Donnerstag, 18. März 2010

Von Solarkollektoren bis zur solaren Stadt [idw]

Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung

Universität Stuttgart, Ursula Zitzler, 18.03.2010 09:38

Von Solarkollektoren bis zur solaren Stadt

Die Eindämmung des globalen Klimawandels zählt zu den derzeit größten
Herausforderungen der Menschheit. Gebäude sind dabei für etwa 45
Prozent des Weltenergieverbrauchs und somit für einen Großteil des
CO2-Ausstoßes verantwortlich. Eine Klimakatastrophe kann abgewendet
werden, wenn auch Gebäude so gebaut sind, dass sie weniger Energie
verbrauchen, erneuerbare Energien nutzen und im besten Fall über ihren
eigenen Bedarf hinaus Energie produzieren. Dieser Paradigmenwechsel
wird aber nur dann zeitnah eintreten, wenn der industrialisierten Welt
attraktive Alternativen zur Verfügung gestellt werden.


Zukunftsweisende Ansätze dazu stellte der Leiter des Lehrstuhls 2 am
Instituts für Baukonstruktion und Entwerfen (IBK2) der Universität
Stuttgart, Prof. Stefan Behling, im Rahmen der Reihe "Forschung hinter
den Kulissen vor.

Angesichts der vielfältigen Herausforderungen sind Lösungen in allen
Maßstäben gefragt. Dies beginnt bei Mikro-Technologien und reicht über
Produkte und Komponenten wie Photovoltaikpaneele, Windturbinen oder
Solarthermie-Kollektoren sowie komplexe Gebäudesysteme bis hin zum
kompletten System Stadt. Mit zunehmendem Maßstab steigt dabei auch die
Komplexität der Problemstellungen. Vereinfacht gesagt sind auf dem Weg
zu einer nachhaltigen Lebensform zunächst die solaren, nachhaltigen
Komponenten zu erforschen und zu entwickeln, dann solare, nachhaltige
Gebäude und schließlich solare, nachhaltige Städte. Das IBK arbeitet
seit über 15 Jahren systematisch auf allen drei Ebenen.


Eine Stadt oder einen Stadtteil als einen Organismus zu betrachten,
ist nicht neu. Mit Blick auf die Nachhaltigkeit wird dabei ihr
Metabolismus analysiert, also die Ein- und Ausfuhr von Material,
Wasser, Luft und Energie. Die Entwicklung einer Stadt, deren
Metabolismus CO2-neutral ist, ist sicher eines der anspruchsvollsten
Ziele der Welt.

Die Universität Stuttgart arbeitet an solchen Projekten in Forschung
und Lehre. Studierende entwickeln Visionen an Hand von Modellen und
Zeichnungen und versuchen, realistische Konzepte für die Stadt von
Morgen aufzuzeigen. Darüber hinaus beschäftigt sich das IBK 2 mit
innovativen Gebäudekomponenten. Der integrative Ansatz ist dabei ein
wesentlicher Faktor zur Steigerung der Leistungsfähigkeit - sei es bei
der Entwicklung einer neuartigen Energiefassade, der architektonischen
Integration von Solarthermie in Fassaden, der Integration der
Windenergienutzung in Hochhäusern oder auch bei der Entwicklung
einzelner Bauteilkomponenten. Für Energieeffizienz und Nachhaltigkeit
ist zudem die Natur eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Daher
wird am Institut auch intensiv auf dem Gebiet der Bionik geforscht.
Das Spektrum reicht von der menschlichen Haut, die nicht nur eine
Hülle, sondern auch ein aktives Temperaturausgleichs- und Atmungsorgan
ist, bis hin zu Bauten von Tieren wie Termitenhügeln, die eine
hochkomplexe "Fassade" besitzen. "Unsere Vision sind Gebäude, die mehr
Energie einsammeln, als sie verbrauchen und dafür verstärkt ihre
Oberflächen aktivieren", erklärt Prof. Stefan Behling. Da solares
Bauen nicht nur ein technisches, sondern vor allem auch ein
architektonisches Thema ist, muss nachhaltige solare Architektur
besseren Komfort schaffen und zugleich nachhaltig ästhetischen
Ansprüchen genügen.

Exemplarische Einzelprojekte:

1. Energiefassade
Fassadenprofile, Füllelemente, Sonnenschutz, Kollektoren und ähnliche
Einzelkomponenten werden bisher von verschiedenen Herstellern
angeboten und müssen von Planern mit hohem Aufwand zu komplexen
Hüllsystemen kombiniert werden. Das Projekt versucht, neue Wege
aufzuzeigen und funktional notwendige Baukomponenten für eine
energieoptimierte Fassade zu entwickeln, die in ein handelsübliches
Fassadensystem integriert werden können. So können automatisch zu
öffnende Fensterflügel unsichtbar in die Pfosten- Riegelfassade
integriert werden und für natürliche Lüftung sorgen. Die verdeckt
liegenden Systemantriebe sind in Pfosten mit einer Breite von circa
8,5 Zentimeter eingebaut. Sie können zentral, dezentral oder
individuell am Fassadenelement betrieben werden. Für den außen
liegenden Sonnenschutz entwickelten die Wissenschaftler am IBK2 eine
Mikrolamelle, die die Fassade bei Windgeschwindigkeiten bis etwa 100
Stundenkilometern zuverlässig verschattet. Die Mikrolamellen werden
seitlich in den Pfosten geführt und sind in eingefahrenem Zustand
praktisch unsichtbar. Im Bereich der Energiegewinnung müssen
Photovoltaik und thermische Kollektoren gleichwertig in die Fassade
integriert werden. In Zukunft kann die Gebäudehülle neben Strom auch
Wärme und mittels Kälteabsorption die oftmals wichtigere Kühlung
selbst erzeugen. Hierzu wurde ein optisch durchlässiger Flachkollektor
entwickelt, der ein Licht- und Schattenspiel erzeugt. Heizung und
Kühlung sind vor der Geschosstrenndecke im Fassadenelement
positioniert, was eine flexibel nutz- und gestaltbare Fassadenfläche
ermöglicht.


