Es klingt wie ein Wunder, wenn die Bundesarbeitsministerin in theatralischer Pose verkündet, die Arbeitslosigkeit sei unter 3 Mio auf den niedrigsten Stand seit 1991 gefallen (der Arbeitsmarktbericht ihres Ministeriums macht gleich und unrichtig den niedrigsten Stand "seit 20 Jahren" daraus).
So meldet denn auch SPIEGEL-online vollmundig, ebenso wie wahrscheinlich die meisten anderen deutschen Medien: "Die deutsche Wirtschaft brummt - und die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbessert sich rasant", und schiebt dann die Schlagzeile nach: "Experten rechnen mit weniger als zwei Millionen Arbeitslosen". Das soll zwar erst für 2012 gelten, soll aber dennoch schon heute erneut wie ein Wunder klingen.
Doch 1991 wurde die Arbeitslosigkeit noch ganz anders und viel korrekter als heute gezählt. Die Zahl wurde durch immer mehr niedrigst entlohnte und unsichere Jobs gesenkt und nicht zuletzt durch eine Unmenge an statistischen Tricks. Wurden z.B. vor vier Jahren noch 67,3 % aller Arbeitslosengeld-Empfänger auch amtlich als "arbeitslos" registriert, so sind es heute nur 52,7 %.
Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit lassen Zeitphasenvergleiche und damit eine Beurteilung der Entwicklung kaum noch zu; diese "Statistik" ist inzwischen die bei Weitem verlogenste, die amtlich in Deutschland erstellt wird (siehe dazu Teil 6 unten).
Vor allem aber: Selbst nach den fälschlich bejubelten offiziellen Zahlen ist mit den letzten Monatsergebnissen sowohl der Aufbau der Beschäftigung, wie der Abbau der Arbeitslosigkeit praktisch zum Erliegen gekommen. Bei der Oktober-Sinkgeschwindigkeit von 3.000/Monat würde es fast 30 Jahre dauern, bis die schon vorausgesagten 2 Millionen an Arbeitslosen erreicht wären.
Frau von der Leyen rühmt sich zwar, die Zahl der Langzeitarbeitslosen liege jetzt um 100.000 unter dem Vorkrisen-Niveau: "Wir sehen, dass zum ersten Mal in einer Krise und nach einer Krise die verfestigte Sockelarbeitslosigkeit nicht gestiegen ist." Doch gegenüber dem Vorjahr hat sich diese besonders bedrückende Zahl der Arbeitslosen, die länger als 12 Monate arbeitslos waren, mit 899.000 nur um 10.000 verringert also praktisch kaum. Ihr Anteil an allen Arbeitslosen erhöhte sich erneut um zwei Prozentpunkte auf nun 33 Prozent, ein besonders negatives Ergebnis und auch sehr viel mehr als in den meisten Vergleichsländern.
Viel Arbeitslosigkeit wird weiterhin in der Kunstkategorie der "Unterbeschäftigung" versteckt. Abzüglich der offiziell gezählten Arbeitslosigkeit lag die in der Unterbeschäftigung versteckte im Oktober um mehr als 15 % über der vom Januar 2009. Im Wesentlichen sind nur minderwertige Jobs neu entstanden.
Bei der Arbeitnehmerüberlassung, die vornehme amtsdeutsche Umschreibung für die besonders unsichere und in den Regel schlechter bezahlten Leiharbeit, kam es im letztgemeldeten Monat August wieder zu einem starken Anstieg um 34 % gegenüber Vorjahr, was die Gesamtqualität des Zuwachses an Beschäftigung mindert.
Weit mehr als zwei Drittel des Abbaus von Arbeitslosigkeit im Jahresvergleich geht allein auf das Konto der Zunahme an Leiharbeit. Nur noch 52,7 % der Arbeitslosengeldempfänger werden ehrlich als arbeitslos ausgewiesen. Die statistische Verschleierung der Realität ist ein bleibendes Ärgernis und eine Schande für eine amtliche Behörde.
