Montag, 1. November 2010

Nagoya: #Biotreibstoffe #nicht #länger auf# Kosten der #biologischen #Vielfalt oder #Ernährungssicherheit


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung, Sebastian Tilch, 01.11.2010
15:11

Nagoya: Biotreibstoffe nicht länger auf Kosten der biologischen Vielfalt
oder Ernährungssicherheit

Die Umwandlung natürlicher Biotope und extensiv bewirtschafteter Flächen
in intensiv bewirtschaftetes Ackerland sind laut UN-Bericht zum Zustand
der globalen Biodiversität (GBO 3) Hauptursache für den Verlust der
biologischen Vielfalt an Land. Einen großen Anteil an dieser Entwicklung
trägt der aus Klimaschutzgründen geförderte Biotreibstoff-Boom. Bei der
Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya weigerten sich die Profiteure dieses
Booms lange, die negativen Auswirkungen anzuerkennen. Dennoch kam man am
Ende zu einer verbindlichen Regelung. Welchen Einfluss Biokraftstoffe auf
die Lebensvielfalt in Europa haben, beleuchtet Prof. Christina von Haaren
(Universität Hannover) im NeFo-Interview.

Nächtelang zogen sich die zähen Verhandlungen der 193 UN-
Unterzeichnerstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt
(CBD) hin, um eine verbindliche Regelung zu finden, wie man zukünftig mit
den Auswirkungen des Energiepflanzenanbaus auf die biologische Vielfalt
umgehen will. Doch am letzten Tag der Konferenz in Nagoya kam doch eine
Einigung zustande. Fast überraschend, meint Dr. Axel Paulsch vom Netzwerk-
Forum zur Biodiversitätsforschung, der die Verhandlungen vor Ort verfolgt
hat. "Es ist schon ein riesiger Schritt, dass es überhaupt zu einem
gemeinsamen Beschlusstext gekommen ist, da u. a. Brasilien bisher
eigentlich die Haltung hatte, Biotreibstoffe hätten keinen Einfluss auf
die Biodiversität, man also gar nicht darüber reden müsse." Die Verhandler
haben sich nun doch bewegt. Doch welche wesentlichen Durchbrüche sind das,
von denen gesprochen wird?

Grundsätzlich sieht Ziel 7 des verabschiedeten Strategischen Plans vor,
dass bis 2020 die gesamte Landwirtschaft nachhaltig betrieben werden soll.
Würde diesem Leitsatz Folge geleistet, müsste die 2013 anstehende
Agrarreform der EU eine deutliche Neuausrichtung vor allem ihrer
Subventionen an Nachhaltigkeitskriterien bringen. "Um auch die Praxis von
diesen Leitlinien zu überzeugen, müssen wir die Kosten für die Nutzung der
Naturgüter in die Bilanzen der Bioenergie einbeziehen." sagt Christina von
Haaren, Professorin für Landschaftsplanung und Naturschutz an der
Universität Hannover, im NeFo-Interview.  Diesen Ansatz verfolgt derzeit
die TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), die
inzwischen auch in der Politik und Öffentlichkeit zunehmende
Aufmerksamkeit bekommt.

Das Beschlusspapier zur Biokraftstoffen hält aber selbst einige wahre
Durchbrüche bereit. Als Errungenschaft kann sicherlich die Formulierung
von Paragraf vier im Text gewertet werden. Dort werden die Staaten
"gedrängt" ("to urge" ist die stärkst mögliche Aufforderung), die
Auswirkungen auf Nahrungssicherheit lokaler Gemeinschaften zu
berücksichtigen. Diese Formulierung hatte Afrika gefordert, das seine
Kleinbauern, die zum größten Teil die Ernährung der Bevölkerung
bestreiten, durch großindustriellen Biotreibstoffanbau gefährdet sieht.

In Paragraf 6 wurde auf Drängen der EU festgelegt, dass Biotreibstoffe in
ihrer Ökobilanz nicht nur  an Klimaauswirkungen gemessen werden, sondern
nun die gesamte Wertschöpfungskette vom Anbau bis Verbrauch bewertet
werden muss. Hiergegen hatte sich Brasilien lange gewehrt hatte.
Beispielsweise führen Düngemittel und Transport zu erheblichen
CO2-Emissionen, die die Kohlenstoffbilanz von Biokraftstoffen erheblich
verschlechtern.

