Wir Meinungsspekulanten
(Nachdenkseiten)
http://www.nachdenkseiten.de/?p=5895#h19
Wäre der politische Journalismus selbstkritisch, er würde seinen Charakter und sein Geschäftsgebaren in der Finanzindustrie wiedererkennen; bloß der Rohstoff ist ein anderer, Informationen statt Geld. Sein Hauptgeschäft ist nicht mehr der solide Handel mit verlässlichen Nachrichten und erklärenden Analysen, sondern die immer riskantere Spekulation mit Halbgarem.
Der gewöhnliche Politikjournalismus verlässt sich auf das Welterklärungsmodell von Geisterbeschwörern: die eine göttliche oder teuflische Gestalt ist für alles verantwortlich.
Um sein erstes Gebot zu erfüllen, Aufmerksamkeit zu schüren, ist inzwischen nicht nur der Boulevardjournalismus bereit, alles zu verheizen.
Die gute alte Zeit, in der nur Bild dummmachte, ist vorbei.
Auf die immer komplizierteren Entscheidungssituationen der Politik reagieren die meisten Journalisten mit immer banaleren Personalisierungen, die Ereignisse in Duelle umwandelt: Merkel gegen
, Wulff gegen
, Gabriel für
, Niederlage oder Sieg, Schwarz oder Weiß.
Die Treiber produzieren Getriebene und werden selbst zu Getriebenen. Wie der Finanzmarkt mit Geld und Schrottpapieren, so spekuliert der Meinungsmarkt mit Informationen und Gerüchten. Je riskanter desto höher die Aufmerksamkeit.
Was der politische Journalismus dagegen der Politik ungeprüft durchgehen lässt, das sind beispielsweise die vielen gängigen dümmlichen Deutungsmuster: Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.
Jeder kann nur das ausgeben, was er zur Verfügung hat.
Steuererhöhungen schaden dem Wachstum.
Mit solchen Irreführungen werden politische Weichen gestellt.
Sich damit auseinanderzusetzen, dafür fehlt natürlich die Zeit.
Quelle:
taz Posted via email from 01159 Dresden Löbtau-Süd und Umgebung
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen