Der Pneumologe |
© Springer Medizin Verlag 2008 |
10.1007/s10405-008-0252-6 |
Leitthema
S. Mühlig1 , A. Sehl1 und S. Fuchs1
(1) | Lehrstuhl für Klinische Psychologie, Technische Universität Chemnitz, Wilhelm-Raabe-Straße 43, 09107 Chemnitz |
S. Mühlig Email: stephan.muehlig@phil.tu-chemnitz.de |
Online publiziert: 25. Oktober 2008
Schlüsselwörter Rauchen - Abhängigkeit - Suchtpotenzial - Entwöhnung - Risikofaktoren
Tobacco smoking as an addictive disease
Abstract In approximately every second smoker, regular tobacco smoking causes a dependence syndrome with severe physical and mental after-effects, ranging from the development of drug tolerance and symptoms of withdrawal to continuing loss of control and psychosocial problems. Nicotine dependence is a clinically defined psychiatric disorder with high prevalence and above-average duration. Compared to other drugs, tobacco has a very high dependence potential. The total biopsychosocial risk potential of tobacco is rated as above-average compared to other legal and illicit drugs. Complex neurobiological and reinforcement mechanisms form the basis of nicotine dependence, making it difficult to quit and implying a possible lifelong risk of relapse. Consequently, addicted smokers have serious problems in controlling their abuse behaviour and in remaining abstinent after quitting. They therefore usually need professional help, including anti-craving medications. A variety of evidence-based smoking cessation therapies with satisfactory success rates are now available.
Keywords Tobacco smoking - Dependence - Dependence potential - Cessation - Risk factors
In Deutschland rauchen ungefähr 20 Mio. Menschen. Obwohl sich fast alle Raucher der damit verbundenen Risiken bewusst sind und 8090% gerne mit dem Rauchen aufhören würden, schaffen es die meisten wenn überhaupt erst nach Jahren und zahllosen Rauchstoppversuchen. Zudem werden viele Ex-Raucher später wieder rückfällig, selbst dann, wenn sie durch das Rauchen bereits schwer erkrankt sind. Dies ist damit zu erklären, dass viele Raucher eine schwerwiegende Suchterkrankung ausbilden, die in Selbstbehandlung nur schwer zu beheben ist, sondern professioneller Therapie und ggf. medikamentöser Entzugsbehandlung bedarf.
"Sucht" ist definiert als der missbräuchliche und mit ernsten körperlichen bzw. psychosozialen Konsequenzen verbundene Konsum einer psychotropen Substanz. Ob im Einzelfall eine Substanzstörung vorliegt, wird anhand der Diagnosekriterien bestimmt, die in den beiden international gebräuchlichen Klassifikations- und Diagnosesystemen DSM-IV [25] und ICD-10 [5] beschrieben sind. Im DSM-IV-TR wird zwischen "Substanzabhängigkeit" (303.xx) und "Substanzmissbrauch" (305.xx) unterschieden. Die ICD-10 klassifiziert "psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen" (F10-F19) etwas abweichend davon: Hier wird statt der Missbrauchsdiagnose nur von "schädlichem Gebrauch" (F1x.1) gesprochen. Nikotin ist eine von 10 im DSM-IV definierten psychotropen Substanzklassen, bei denen sich ein klinisches Abhängigkeitssyndrom entwickeln kann.
Die Diagnose einer Nikotin-/Tabakabhängigkeit stellt eine schwerwiegende psychische Störung mit gravierenden körperlichen und psychischen Symptomen und Folgeerscheinungen dar.
Diese ist nach DSM-IV durch 7 diagnostische Kernkriterien definiert, von denen 3 für die Diagnosestellung erfüllt sein müssen. Missbrauch ist demgegenüber bestimmt durch wiederholten, unangepassten Substanzkonsum über mindestens 12 Monate und daraus resultierend klinisch bedeutsamem Leiden oder psychosozialen Beeinträchtigungen (Tab. 1).