Gebiete von hohem Wert für die Erhaltung der biologischen Vielfalt sollen
laut Paragraf 7 möglichst vom Anbau von Biokraftstoffen ausgenommen
werden.  Der Ausdruck der "areas of high biodiversity values" war lange
umstritten. Ein Problem hierbei sind allerdings die indirekten Effekte
dieses Anbaus, bei dem beispielsweise Palmölplantagen
Nahrungsmittelproduktion verdrängt, die dann auf solche Gebiete mit hohem
Naturschutzwert ausweichen.

Auch einigten sich die Staatenvertreter auf das so genannte
Vorsorgeprinzip im Umgang mit genveränderten Organismen. Genverändertes
Saatgut solle nach Paragraf 16 nicht zum Einsatz kommen, bevor alle
möglichen negativen Auswirkungen abgeklärt wurden.

Hintergründe:
Energiepflanzen sollen die Kohlenstoffemissionen der Wirtschaft und
Gesellschaft sowie die Abhängigkeit von knapper und damit teurer werdenden
Ölvorkommen verringern. Weltweit nimmt der Anbau von Ölsaaten wie Palmöl
sowie Zuckerrohr, Mais und Getreide für die Bioäthanolproduktion rasant
zu. Doch diese vermeintlichen Errungenschaften haben ihre Kehrseiten: Die
Plantagen entstehen immer häufiger in wichtigen Lebensräumen mit einer
hohen Artenvielfalt, die dadurch verloren geht.
In Europa wird vor allem wertvolles Grünland, das bisher als Rückzugsraum
vieler Arten diente, hochsubventioniert in Raps- und Maisäcker
umgewandelt. Die Folgen sind: Steigerung der Lebensmittelpreise, Erhöhung
des Pestizid- und Düngemitteleinsatzes sowie des Wasser- und
Flächenverbrauchs im Zuge einer Intensivierung der Landwirtschaft,
Feinboden- und Humusschwund, Zerstörung wertvoller Ökosysteme,
Biodiversitätsverlust und eine effektive Steigerung statt Verminderung der
Treibhausgas-Emissionen, insbesondere wenn für den Anbau von
Energiepflanzen Wälder abgeholzt oder Grünlandflächen umgebrochen werden.
Oft sind es nicht direkt die Produzenten des Biotreibstoffs, die auch die
Rodungen vornehmen. Man spricht von sogenannten indirekten Effekten, wenn
ehemalige Landnutzer, die ihr Land, wie z.B. Weideland zur Produktion von
Energiepflanzen abgegeben haben, mit ihren Tieren auf Wildflächen
ausweichen. Diese indirekten Effekte sind enorm und relativieren auch das
ursprüngliche Ziel der Kohlenstoffeinsparung gegenüber fossiler
Brennstoffe deutlich, wie eine Studie von 2009 in Brasilien deutlich
macht. Diese berechnete, dass in dem untersuchten Gebiet allein die
Rodung, die indirekt durch Zuckerrohr- und Sojaanbau für Ethanol
durchgeführt wurden, CO2-Mengen freisetzte, die erst nach 250 Jahren
Nutzung von Biokraftstoffen statt fossiler Brennstoffe wettgemacht wäre
(Lapola et al., 2009).

Kontakt:
Sebastian Tilch
Öffentlichkeitsarbeit Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ Leipzig
Department Naturschutzforschung
Tel. 0341/235-1062
Email:
sebastian.tilch@ufz.de

Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung Deutschland ist ein Projekt im
Rahmen von DIVERSITAS-Deutschland (
www.diversitas-deutschland.de),
gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das
Projekt wird maßgeblich durchgeführt durch das Helmholtz-Zentrum für
Umweltforschung – UFZ in Leipzig, das Museum für Naturkunde Berlin und die
Universität Potsdam sowie die Mitglieder des DIVERSITAS-Deutschland
Beirates.
Weitere Informationen und Hinweise zum NeFo-Projekt und Team unter
<
www.biodiversity.de>

Arten der Pressemitteilung:
Forschungs- / Wissenstransfer
Personalia

Sachgebiete:
Biologie
Energie
Meer / Klima
Tier- / Agrar- / Forstwissenschaften
Umwelt / Ökologie

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.biodiversity.de/index.php?option=com_content&view=article&id=445&Itemid=355&lang=de - NeFo-Interview mit Prof. v. Haaren
http://www.cbd.int/doc/meetings/cop/cop-10/in-session/cop-10-l-41-en.doc - Beschlussdokument zu Biokraftstoffen bei der COP10 (UNEP/CBD/COP/10/L.41)
http://www.pnas.org/content/107/8/3388.full - Paper Lapola et al., 2009

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
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Prof. Christina von Haaren, Universität Hannover

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
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Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution1521


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