trat die 2. dokumentierte Migräneattacke innerhalb von 35 Wochen nach der 1. Attacke auf.
Migräne ist eine Erkrankung, deren Neuerkrankungsgipfel zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr liegt. Dies ist üblicherweise der Zeitraum, in dem die ansonsten oft gesunden Frauen zwar einen Gynäkologen, aber keinen Hausarzt konsultieren. Daher ist es wichtig, dass Migräne beim Gynäkologen diagnostiziert und auch behandelt werden kann, um Patientinnen unnötiges Martyrium durch falsche Attribution zu ersparen (immer wenn ich meine Regel habe, werde ich aggressiv und dann bekomme ich Kopfschmerzen). Die vorliegende Anwendungsbeobachtung belegt, dass Triptane, in diesem Fall Rizatriptan (Maxalt® 10 mg), sich zur Therapie der menstruellen Migräne gut eignen. Bei allen theoretischen Überlegungen zum wissenschaftlichen Wert von Anwendungsbeobachtungen zeigt sich auf dem Gebiet der Migräne zunehmend, dass die Beurteilung durch den Patienten selber ein bevorzugter Wirkungsparameter ist. Die Migränetherapie mit Triptanen ist wirksam und Erfolg versprechend und ermöglicht den Patientinnen, ihre Erkrankung eigenständig zu behandeln, was den Weg in Praxen und Notfallambulanzen aufgrund einer Migräneattacke unnötig macht.
Diener HC (2003) Kopfschmerzen. Thieme, Stuttgart
Diener HC (2002) Kopf- und Gesichtsschmerzen. Thieme, Stuttgart New York
Diener HC (2002) Migräne Ein Buch mit sieben Siegeln? 100 Fragen und 100 Antworten, 3. Aufl. Thieme, Stuttgart
Literatur
Gynäkologische Endokrinologie |
© Springer Medizin Verlag 2006 |
10.1007/s10304-006-0137-x |
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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