DSM-IV-TR | ICD-10 | ||
---|---|---|---|
Missbrauch | Abhängigkeit | Schädlicher Gebrauch | Abhängigkeit |
Mindestens 1 der folgenden Kriterien innerhalb desselben 12-Monats-Zeitraums: (1) Erhebliche Probleme in Familie, Haushalt, Beruf oder Schule wegen des Substanzgebrauchs (2) Substanzgebrauch in gefährlichen Situationen (3) Probleme mit dem Gesetz wegen des Substanzgebrauchs (4) Soziale und/oder zwischenmenschliche Probleme wegen des Substanzgebrauchs Die Symptome haben niemals die Kriterien für Substanzabhängigkeit der jeweiligen Substanzklasse erfüllt | Mindestens 3 der folgenden Kriterien innerhalb desselben 12-Monats-Zeitraums: (1) Toleranzentwicklung (2) Entzugssymptome (3) Substanzgebrauch länger oder in größeren Mengen als beabsichtigt (4) Anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Substanzgebrauch zu kontrollieren (5) Hoher Zeitaufwand für Beschaffung, Gebrauch und Erholung von Substanz (6) Wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Substanzgebrauchs aufgegeben oder eingeschränkt (7) Fortgesetzter Substanzgebrauch trotz körperlicher oder psychischer Probleme | Konsumverhalten führt zu einer Gesundheitsschädigung (physisch und/oder psychisch) | Irgendwann während des letzten Jahres waren 3 oder mehr der folgenden Kriterien erfüllt: (1) Starker Wunsch, die Substanz zu konsumieren (2) Schwierigkeiten, den Konsum zu kontrollieren (3) Körperliches Entzugssyndrom (4) Toleranzentwicklung (5) Eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit der Substanz (6) Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums (7) Anhaltender Substanzgebrauch trotz schädlicher Folgen |
In Deutschland raucht seit Jahren konsistent etwa ein Drittel der Bevölkerung. Nach der letzten bundesrepräsentativen Erhebung (Jahr 2007) konsumierten insgesamt 33,9% der Erwachsenen in Deutschland regelmäßig Tabakwaren [1], wobei die Hälfte der rauchenden Männer und ca. ein Drittel der Frauen als starke Raucher (>20 Zigaretten/Tag) einzustufen sind. Aber nicht jeder Tabakkonsument wird zwangsläufig nikotinabhängig. In einer Reihe von epidemiologischen Studien wurde festgestellt, dass "nur" etwa jeder zweite regelmäßige Raucher die diagnostischen Kriterien für eine Abhängigkeitsstörung erfüllt [10, 20]. Aus epidemiologischer Perspektive besitzt Nikotinabhängigkeit einen herausragenden Stellenwert, da sie mit einer Lebenszeitprävalenz zwischen 17 und 21% (Tab. 2) eine der häufigsten psychischen Störungen in Deutschland darstellt (Vergleich: affektive Störungen = 1219% Lebenszeitprävalenz; Angststörungen = 15%).
Studie | Stichprobe | Nikotinabhängigkeit (DSM-IV) | Anteil der Nikotinabhängigen unter den regelmäßigen Rauchern |
---|---|---|---|
Bundesgesundheitssurvey 1997/98 [13] (Jacobi, Wittchen, Hölting, et al. 2001; [14]) | n=7124 Alter: 1865 Jahre | Lebenszeitprävalenz: 17% 12-Monats-Prävalenz: 9% | |
TACOS-Studie (Meyer, Rumpf, Hapke et al. 2001; [16]) | n=4075 Alter: 1864 Jahre | Lebenszeitprävalenz: 21% 12-Monats-Prävalenz: 11% | 39% |
EDSP-Studie (Wittchen, Nelson und Lachner 1998; [29]) | n=3021 Alter: 1424 Jahre | Lebenszeitprävalenz: 19% 12-Monats-Prävalenz: 16% | 50% |
| der pharmakologischen Wirkung der Substanz auf den Organismus, |
| der Qualität und Intensität der hervorgerufenen subjektiven Zustände von Rausch oder Wohlbefinden und |
| der gelernten Reiz-Reaktions-Verbindung zwischen Substanzkonsum einerseits und Rauschzustand bzw. Vermeidung von Entzugssymptomen andererseits (Konditionierung). |
Das Suchtpotenzial einer psychotropen Substanz ist dabei nicht in erster Linie durch ihre pharmakologischen Eigenschaften und ihre Potenz für körperliche Abhängigkeit bestimmt, sondern unter anderem ganz wesentlich durch die Art der Substanzaufnahme (Suchtpotenzial in absteigender Reihenfolge der Applikationsformen: Injizieren, Sniefen, Rauchen und Schlucken). Dies erklärt z. B., wieso injiziertes Heroin sehr viel schneller zur Abhängigkeit führt als gerauchtes und dass inhaliertes Nikotin ein hohes Abhängigkeitspotenzial besitzt, nicht jedoch über transdermale Pflaster verabreichtes Nikotin gleicher Dosierung.
