Donnerstag, 8. Juli 2010

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global news wb07.20 06-05-10:

Als wir noch eine Soziale Marktwirtschaft hatten: Ein Rück- und Ausblick
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1969, vor etwas mehr als 40 Jahren, fing ich meine berufliche Entwicklung im Bundeswirtschaftsministerium an.

Es war die Zeit von Karl Schiller. Die folgenden 70er Jahre hatten zwar einige Probleme, doch nichts im Vergleich zu den Jahren seit 2000 oder gar jetzt. Vor allem gab es damals noch wirklich eine "Soziale Marktwirtschaft", die man - ohne rot zu werden - so nennen konnte.

Heute kann ich den Rückblick auf diese Zeit nur im Zorn vornehmen ("Look back in anger" war ein berühmtes Theaterstück von John Osborne aus dem Jahre 1956). Es ist ein Rückblick im Zorn, weil dieser erfolgreiche und in der ganzen westlichen Welt bewunderte "dritte Weg" Deutschlands sinnlos und pervers einem immer neoliberaleren Kapitalismus geopfert wurde.

Der hat dann den sozialen Graben auch und vor allem in Deutschland immer tiefer gemacht. Eine immer einseitigere Steuerpolitik zu Hause und die Globalisierung mit den Möglichkeiten einer Verlagerung an die lohnniedrigsten Standorte in der Welt oder die Drohung damit waren die beiden wichtigsten Hebel dieser Bewegung. Das hat zwar einen kleineren Teil der Bevölkerung immer reicher gemacht, aber gleichzeitig die Massenkaufkraft, auf die die Wirtschaft von der Nachfrageseite her angewiesen ist, ständig verkürzt. Als die Massenkaufkraft immer deutlicher zu fehlen begann, versuchten es die neoliberalen Macher (vor allem in USA) mit einem künstlichen Verbraucherboom auf immer mehr Kredit. Nun, nachdem die Kreditmaschine zusammengebrochen ist, sind sie ratlos. Wahrscheinlich werden sie versuchen, die sinnlose und zerstörerische Kreditmaschine wieder aufzubauen, statt sich der Tugenden einer Sozialen Marktwirtschaft zu besinnen.

Dieser Rück- und Ausblick ist vor allem an die Zeitgenossen gerichtet, die entweder zu jung sind, um sich noch selbst an die Soziale Marktwirtschaft erinnern zu können, oder noch in einem anderen Deutschland lebten, dessen Führung die Soziale Marktwirtschaft der "BRD" verteufelte, oder die vielleicht schon zu alt sind, um noch ein ausreichend gutes Gedächtnis zu haben. Zudem wurde seinerzeit die Soziale Marktwirtschaft als eine Selbstverständlichkeit empfunden, über die man nicht viel nachdachte.

Im Diskussionsforum des Infoportals schrieb kürzlich ein früherer DDR-Bürger, der westliche Wohlfahrts- und Sozialstaat sei nur als bewusst gewollte Entgegensetzung und Produkt des Kalten Krieges zu verstehen. Das wäre also praktisch ein Kunstprodukt gewesen. Mit dem DDR-Hintergrund vergißt auch dieser Mensch, daß die Soziale Marktwirtschaft vor allem das Ergebnis der schrecklichen Erfahrungen aus der deutschen Niederlage gewesen war, die alle getroffen hatte.

So hat auch die CDU im Ahlener Programm vom Februar 1947, also längst vor dem Kalten Krieg, nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus eine grundlegende soziale und wirtschaftliche Neuordnung angestrebt. In der Erklärung heißt es dementsprechend:

"Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr als das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein.

Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert."

Man erinnert sich vielleicht noch, daß der CDU-Wirtschaftsminister Ehrhard dann zum Vater der Sozialen Marktwirtschaft wurde. Aber wenige werden sich noch an das Ahlener Programm der CDU erinnern, das man mit Blick auf die heutige CDU nur mit Erstaunen lesen kann. Gerade hat ein anderes Führungsmitglied der gleichen Partei als neuer Bundespräsident in seiner Antrittsrede sowohl die Soziale Marktwirtschaft wie die Globalisierung beschworen:

"Durch rasche und besonnene Entscheidungen ist es gelungen, die Folgen der Krise deutlich abzufedern ... Dazu haben viele beigetragen Das zeigte, wie gut es ist, miteinander statt gegeneinander zu arbeiten. Das ist eine der Grundlagen unserer Sozialen Marktwirtschaft, auf die wir stolz sein können Die Globalisierung bietet für Deutschland große Chancen. Unsere Wirtschaft profitiert vom europäischen Binnenmarkt, vom Euro, von weltweiten Absatzmärkten und vom Handel. Unsere Bürger reisen in alle Welt, und wir haben gerne die Welt zu Gast."

