Zehn Gründe für eine Gegenwehr?
(Nachdenkseiten)Während sich die Nation im "Fieber" der Fußball-Weltmeisterschaft im fernen Südafrika befindet, ist die Bundesregierung dabei, mit einem "Sparpaket" von 80 Mrd. Euro und massiven staatlichen Leistungskürzungen den Sozialstaat weiter niederzureissen. Nach dem Willen der Regierenden sollen die Verursacher und Profiteure der Finanz- und Schuldenkrise ungeschoren bleiben. Ursula Engelen-Kefer nennt zehn Gründe dafür, warum jetzt Gegenwehr geboten ist.
Übertönt von immer neuen Verbalattacken innerhalb der regierenden Koalition um höhere Steuern, um die Kopfpauschale in der Gesundheitspolitik, um finanzielle Hilfen für den Autobauer Opel, um die Laufzeiten von Kernkraftwerken, um die Familien- und Bildungspolitik, um die Zukunft der Bundeswehr und nicht zuletzt um die Wahl des Kandidaten für das höchste Amt unseres Staates, den Bundespräsidenten, haben die Koalitionsparteien einen Großangriff auf die Schwachen in der Republik zum Regierungsprogramm erhoben.
Die im "Hau-ruck-Verfahren" durch das Parlament gepeitschten gigantischen Rettungsschirme mit unabsehbaren finanziellen Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger einerseits und die Unfähigkeit auf zentralen Feldern der Politik vernünftige Entscheidungen zu treffen anderseits, vor allem aber der massive Abbau unseres Sozialstaates erschüttern das Vertrauen in unsere Demokratie. Erst dieser Tage hat eine empirische Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) [PDF - 458 KB] (http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.357505.de/10-24-1.pdf ) noch einmal eindringlich belegt, dass sich die Kluft zwischen arm und reich in Deutschland immer weiter auftut. Auch im europäischen Vergleich sinken wir in der Rangliste der ungerechten Verteilung von Einkommen innerhalb der Gesellschaft immer weiter und schneller nach unten.
Ein Bündnis von Sozialverbänden und Gewerkschaften hat erste Protestaktionen organisiert. Damit daraus eine breite Bewegung des Widerstandes gegen die Politik der "sozialen Kälte" in Deutschland entstehen kann, muss aber noch viel konzeptionelle und organisatorische Kärner-Arbeit geleistet werden. Wann, wenn nicht jetzt, sollte diesem unwürdigen, ungerechten und unethischen Treiben der Politik noch Einhalt geboten werden? Ich nenne nur die zehn wichtigsten Gründe:
Doch offenbar sollen nun die Kampftiraden führender FDP-Politiker aus dem Wahlkampf gegen die Bundesagentur für Arbeit in politisches Handeln umgesetzt werden. Über viele Jahre in der Opposition haben vor allem der jetzige Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel und der derzeitige Vizekanzler Guido Westerwelle, die Bundesagentur systematisch beschimpft und sie als Propagandahebel auf dem Weg zur Regierungsmacht eingesetzt. Flankiert wurde diese Politik der Verunglimpfung der Arbeitsverwaltung durch die Dämonisierung der Gewerkschaften. Die weiteren Kürzungen bei der Bundesagentur sind nun die späte Rache der FDP an einer wichtigen Institution des Sozialstaats mit dem Ziel das Vertrauen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Arbeitsförderung noch mehr zu schädigen. (Siehe auch BIAJ: Bundesregierung wll Gesamtbudget für "Leistungen zur Eingliederung" und "Verwaltung" (SGB II/Hartz IV deutlich stärker Kürzung als bisher angenommen. [PDF - 123 KB]) (http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/100618_Leistungen_der_Bundesagentur.pdf)
An den Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer hat sich die Regierungskoalition gar nicht erst herangewagt. Auch die ermäßigte Umsatzsteuer für das Hotelgewerbe, die sich als Ausgleich für aktive Wahlhilfe entpuppte, bleibt trotz vielfältiger Kritik selbst in den eigenen Reihen bestehen. An die Wiedereinführung einer Besteuerung von hohen Geld- und Immobilienvermögen ist bei dieser Regierung überhaupt nicht zu denken.
Der renommierte Ökonom Carl Christian von Weizsäcker hat dieser Tage deutlich gemacht, dass Staatsschulden zugleich privates Vermögen sind und dass bedeutende Teile der Alterssicherung privater Bürger auf den Zinserträgen der mit höchster Kreditwürdigkeit ausgestatteten Staatsanleihen basieren. Er kommt zu dem Schluss: (FAZ. 4. Juni 2010, S. 12: "Das Janusgesicht der Staatsschulden):"Bei niedrigen Realzinsen und hohen Exportüberschüssen ist ein Abbau von Staatsschulden die falsche Politik So beläuft sich das private Nettovermögen der Einwohner Deutschlands auf rund 20 Billionen Euro oder rund das Zehnfache des privaten und staatlichen Konsums. Eine starre Schuldenbremse, wie sie jetzt für Deutschland vorgesehen ist, kann nicht der richtige Weg sein." Aber solche makroökonomische Argumente gegen das vorgelegte Spar- und Kürzungsprogramm der Bundesregierung können die Bundesregierung nicht davon abhalten ihren falschen Weg in die private und öffentliche Armut weiter fortzusetzen.