| die Suchtpotenz von Nikotin in injizierter Form gegenüber der inhalativen Applikation überschätzt wird und |
| Versuchstiere nicht in identischer Art auf psychotrope Substanzen reagieren wie Menschen. |
Insofern scheinen Ansätze zur Suchtpotenzermittlung, die auf komplexen Expertenurteilen des Abhängigkeitsrisikos von Personen unter realen Konsumbedingungen basieren, einen angemesseneren Zugang darzustellen. In einer Studie der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) beurteilten anerkannte Suchtexperten das Suchtpotenzial von 7 verschiedenen Substanzen im direkten Vergleich. Dafür wurde jede Substanz in Bezug auf 5 Kriterien beurteilt (Tab. 3). In der Gesamteinschätzung erhielt Heroin das höchste Suchtpotenzial zugesprochen, gefolgt von Kokain und Alkohol. Nikotin belegte den 4. Platz, wobei insbesondere ein sehr hoher Wert für (psychische) "Abhängigkeit" vergeben wurde.
Substanz | Gesamteinschätzung | Entzugserscheinungen | Verstärkung | Toleranzsteigerung | Abhängigkeit | Rauscheffekt |
---|---|---|---|---|---|---|
Koffein | 7 | 7 | 7 | 6 | 7 | 7 |
Heroin | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | 2 |
Ecstasy | 5 | 5 | 5 | 5 | 5 | 4 |
Alkohol | 3 | 2 | 4 | 2 | 4 | 3 |
Nikotin | 4 | 4 | 3 | 4 | 2 | 6 |
Marihuana | 6 | 6 | 6 | 7 | 6 | 5 |
Kokain | 2 | 3 | 2 | 3 | 3 | 1 |
Welches Ausmaß Tabakabhängigkeit annehmen kann, spiegelt sich beispielsweise auch in der Beobachtung wider, dass Raucher häufig selbst dann nicht aufhören können, wenn sie bereits einen schwerwiegenden chirurgischen Eingriff infolge tabakbedingter Krankheiten durchgemacht haben: In England rauchen etwa 40% der Patienten, denen der Kehlkopf entfernt wurde, bald nach der Operation weiter, und die Hälfte aller ehemals rauchenden Lungenkrebspatienten nehmen nach der Operation das Rauchen wieder auf (WHO-Kollaborationszentrum für Tabakkontrolle, 31.01.2007; [28]).
| physische Schäden, |
| Abhängigkeitspotenzial und |
| soziale Auswirkungen. |
Daraus wurde eine 3-dimensionale Risikokategorienmatrix abgeleitet, nach der wiederum die unterschiedlichen Substanzen durch 2 unabhängige Expertengruppen hinsichtlich ihres Gesamtgefahrenpotenzials bewertet wurden. In Abb. 1 ist die resultierende Rangfolge der ausgewählten Drogen und ihrer jeweiligen Risikopotenz dargestellt. Tabakkonsum liegt in dieser mehrdimensionalen Beurteilung der biopsychosozialen Gesamtrisiken im vorderen Mittelfeld (Rangplatz 9), hinter Heroin (Rang 1), Kokain (Rang 2) sowie den legalen Drogen Barbiturate (Rang 3) und Alkohol (Rang 5), aber noch vor beispielsweise Buprenorphin, Cannabis, LSD oder Ecstacy.
Alle psychotropen Substanzen aktivieren das mesolimbische Dopaminsystem. Auch Nikotin stimuliert diese Gehirnregion, deren Neurone in der Area tegmentalis ventralis liegen und unter anderem zum Nucleus accumbens sowie dem Corpus striatum projizieren [21]. Die Aktivierung dieses körpereigenen "Lust- und Belohnungszentrums" bildet die gemeinsame Endstrecke aller Rauschwirkungen und erklärt unter anderem das Phänomen der Kreuztoleranz. Psychotrope Stoffe verstärken auf unterschiedliche Weise die Dopaminausschüttung und führen zu einer Überflutung des Nucleus accumbens, was den eigentlichen Rauschzustand hervorruft. Nikotin greift über die Bindung an Acetylcholinrezeptoren in dieses Geschehen ein. Neben der Beeinflussung der Dopaminausschüttung ist im Zusammenhang mit der Nikotinzufuhr eine Reihe weiterer Transmitter (Glutamat, GABA, Noradrenalin, Serotonin) involviert, die bei der Regulation vieler psychischer Vorgänge eine entscheidende Rolle spielen.