2. Beschäftigte und Arbeitslose
Die Beschäftigung stagniert bereits seit drei Monaten bis zum letztberichteten Monat September, zuletzt sogar mit leichtem Rückgang um 3.000 (Abb. 14924,14915). Dabei umfaßt der Begriff "Beschäftigung" jedoch noch viele Minijobs, Trainingsmaßnahmen und andere Überbrückungen, die praktisch Arbeitslosigkeit bedeuten und nur unter "Unterbeschäftigung" ausgewiesen werden.
Im Übrigen findet die Erfassung der Erwerbstätigen nach dem ILO-Konzept statt, das alle Personen im Alter von 15 und mehr Jahren, die in der Berichtswoche zumindest eine Stunde gegen Entgelt (Lohn, Gehalt) oder als Selbstständige bzw. als mithelfende Familienangehörige gearbeitet haben, als beschäftigt zählt.
eine Rolle spielt dabei, ob es sich bei der Tätigkeit um eine regelmäßige oder um eine gelegentlich ausgeübte, eher marginale Tätigkeit handelt. Aus der ILO-Definition der Erwerbstätigkeit folgt, dass auch Personen mit einer Beschäftigung im unteren und untersten Stundenspektrum und im Status einer "geringfügigen Beschäftigung" als Erwerbstätige erfaßt werden.
Die Arbeitslosigkeit ging im Vorjahresvergleich um 8,8 % zurück, wobei die von Dritten betreuten Jobsuchenden von der Bundesagentur (siehe unten Teil 6) nicht mehr als Arbeitslose erfaßt werden (Abb. 04772). Die durch Dritte betreuten Arbeitslosen wurden einfach in die "Unterbeschäftigung" verschoben, die nach Schätzung der Agentur im Vergleich zum Vorjahr (ohne Kurzarbeit) um 8,6 % gefallen ist. Die Unterbeschäftigungsquote lag kaum verändert bei 9,5 %.
Saisonal bereinigt ist die Arbeitslosigkeit im Oktober mit minus 3.000 kaum noch zurückgegangen (Abb. 14925). Die amtlich ausgewiesene Zahl der Arbeitslosen lag leicht unter drei Millionen (2,95 Mio), die ehrlichere der "Unterbeschäftigten" (ohne Kurzarbeit) bei 4,1 Millionen, wie schon im September eine Differenz von mehr als 1,1 Millionen (Abb. 14726, 14893). Abzüglich der offiziell gezählten Arbeitslosigkeit ist die in der Unterbeschäftigung versteckte damit im Oktober nur um 5,4 % gegenüber Vorjahr zurückgegangen und liegt immer noch um mehr als 15 % über dem Stand vom Januar 2009.
Die so wichtige Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat nach der letztgemeldeten Zahl für August in den 7 Jahren seit 2003 kaum zugenommen und ist gegenüber dem Vorjahreswert nur um 1,6 % gestiegen (Abb. 04008). Im Vorjahresvergleich geht fast die Hälfte (43 %) der Zunahme gegenüber dem Vorjahr auf das Konto von befristeter und daher unsicherer Leiharbeit.
Erst recht zeigt sich eine enttäuschende Entwicklung, wenn man langfristig mit 1995 vergleicht. Da ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an allen Beschäftigten von 75 % in 1995 auf nur noch 68.9 % im August 2010 zurückgefallen. 2,35 Mio sozialversicherungspflichtig Beschäftigte übten zusätzlich einen geringfügig entlohnten Nebenjob aus - gegenüber dem Vorjahr 59.000 oder 2,6 % mehr -, was die teilweise minderwertige Qualität auch der versicherungspflichtigen Beschäftigung zeigt.