Hier wird vergessen, daß gerade die Globalisierung in ihrer neoliberalen Form ganz absichtlich zu einem der Sargnägel der Sozialen Marktwirtschaft gemacht wurde.

Dieser Rückblick stützt sich zunächst auf ein einziges Schaubild, das eigentlich fast alles sagt (Abb. 14633). Es zieht auch die letzten Krisenjahre ein, denn die sind im Wesentlichen nur das Spiegelbild des vorrangegangenen kreditgestützten Booms, so daß beides zumsammen gehört.


Die jährliche reale Wachstumsrate lag bei 3,1 % und damit fast viermal höher als die 0,8 % seit 2000.

Die deutsche Industrie investierte noch anständig mit einer durchschnittlichen realen Zuwachsrate von 1,7 % und ging nur ausnahmsweise ins Ausland.

Im Zeitraum seit 2000 ist dagegen nur noch Stagnation bzw. ein leichter Rückgang zu verzeichnen und das trotz Rekordprofiten. Investitionen in Niedrigstlohnländer sind wesentlich attraktiver geworden.

Das Arbeitnehmerentgelt stieg jahresdurchschnittlich nominal um 3,3 Prozentpunkte stärker als die Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Seit dem Jahr 2000 sind es dagegen jahresdurchschnittlich 2,1 Prozentpunkte weniger.

Da konnten die Arbeitnehmer in den 70er Jahren Rückstand gutmachen, während sie in diesem Jahrtausend immer weiter zurückfallen.

Der Konsum privater Haushalte entwickelte sich in den 70er Jahren mit einer realen Durchschnittsrate von 3,6 % tüchtig nach oben, angetrieben von der Entwicklung der Arbeitseinkommen, und stützte so die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, während in dieser Hinsicht die Jahre seit 2000 Jahre absoluter Stagnation mit nur 0,5 % plus waren. Das machte Deutschland immer abhängiger vom Außenbeitrag (Exports minus Import), der sich verdoppelte.

Kaum zu glauben: Die durchschnittliche Arbeitslosenrate lag bei nur 2,5 %.

Trotz aller Verschönerungen der Statistik liegt sie dagegen für den Zeitraum 2000 bis 2009 bei durchschnittlich 9,7 % (Abb. 14634).

Wuchernde Niedriglohn- und Leiharbeitssektoren gab es in den 70er Jahren noch nicht; Kettenarbeitsverträge waren schlicht verboten. Verglichen mit den vorsichtigen Berechnungsmethoden der 70er Jahre wäre die Arbeitslosenquote heute wahrscheinlich gut um die Hälfte höher.


Auch war in den 70er Jahren die Geburtenziffer noch um 17 % höher. Begriffe wie Rentenkrise und Altersarmut trieben die Menschen noch nicht um.

Neben der Globalisierung und dem damit verbundenen negativen Lohndruck trug vor allem die Steuerpolitik zum Ende der Sozialen Marktwirtschaft bei.

Der fortschreitende Abbau der Steuern auf Kapital und Vermögen, einschließlich der Abschaffung der Vermögenssteuer und der Einführung der stark abgesenkten Abgeldungssteuer auf Zinseinkünft einerseits, sowie die drastische Anhebung der auch kleinere Einkommen mit dem gleichen Steuersatz treffenden indirekten und anderen Verbrauchssteuern andererseits bestimmten die Richtung.

Der Anteil der indirekten Steuern am Steueraufkommen stieg von 41,8 % in den 70er Jahren auf 50,6 % im Zeitraum 2000 bis 2009 (Abb. 14674).


Allein im Zeitraum 2000 bis 2008 ergaben sich erhebliche weitere Veränderungen. Danach hat Deutschland in der Alt-EU nun mit 23,1 % den drittniedrigsten Steuersatz auf Kapital (Abb. 13712) und gleichzeitig mit 39,2 % den siebenhöchsten auf Arbeit (Abb. 13713), weit unter bzw. über dem Alt-EU-Durchschnitt. Zwischen den Jahren 2000 und 2008 wurde der Steuersatz auf Kapital um 5,3 Prozentpunkte abgesenkt, was die drittgrößte Absenkungsrate der Vergleichsländer war (Abb. 15204).




Ausblick: In die Zukunft geblickt, gibt es wenig Anzeichen, die auf die Umkehrung des Trends weg von der ehemals Sozialen Marktwirtschaft sprechen würden.

Die Millionärseinkommen haben den kleinen Einbruch von 2008 im vergangenen Jahr wieder wettgemacht.

Die Einkommen aus Vermögens- und Unternehmenstätigkeit steigen wieder um ein Vielfaches derer aus Arbeit.

Das Gerede der Politiker von der angeblich noch bestehenden Sozialen Marktwirtschaft wird immer hohler.

Posted via email from Beiträge von Andreas Rudolf

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