1. | mit einer neuroanatomischen Veränderung der Anzahl und Reagibilität spezifischer Rezeptoren (neuroplastische Down- oder Up-Regulation) und |
2. | einer inhibitorischen Rückkopplung auf Transmitterebene, indem das System die Nikotinwirkung durch Freisetzung gegenregulativer Moleküle (z. B. Dynorphin) drosselt [21]. |
Beides führt zu einer Abschwächung der Nikotinwirkung. Wenn der Konsument daraufhin versucht, die nachlassende Wirkung mit intensiverem Rauchen auszugleichen, produzieren die Zellen auch entsprechend mehr hemmende Moleküle, sodass immer größere Mengen Nikotin benötigt werden, um den "Rauscheffekt" zu erzielen (Toleranz). Wird dem Organismus die Substanz dann plötzlich vorenthalten (Entzug), gerät das System massiv aus der Balance: Einerseits stehen nun zu wenige körpereigene Transmitter zur Verfügung, da der Körper die Eigenproduktion gedrosselt hat; andererseits besteht noch einige Wochen lang ein Überangebot an den kompensatorisch ausgeschütteten inhibitorischen Molekülen, die die normalen Restfunktionen des Transmitterhaushaltes weiter einschränken. Daraus resultiert ein massiver Deprivationszustand, der quälende psychische und körperliche Akutentzugszustände hervorruft (Entzugssyndrom). Der Körper kommt nun ohne die Droge Tabak nicht mehr aus, eine Abhängigkeit ist entstanden.
Andauernde Nikotinsensitivierung und neuroplastische Veränderungen stehen im Zusammenhang
Tabakabhängige bleiben möglicherweise lebenslang rückfallgefährdet. Selbst Jahre und Jahrzehnte nach dem Entzug können geringste Hinweisreize genügen, um das unwiderstehliche Verlangen (Craving) nach dem Nikotin zu wecken. Da die Prozesse der körperlichen Gewöhnung und Habituation schnell reversibel sind, lassen sich damit die langfristigen Rückfallrisiken nicht erklären. Für die andauernde Sensitivierung gegenüber dem Nikotin sind neuroanatomische Strukturveränderungen und komplexe Konditionierungsprozesse verantwortlich. Die persistierende Abhängigkeit ist wahrscheinlich primär auf klassische und operante Konditionierungen zurückzuführen. Eine positive Verstärkung wirkt umso effektiver, je unmittelbarer der Verstärker auf das gezeigte Verhalten erfolgt. Im Falle des Substanzkonsums steigt die positive Verstärkung durch die wiederholte Aktivierung des Lust- und Belohnungssystems mit der Anflutungsgeschwindigkeit der Substanz im Gehirn. Die variierende Suchtpotenz einer Droge bei unterschiedlicher Applikationsform (s. oben) basiert auf diesem Verstärkungsprinzip. Die lernpsychologischen Vorgänge bei der Entstehung des Suchtgedächtnisses sind beim Rauchen besonders deutlich: Die positive Verstärkung entsteht durch die verhängnisvolle Assoziation zwischen der Inhalation (Reiz) und dem anschließenden Zustand von Wohlbefinden (Reaktion), die sich in kurzer Zeit dauerhaft ins Gedächtnis einprägt ("Suchtgedächtnis"). Die trotz fehlender intensiver Rauschzustände hohe Suchtpotenz beim Tabakrauchen resultiert unter anderem daraus, dass das Gehirn eines Gewohnheitsrauchers täglich 200- bis 400- (und im Jahr: 73.000- bis 146.000-)mal mit Nikotin überflutet wird und sich damit die Reiz-Reaktions-Verknüpfung ständig vertieft. Interne und externe Auslösereize gewinnen zudem schnell die Qualität eines konditionierten Reflexes und lösen automatisch das Suchtverlangen aus. Hinzu treten vielfältige Einflüsse positiver Verstärkungen des Rauchens (z. B. Geselligkeit, "Belohnungs-" oder "Pausenzigarette etc.). Für die langfristige Aufrechterhaltung der Abhängigkeit sind dann auch Prozesse der negativen Verstärkung verantwortlich, also die Linderung von Entzugssymptomatik durch erneuten Konsum [18].
