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Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 24.05.2012 10:17
Armut unter Beschäftigten und Arbeitslosen in Deutschland besonders starkHans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 24.05.2012 10:17
gestiegenArmut bei Erwerbstätigen und Arbeitslosen hat sich in Deutschland zwischen
der Einführung der Hartz-Reformen und dem Jahr 2009 stärker ausgebreitet
als in allen anderen EU-Ländern. Zu diesem Ergebnis kommt eine
Untersuchung aus dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut
(WSI) der Hans-Böckler-Stiftung auf Basis der neuesten derzeit verfügbaren
Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat.Seit 2004 sind die Beschäftigtenzahlen in Deutschland kräftig gewachsen,
die Arbeitslosigkeit hat deutlich abgenommen. Doch die positive
Entwicklung hat eine Schattenseite, sagt WSI-Forscher Dr. Eric Seils:
"Analysiert man die soziale Lage der Erwerbsbevölkerung, dann zeigt sich,
dass die deutschen Beschäftigungserfolge mit einem hohen sozialen Preis
verbunden waren."Der Sozialwissenschaftler hat die EU-weite Erhebung von Armutsdaten
ausgewertet, die aktuell bis zum Einkommensjahr 2009 vorliegen. 2009 waren
laut Eurostat in Deutschland 7,1 Prozent der Erwerbstätigen von
Arbeitsarmut betroffen. Das heißt, ihnen standen weniger als 60 Prozent
des mittleren bedarfsgewichteten Nettoeinkommens zur Verfügung das ist
die gängige wissenschaftliche Armutsgrenze. In Deutschland liegt diese
Schwelle für einen Alleinstehenden bei 940 Euro im Monat.Im Vergleich zu 2004 ist der Anteil der "Working Poor" um 2,2
Prozentpunkte gestiegen. Damit nahm die Arbeitsarmut in Deutschland,
ebenso wie in Spanien, deutlich stärker zu als in allen anderen EU-
Staaten. Im Durchschnitt der Gemeinschaft wuchs die Armutsquote unter
Erwerbstätigen nach Eurostat nur um 0,2 Prozentpunkte. Der
überdurchschnittliche Anstieg führte dazu, dass Deutschland mittlerweile
bei der Arbeitsarmut im europäischen Mittelfeld liegt. Zuvor war das
Problem in der Bundesrepublik vergleichsweise selten.Noch weitaus drastischer stieg seit 2004 die Armutsquote unter
Arbeitslosen um 29 Prozentpunkte. Im EU-Durchschnitt waren es nur 5
Prozentpunkte. 2009 hatten 70 Prozent der Arbeitslosen in Deutschland nur
ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze 25 Prozentpunkte mehr als im
Durchschnitt der 27 EU-Staaten.Parallel zur Ausbreitung der Arbeitsarmut in Deutschland nahm auch die
atypische Beschäftigung kräftig zu, so Seils. Verschiedene Studien zeigen,
dass befristete Jobs, Leiharbeit, Teilzeitstellen und Minijobs im
Durchschnitt schlechter bezahlt werden als so genannte
Normalarbeitsverhältnisse in Vollzeit. Auch die Zahl der Soloselbständigen
wuchs, also von Freiberuflern ohne eigene Angestellte, die ebenfalls
häufig schlecht verdienen. Allerdings reiche der Boom bei den atypischen
Beschäftigungsformen allein nicht aus, um zu erklären, warum die Zahl der
"Working Poor" so markant gewachsen ist, betont der WSI-Experte: Die Daten
zeigten, dass "die Entwicklung der Arbeitsarmut nicht durch wenige,
isolierte Beschäftigungsformen getrieben wird, sondern gleichsam die
Breite des Arbeitsmarktes erfasst hat".Auch die hohe Armutsquote unter deutschen Arbeitslosen beruht nach Seils'
Analyse auf mehreren Faktoren. Einerseits spiegele sie teilweise die
Erholung am Arbeitsmarkt wider: Da vor allem Menschen wieder einen Job
fanden, die noch nicht so lange arbeitslos waren, stieg der Anteil der
Langzeitarbeitslosen. Die seien jedoch seit der Abschaffung der
Arbeitslosenhilfe im Zuge der Hartz-Reformen in Deutschland schlecht gegen
Armut abgesichert, erklärt der Forscher. Nach einem Jahr einer im
Vergleich zu etlichen europäischen Nachbarländern relativ kurzen Frist
erhalten Arbeitslose kein einkommensabhängiges Arbeitslosengeld I (ALG I)
mehr, sondern nur noch das niedrigere ALG II als Grundsicherung. Und das
reiche oft nicht mehr, um das Haushaltseinkommen über der Armutsgrenze zu
halten.Andererseits sieht Seils einen deutlichen Zusammenhang zwischen
gewachsener Arbeits- und Arbeitslosenarmut: "Wer bereits in Beschäftigung
arm war, wird es als Arbeitsloser erst recht sein." Sei es, weil das
Einkommen so niedrig war, dass schon das ALG I unter der
Grundsicherungsgrenze liegt. Oder weil ein prekär Beschäftigter mit
unterbrochenem Erwerbsverlauf nicht lange genug am Stück beschäftigt war,
um überhaupt einen Anspruch auf die Versicherungsleistung zu haben.Infografik zum Download im neuen Böckler Impuls 9/2012:<www.boeckler.de/hbs_showpicture.htm?id=39828&chunk=1>Ansprechpartner in der Hans-Böckler-StiftungDr. Eric Seils
WSI
Tel.: 0211-7778-591
E-Mail: Eric-Seils@boeckler.deRainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.deArten der Pressemitteilung:
Forschungs- / WissenstransferSachgebiete:
Gesellschaft
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