Die Wissenschaftler am IBK2 vertreten die Auffassung, dass bei
ganzheitlicher Betrachtung eines Gebäudes die Vorteile einer
dezentralen Lösung für die HL (Heizungs- und Lüftungs)-Technik
gegenüber einer zentralen Lösung überwiegen. Neben den konstruktiven
Einsparungen an Geschosshöhen, Steigschächten, Technikräumen und
-geschossen wird auch der Komfort durch die Individualisierung der
Lüftung erhöht. Außerdem können, wie bei der Beleuchtung längst
üblich, ganze Bereiche abgeschaltet werden. Fassaden werden sich in
Zukunft vom rein thermischen Gebäudeabschluss zu multifunktionalen
Gebäudehüllen entwickeln müssen, Bereiche der Haustechnik übernehmen
und aktiv das Gebäudeklima kontrollieren. Umso wichtiger ist es, die
Gebäudehülle als System zu begreifen und die vielfältigen
Anforderungen und Funktionen ganzheitlich zu betrachten.


2. Architektonische Integration von Solarthermie in Fassaden
Im Gegensatz zur Photovoltaik hat sich in der Solarthermie der
"Evolutionssprung" von einem technisch-funktionalen Element zu einem
architektonisch zufriedenstellenden Bauteil noch nicht vollzogen. Für
Flachkollektoren gibt es bereits Systeme, die eine Integration in die
Gebäudehülle ermöglichen, für Vakuumröhren jedoch nicht. Sie bieten
aufgrund ihrer ästhetischen Struktur große Potenziale für Fassaden.
Ziel ist die Entwicklung eines flexibel anwendbaren integralen
Fassadenbauteils, das Sonnenschutz, Energiegewinnung und
Tageslichtnutzung leistet. Die Fassadenpfosten übernehmen dabei neben
ihrer konstruktiven Funktion die Aufgabe des Sammlers. Die
Vakuumglasröhre kann dank ihres integrierten Spiegels ohne große
energetische Einbußen in eine vertikale Fassade eingebaut werden. Die
Röhre wird so gedreht, dass der integrierte Spiegel optimal zur
einfallenden Strahlung ausgerichtet ist. Die wesentlichen
konstruktiven Parameter des Fassadensystems sind der Rasterabstand
zwischen zwei Röhren, der den Tageslichteinfall beeinflusst und der
Röhrenanstellwinkel. Der spezifische Energieertrag in Bezug auf die
Brutto-Fassadenfläche nimmt mit zunehmendem Röhrenabstand ab. Das
Fassadensystem mit Vakuumröhren erbringt in Bezug auf die Fläche, die
das Sonnelicht aufnehmen kann (Aperturfläche), einen rund 35 Prozent
höheren Energieertrag als eine effiziente Flachkollektor-Fassade.

3. Integration von Windturbinen in die gebaute Umwelt
In einem weiteren Projekt geht darum, wie Windenergieanlagen bei
optimaler Nutzung der Standortfaktoren in ein bebautes Umfeld
integriert werden können. Windturbinen in Gebäuden bringen Probleme
mit sich, da weder die Turbine, noch das Gebäude dem Wind nachgeführt
werden können. Im städtischen Umfeld sind die Windgeschwindigkeiten
geringer und die Turbinen befinden sich in der Nähe von Menschen. Die
Stuttgarter Wissenschaftler untersuchten verschiedene Gebäudeformen
nach aerodynamischen Kriterien und testeten einen Zwillingsturm mit
"Bumerang-Grundriss" als Modell. Wurden die Rotoren innerhalb der
düsen-förmigen Gebäudekonfiguration platziert, erhöhte sich die
Windgeschwindigkeit am Rotor um einen Meter pro Sekunde und erzeugte
wesentlich mehr Kraft als freistehende Anlagen. Rechnet man die
Ergebnisse hoch, hätte ein entsprechend größeres Gebäude eine
mindestens 25 Prozent höhere Energieausbeute. Weitere Gewinne können
erzielt werden, wenn es gelingt, die Rotoren in größerer Höhe
stärkeren Windgeschwindigkeiten auszusetzen.
Weitere Informationen bei Peter Seger, Tel. 0711/685-83249, e-mail
peter.seger@ibk2.uni-stuttgart.de,

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsprojekte
Forschungs- / Wissenstransfer

Sachgebiete:
Bauwesen / Architektur
Energie
Umwelt / Ökologie

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-stuttgart.de/ibk2/

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image111738
Solarthermiefassade, die gleichzeitig als Sonnenschutz, zur Energiegewinnung und der Tageslichtnutzung dient.

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news360550

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution80

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