Freitag, 18. Mai 2012

Warum der Ruf nach Wachstum die Eurokrise nicht lösen wird und auch der Rat der Ökonomen wenig hilft [via jjahnke.net]


global news 2675 17-05-12:
Warum der Ruf nach Wachstum die Eurokrise nicht lösen wird und auch der Rat der Ökonomen wenig hilft

[via jjahnke.net]

 


Es mag arrogant klingen, wenn ein Hobby-Ökonom wie ich das einzige Rezept kritisiert, daß jetzt von der Ökonomenzunft zur Lösung der Eurokrise allseits aufgetischt wird: Wachstum. Mit leichten Unterschieden sind alle auf demselben Dampfer und nehmen die Politik gleich mit an Bord. Da gibt es die konservativen Kräfte, die vor allem von den Krisenländern wachstumfördernde Strukturreformen fordern, wie Abbau des Kündigungsschutzes, Reduzierung aufgeblähter Beamtenapparate, Senkung von Mindestlöhnen oder ein späteres Renteneintrittsalter. Dazu können dann notfalls noch Infrastrukturprojekte kommen. Die sollen aus Restmitteln der EU plus einer finanziell aufgestockten Europäischen Investitionsbank sowie über von Allen quergeschriebene Projektbonds finanziert werden (solche dürfen wegen der begrenzenden Projektanbindung nicht mit "Eurobonds" verwechselt werden).

Dann gibt es noch die wenigen verbliebenen Keynesianer und andere nachfrageorientierte Ökonomen. Die verlangen ein Zurückfahren der Sparauflagen für die Krisenländer und holen immer wieder als weiteres Allheilmittel die Eurobonds aus dem Hut. Mit Letzteren sollen die Krisenstaaten aus dem angeblichen Würgegriff der Finanzmärkte befreit werden, indem sie sich dann statt durch eigene Anleihen über Eurobonds finanzieren können oder ähnliche Anleihen im Rahmen des vom deutschen Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungspakts. Von solche Anleihen wird uns wegen der gemeinsamen Haftung aller Euroländer ein niedriger Einheitszins an den Finanzmärkten versprochen. Daß beispielsweise Griechenland unter Führung seiner erstarkten Linksextremen nach einem solchen "Befreiungsschlag" das Sparprogramm mehr oder weniger aus dem Fenster werfen würde und Deutschlands Steuerzahler am Ende die Zeche zahlen müßten, scheinen diese Ökonomen nicht zu befürchten. Gerade heute hat der griechische Linksaußen Alexis Tsipras in einem BBC-Interview der deutschen Kanzlerin vorgeworfen, mit den Leben der Menschen in Europa Poker zu spielen, indem sie auf Sparmaßnahmen bestehe.

Ebenso wenig wird offensichtlich von den Fürsprechern der Eurobonds besorgt, daß inzwischen selbst Frankreich mit zinssteigernden Folgen für evtl. Eurobonds seinen AAA-Status verloren hat und daß auch bei Eurobonds die Zinsen im Rhythmus der Krisenmeldungen aus einzelnen Euroländern durchaus immer weiter steigen könnten - ebenso natürlich, wenn aus den beiden anderen Nordlichtern Niederlande und Finnland immer neuen Meldungen über innere Widerstände gegen das Rettungskonzept kommen.

Doch die Gretchenfrage ist eine andere: Wo soll das befreiende Wachstum eigentlich herkommen? Wo sollen die mit China und anderen Billigstländern konkurrenzfähigen Exportsektoren eigentlich entstehen, damit die hohen Leistungsbilanzdefizite einzelner Krisenländer verschwinden (Abb. 16819)? Alle Krisenländer sind dabei besonders exportschwach (Abb. 16820).

Oder glaubt man wirklich, daß sich der Karren schon durch öffentliche Investitionen aus dem Dreck ziehen läßt, für die es ja im Übrigen erst einmal finanzierbare Projekte geben muß. Und solange die Leistungsbilanzdefizite nicht verschwinden, müssen immer neue Finanztransfers für Ausgleich sorgen. Hierzu werden wohlfeile Antworten angeboten: Deutschland soll die Löhne anheben, so daß es den Krisenländern im Export weniger Konkurrenz macht und mit gestärkter Kaufkraft mehr von dort importiert. Nach Lehrbuch ist das alles richtig, in der Praxis leider wohl eher nicht.

Man sollte wirklich der Frage nachgehen, warum nun schon seit vielen Jahrzehnten das Wachstum in der Eurozone immer mehr gegen null gegangen ist, zunächst in den 70er bis Mitte der 80er Jahre und dann in einem neuen Schub ab 1991 (Abb. 15723). Dann würde man auf zwei Gründe stoßen, die aber auch den erwähnten Vorschlägen für eine Lösung der Eurokrise im Wege stehen. Es sind nämlich zwei unbestreitbare, gleichzeitig stattfindende tektonische Verschiebungen von gewaltigem Umfang, die die Weltwirtschaft vor allem seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts total verändern: der von einer neoliberalen Hyperglobalisierung geförderte Antritt Chinas als unschlagbar preiswerter Massenproduzent einerseits und die Konzentrierung der Einkommen und Vermögen bei den Wohlhabenden und Bestverdienern aller Länder.