3. Langzeitarbeitslosigkeit
Die besonders bedrückende Zahl der Arbeitslosen, die länger als 12 Monate arbeitslos waren, hat sich bei 899.000 gegenüber dem Vorjahr mit minus 10.000 praktisch kaum verändert (ohne Daten zugelassener kommunaler Träger). Ihr Anteil an allen Arbeitslosen erhöhte sich erneut um zwei Prozentpunkte auf nun 33 Prozent, ein besonders negatives Ergebnis und auch sehr viel mehr als in den meisten Vergleichsländern (siehe Teil 5).
4. Struktur-Effekte der Beschäftigung: Mc Jobs
Bei der Arbeitnehmerüberlassung, die vornehme amtsdeutsche Umschreibung für die besonders unsichere und in den Regel schlechter bezahlten Leiharbeit, kam es im letztgemeldeten Monat Juli wieder zu einem starken Anstieg um 190.000 oder 34 % auf 754.700, was die Gesamtqualität des Zuwachses an Beschäftigung mindert, denn mehr als zwei Drittel (70,2 %) des Abbaus von Arbeitslosigkeit im Jahresvergleich geht allein auf das Konto der Zunahme an Leiharbeit. Auch in den Vorjahren war der Aufbau an Beschäftigung zum größten Teil auf diese Zeitverträge entfallen (Abb. 14892).
Immer größere Anteile von Arbeitnehmer übernehmen so das Konjunkturrisiko ohne jeden Kündigungsschutz auf die eigenen Schultern. Leiharbeitnehmer kommen auch nicht in den Genuß der Tarifverträge der Unternehmen, an die sie ausgeliehen werden, sondern haben ihren eigenen, ungünstigeren Tarifvertrag der Leiharbeitsindustrie. Im letzterfaßten Jahr 2006 verdienten weniger als 8,50 Euro pro Stunde nur 6 % normaler Arbeitnehmer aber 43,5 % der Leiharbeitnehmer. Wenn gerade jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nur der prekäre Einstieg in die Arbeitswelt über Praktika, Leiharbeit oder befristete Jobs bleibt - wenn also aus dem Jobwunder die Jobrotation wird - dann können Jobprognosen aus Unmut Zorn machen.
Die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnt Beschäftigten, die nicht als arbeitslos gemeldet werden, liegt weiterhin sehr hoch. Sie hat nach ersten Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit im August 4,8 Mio betragen, nur 1,9 % weniger als im Vorjahr. Nach einer neuen Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen müssen sich nun schon 20,7 % aller Beschäftigten mit einem Billiglohn unter 9,06 Euro/Stunde abfinden.
Das sind entsprechend der Definition der OECD Löhne von weniger als zwei Dritteln des mittleren Stundenlohns (Median, Abb. 14269). Flächendeckende Mindestlöhne, die das verhindern könnten und die bei fast allen unseren Nachbarn und auch in USA erfolgreich im Einsatz sind, verweigert die Bundesregierung. Der Niedriglohnanteil hat daher in keinem Vergleichsland über die 10 Jahre bis 2007 so stark zugenommen wie in Deutschland (Abb. 15921).
Die demographische Entwicklung trägt allein zu einem Rückgang des Arbeitskräfteangebots um jahresdurchschnittlich 147.000 bei. Auch verrät uns die Bundesagentur weiterhin nicht, obwohl ihr die Zahl bekannt sein sollte, wie viel des Rückgangs an Arbeitslosigkeit auf der von ihr angedeuteten systematische Überprüfung des Arbeitslosenstatus beruht.
Außerdem wird uns wieder nicht verraten, wie viele derer über 58 Jahre nach der neuen gesetzlichen Regelung nun nicht mehr als arbeitslos geführt werden. Dazu die Bundesregierung im besten Beamtendeutsch: "Personen, die vorruhestandsähnliche Regelung des § 428 SGB III i. V. m. § 65 Absatz 4 SGB II in Anspruch nehmen, können statistisch derzeit nicht abgebildet werden."