Der Abbau der Mittel und Instrumente für die Arbeitsmarktpolitik ist auf Druck der FDP schon in der Endphase der Bundesregierung unter Helmut Schmidt Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre eingeleitet worden. Bereits damals wurde die berufliche Weiterbildung erheblich zurückgefahren, obwohl gerade hierdurch der wirtschaftliche Strukturwandel hätte stärker befördert werden müssen. In den Jahren nach der Deutschen Einheit unter der Regierung Helmut Kohl wurden bei gravierenden Beschäftigungseinbrüchen in den neuen Bundesländern die Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung, Arbeitsbeschaffung und Frühverrentung wieder ausgeweitet. Dies war damals eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass Millionen Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt werden konnten allerdings um den Preis einer erheblichen Ausweitung der Beiträge und der Steuerzuschüssen für deren Finanzierung.
Danach wurde der Spieß aber wieder umgedreht: Ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder erklärte die Bundesanstalt für Arbeit zum Buhmann für die anhaltend hohe und steigende Arbeitslosigkeit und inszenierte einen öffentlichen Skandal um die Arbeitsvermittlung sozusagen als Auftakt für den Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik durch die Hartz Reformen.
Angesichts der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage wäre genau das Gegenteil der Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik nötig, etwa die Verbesserung von nachhaltiger Aus- und Weiterbildung. Dringend erforderlich wären aber darüber hinaus gesetzliche Einschränkungen von befristeter Beschäftigung (Beschränkung auf das Vorliegen eines sachlichen Grundes), Eindämmung der Leiharbeit (Verankerung des Prinzips gleicher Lohn für gleiche Arbeit ohne Ausnahmen) oder die Abschaffung der Anreize zur Aufstückelung normaler Vollzeit- und Teilzeitarbeit in geringfügige Teilzeitbeschäftigung (400-Euro- Jobs).
Oder nochmals von der Leyen: "Die Jobcenter können effektiver arbeiten, wenn sie den Freiraum haben, zu entscheiden, ob eine Maßnahme vor Ort Sinn macht oder nicht". Man muss den vielen engagierten Mitarbeiter in den Job Centern ihre besten Absichten nicht bestreiten, aber wo sollen ihre "Freiräume" herkommen, wenn gleichzeitig die finanziell verfügbaren Mittel so drastisch eingeschränkt werden, wie vorgesehen. Die Bundesarbeitsministerin weiter: "Mit der Job-Center-Reform und den neuen maßgeschneiderten Konzepten für Alleinerziehende, Ältere und Jugendliche ohne Schulabschluss können wir noch besser werden." Für viele Mitarbeiter in den Job Centern in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit muss dies wie Hohn klingen. Die Bundesregierung stellt doch selbst fest, dass die vorgesehene Reform der Job Center mit der Ausweitung der Optionskommunen die Eingliederung Langzeitarbeitsloser erschwert und vor allem auch die Kosten erhöht. "Besser werden" indem man unsinnigerweise die Kosten erhöht und gleichzeitig massiv Finanzmittel für die arbeitsmarktpolitischen Eingliederungsmaßnahmen kürzt, das gleicht der Quadratur des Kreises.
Wollte man tatsächlich etwas für schwer vermittelbare langzeitarbeitslose Menschen und vor allem auch die für benachteiligte jungen Menschen tun, dann müssten eine nachhaltige berufliche Weiterbildung sowie sinnvolle öffentliche Tätigkeiten mit existenzsichernden Löhnen ausgeweitet werden. Dies erforderte jedoch nicht weniger, sondern mehr finanzielle Unterstützung.
Zu der vorgesehenen Streichung der Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose meinte die Bundessozialministerin: "Wir standen vor der Frage, ob 1,8 Mrd. Euro jährlich gezahlt werden sollen, damit ein Arbeitsloser im Ruhestand für ein Jahr Arbeitslosengeld II Bezug nur zwei Euro mehr Rente erhält".
Offenbar hat Frau von der Leyen in ihrer neuen Rolle als Sozialministerin das System der Umlagefinanzierung bei der gesetzlichen Rente noch nicht durchschaut: Die gesetzliche Rentenversicherung ist kein Ansparkonto für den einzelnen Arbeitnehmer oder Arbeitslosen. Die Streichung von 1,8 Mrd. Euro im Jahr vermindern die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung insgesamt. Die Kürzung trifft also alle Beitragszahler, die entweder weitere Rentenkürzungen oder höhere Beiträge hinnehmen müssen. Damit setzen die schwarz-gelben Koalitionäre die jahrzehntelangen Verschiebemanöver zur Entlastung des Bundes und zur Belastung der Beitragszahler und Sozialleistungsempfänger weiter fort. Gleichzeitig lassen sie die Subventionsmilliarden an die Wirtschaft mit vielfach hohen Mitnahmeeffekten ungeschoren.
Die Schmälerung der Renten für die Arbeitslosen trifft aber letztlich auch die Kommunen, die angesichts vorhersehbarer späterer Armutsrenten von Arbeitslosen deren Grundsicherung sicher stellen müssen.
Es ist ein Trauerspiel mit welchen Ausflüchten Frau von der Leyen die Bürgerinnen und Bürger darüber hinwegzutäuschen versucht, dass sie es nicht verhindern konnte, dass ihr Haushalt als Melkkuh für die "Spar"-Maßnahmen der Bundesregierung diente und mit welchen Scheinargumenten sie ihre Niederlage zu Lasten von Millionen von Menschen zu verschleiern versucht. Noch schlimmer ist vielleicht nur noch, dass solche Irreführungen der Öffentlichkeit von der veröffentlichten Meinung weitgehend kritiklos hingenommen wird.
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