Erstens sind Produkte der Krisenländer weniger durch Deutschland und viel mehr durch China und andere Billigstproduzenten von den Märkten der Welt verdrängt worden. Seitdem China mit seinem Milliarden-Heer an Niedriglohnbevölkerung und einer manipulierenden Staatswirtschaft ohne unabhängige Gewerkschaften und Streikrecht immer aggressiver auf den Weltmärkten auftritt, ist es zur Werkbank der Welt geworden und hat vor allem arbeitsintensive Industrien, aber auch viele andere eingesammelt. Die Krisenländer verzeichnen nicht überraschend besonders hohe Handelsbilanzdefizite mit China (Abb. 15768, 15685). So verlieren Italien und Spanien schon im direkten Handel jedes Jahr 1,2 % bzw. 1,1 % ihrer Gesamtwirtschaftsleistung durch Handelsbilanzdefizite mit China. Das sind auch erhebliche Defizite gemessen an den gesamten Handelsbilanzdefiziten dieser Länder, fast das gesamte Defizit bei Italien und 30 % bei Spanien (Abb. 15769). Klassische arbeitsintensive Exportprodukte dieser Länder wurden von China übernommen, so daß auch der Außenhandel dieser Länder mit der gesamten Welt unter der unfairen Konkurrenz leidet. Die entsprechenden Verluste dürften noch weit größer sein als die im bilateralen Handel mit China.

Die EU hat auf Drängen der Nordlichter, wie Deutschland, Großbritannien und Schweden, auf den an sich zulässigen Anti-Dumpingschutz weitgehend verzichtet. Den Preis dafür zahlen nicht zuletzt die Länder an der südlichen Peripherie der Eurozone mit ihren traditionellen industriellen Exportprodukten. Das wird sich auch bei Wachstumsprogrammen und Eurobonds nicht um ein Jota ändern.

Wenn die für den Wettbewerb entscheidenden Lohnstückkosten der Krisenländer seit dem Jahr 2000 so viel stärker als in Deutschland gestiegen sind, nämlich um 31 % in Griechenland, 29 % in Italien und 26 % in Spanien, und wenn der schlimmste Wettbewerber auf einem noch viel niedrigeren Lohnstückkostenniveau als Deutschland China heißt, gewinnt man eine Vorstellung von der wahren Größe der Herausforderung für eine dauerhafte Rettung der Eurozone.

Zweitens hat nach dem Fall der Berliner Mauer das Ende des kommunistischen Gegenmodells kombiniert mit dem eben beschriebenen Niedriglohndruck überall in der Welt eine neoliberale Phase eingeläutet, in der sich die Einkommen und Vermögen immer ungleicher verteilen und gleichzeitig die Massenkaufkraft leidet. Die Steuerpolitik hat diese Bewegung erheblich unterstützt, so in Deutschland mit der Absenkung der Unternehmenssteuern, des Spitzensteuersatzes der Einkommenssteuer, der Einführung des niedrigen Steuersatzes auf Kapitaleinkünfte und der Beseitigung der Vermögenssteuer. So lange die Ökonomen nicht hier den Keil einer Korrektur ansetzen, sind ihre Ratschläge für mehr Wachstum ziemlich wohlfeil. Das heißt, daß die Ökonomenriege in Deutschland für einen eurozoneweiten grundsätzlichen Wandel in Richtung auf beispielsweise skandinavische Verhältnisse plädieren müßte, wenn sie mehr Konsum haben wollen, der dann Wachstums schafft und auch zu mehr Importen der Nordlichter aus den Krisenländern führen könnte.

Leider jedoch muß man vermuten, daß selbst in Deutschland steigende Löhne allein die Binnennachfrage nicht ausreichend anschieben würden, um so über mehr Import aus den Krisenländern die Eurozone zu retten. Ein sehr großer Teil der deutschen Verbraucher ist nicht wegen Armut sondern aus verschiedenen Ängsten auf Sparen eingerichtet. Aktuell sind es steigende Ängste wegen der Bedrohung der Geldwertstabilität mit schon jetzt real negativen Sparerzinsen, die auch die Altersvorsorge gefährden. Andere Ängste kommen aus der Gefahr eines Abstiegs in den mangels Mindestlöhnen wuchernden Niedrigstlohnsektor trotz eines ansonsten bisher robusten Arbeitsmarkts. Weitere Ängste beziehen sich auf die Altersrenten, die im Eingangsbetrag immer weiter fallen und überhaupt schon aus demographischen Gründen unsicherer geworden sind. Auch vor Alter in schlechten Pflegeanstalten fürchten sich viele Menschen, die sich private Pflege nicht oder kaum leisten können. Dieses Bündel an Ängsten allein wird den Wachstumseffekt steigender Löhne, wenn sie denn real überhaupt steigen würden, schon weitgehend blockieren.

Wenn diese beiden tektonischen Verwerfungen in den Rettungskonzepten der Eurozone unberücksichtigt bleiben, werden sie nicht weit tragen. Dann geht wertvolle Zeit verloren und steigt die Europamüdigkeit immer mehr. Am Ende entscheiden populistische Bewegungen der großen Vereinfacher die Zukunft von Eurozone und Europäischer Union.



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