Diese Struktureffekte zeigen sich auch im Auseinanderklaffen der Zahl der Arbeitslosen und der 5,6 Millionen Arbeitslosengengeldempfänger, von denen nur noch 52,7 % als arbeitslos registriert werden (Abb. 04980). Zwischen August 2006 und Oktober 2010 ist der Anteil der arbeitslos Registrierten an allen Empfängern von Arbeitslosenhilfe von seinerzeit 67,3 % stark gefallen (Abb. 14762).
Immer mehr Arbeitslose befinden sich in Warteschleifen außerhalb der Statistik, wie oft nutzlosen Weiterbildungs- und Trainingsprogrammen, in niedrigst bezahlter Arbeit von 1 Euro und etwas mehr oder sind statistisch durch vielerlei Manipulationen schlicht ausgemerzt worden. Die Arbeitslosenstatistik ist also immer weniger aussagefähig. Wer staatliche Stütze braucht, hat eigentlich keinen richtigen Job.
Nun kommt auch noch der Wegfall der Beschränkungen für den Zuzug von Niedriglohnarbeitskräfte aus den osteuropäischen Beitrittsländern im nächsten Mai hinzu. Ohne Mindestlöhne kann man sich vorstellen, wie das deutsche Lohnniveau weiter gedrückt werden wird. Die Bundesregierung läßt diese Entwicklung im Interesse der Unternehmen offensichtlich sehenden Auges auf uns zurollen.
5. Internationaler Vergleich
Trotz der vielen Manipulationen an der Statistik und der Bremsfunktion des Kurzarbeitergeldes ist die besonders bedrückende deutsche Langzeitarbeitslosigkeit über ein Jahr gemessen an allen Arbeitslosen immer noch die vierthöchste aller 15 Alt-EU-Länder (nur von Belgien, Italien und Portugal übertroffen, Abb. 12999) und war 2009 nach der neuen OECD-Übersicht die höchste (Abb. 13479).
6. Zur Qualität der Arbeitsmarktzahlen
Aufgrund einer Neuregelung in 2007 werden viele der über 58-Jährigen nicht mehr als arbeitslos geführt, obwohl sie noch arbeiten wollen. Nach einem weiteren Gesetz zur Neuregelung von Arbeitsmarktinstrumenten werden seit Mai 2009 alle Arbeitslosen, die durch private Träger betreut werden, nicht mehr als arbeitslos gezählt.
Im April 2009 waren Dritte bundesweit für rund 200.000 Personen mit der Vermittlung beauftragt, wobei die Teilnahmen an diesen Instrumenten ab Mai 2009 sukzessive auslaufen. "Unterbeschäftigt" sind nach Bundesagentur im engeren Sinne Personen in berufliche Weiterbildung, Arbeitsgelegenheiten, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Beschäftigungszuschuss, vorruhestandsähnlicher Regelung, Arbeitsunfähigkeit (§ 126 SGB III) sowie im weiteren Sinne zusätzlich Personen mit Gründungszuschuss, Existenzgründungszuschüsse, Einstiegsgeld - Variante: Selbständigkeit oder in Altersteilzeit.
Die Unterbeschäftigung im weiteren Sinne soll im September bei 4,1 Millionen gelegen haben (noch ohne Kurzarbeit) und damit 1,1 Millionen mehr als die offiziell ausgewiesene Zahl der Arbeitslosen. Hier wird also Arbeitslosigkeit versteckt. Außerdem hat die Arbeitsverwaltung seit 2007 die systematische Überprüfung des Arbeitslosenstatus verschärft, ohne den darauf entfallenden "Rückgang" der amtlich gezählten Arbeitslosigkeit zu benennen.
Die Zahlen vom Oktober 2010 sind also kaum noch mit denen des Vorjahres vergleichbar. Jedenfalls werden nur noch 52,7 % der Arbeitslosengeldbezieher oder wenig mehr als die Hälfte als arbeitslos registriert.
Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken
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