Das Durchschnittsalter für den Erstkonsum von Zigaretten liegt heute bei 1113 Jahren, für regelmäßigen Konsum bei 15 Jahren [2], ein Rauchbeginn jenseits des 20. Lebensjahres kommt heute nur noch selten vor [10]. Die Entwicklung einer Tabakabhängigkeit ist als multifaktorielles Geschehen zu begreifen. Neben einer genetischen Veranlagung (z. B. Anzahl von Rezeptoren, Verfügbarkeit spezifischer Enzyme, Funktion der Transmittersysteme) sind vielfältige erworbene Vulnerabilitäten und Risikofaktoren identifiziert, die sowohl Personenmerkmale als auch spezifische Umgebungsbedingungen umfassen ([12, 23]; Abb. 2). Beim Tabakrauchen sind v. a. familiäre Modelle und die Peergroup entscheidend für den Konsumbeginn [2]. Außerdem bestehen gravierende Schichtunterschiede: Die höchsten Raucherquoten finden sich unter arbeitslosen und berufstätigen Jugendlichen ohne Ausbildung, Berufsschülern und Hauptschülern, die geringsten unter Gymnasiasten. Zu den individuellen Risikofaktoren für die Entwicklung einer Tabakabhängigkeit zählen v. a. eine vorbestehende psychiatrische Komorbidität und ungünstige Einflüsse des familiären Milieus (elterliche Psychopathologie; [18]). Das Abhängigkeitsrisiko wie auch die Gesundheitsgefährdungen korrelieren mit einem frühen Rauchbeginn. Gerade bei Kindern und Jugendlichen scheinen sich körperliche Abhängigkeitsphänomene besonders schnell zu entwickeln [3].
Das Abhängigkeitspotenzial des Tabakkonsums sowie die Schwierigkeit, mit dem Rauchen aufzuhören und dauerhaft abstinent zu bleiben, werden von Rauchern häufig massiv unterschätzt. Dies spiegelt sich unter anderem in den eklatanten Misserfolgs- und Rückfallraten bei der Tabakentwöhnung wider. Obwohl die überwiegende Mehrheit der Raucher (8090%) angibt, das Rauchen aufgeben zu wollen, schafft es nur eine kleine Minderheit von 36% ohne professionelle Hilfe, 12 Monate abstinent zu bleiben [9, 10, 14]. Die Überwindung einer Tabakabhängigkeit als einer schwerwiegenden "Suchterkrankung" erfordert demgegenüber in sehr vielen Fällen eine professionelle Entwöhnungstherapie. Heute existiert in Deutschland eine Fülle von professionellen und größtenteils evidenzbasierten Tabakentwöhnungsangeboten, die von Minimalinterventionen (Rat zum Rauchstopp) und medikamentöser Entzugsbehandlung beim Haus- oder Facharzt (Nikotinersatztherapie, Psychopharmaka wie Bupropion oder Vareniclin) über Online-Entwöhnungsprogramme und telefonische Raucherberatungen bis hin zu professionell geleiteten Entwöhnungskursen und Gruppentherapien reichen (Tab. 4; [19]).
Anbieter | Webadresse/ Telefonnummer | Besonderheiten |
---|---|---|
Telefonische Beratungen | ||
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) | http://www.bzga.de 01805313131 | MoDo 1022 Uhr, FrSo 1018 Uhr 12 Ct./min |
Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg DKFZ | 06221424200 | MoFr 1519 Uhr |
Online-Angebote | ||
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) | Kostenfreie Online-Beratung und Information Dauer: 31 Tage | |
IFT-Nord | Angebot für Jugendliche und junge Erwachsene Tipps und Informationen Beratungscharakter | |
Beispiele komplexer verhaltenstherapeutische Programme | ||
Arbeitskreis Raucherentwöhnung des Uniklinikums Tübingen: "Rauchfrei in 6 Wochen" | http://www.medizin.unituebingen.de/ukpp/akr 070712987346 | Verhaltenstherapeutisches Entwöhnungsprogramm in Gruppen + individuell angepasste medikamentöse Behandlung 6 Wochen (90120 min 1-mal pro Woche) Einzelbehandlung von schwangeren Raucherinnen |
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BzgA: "Rauchfrei" (ehemals "Rauchfrei in 10 Schritten") | 01805313131 | Kognitiv-verhaltenstherapeutisches Konzept (Schlusspunktmethode) 7 Kursstunden + 2 Telefonstunden Programm wird von zertifizierten Kursanbietern deutschlandweit durchgeführt |
Raucherambulanz der TU Chemnitz: "Schluss mit dem Rauchen Jetzt" | http://www.raucherambulanz-chemnitz.de 037153127470 | Kombiniertes Entwöhnungstraining: kognitive Verhaltenstherapie + Motivationstraining + Gesundheitsförderung + bedarfsweise medikamentöse Behandlung Strikt evidenzbasiertes Intensivprogramm Gruppentraining für alle Altersstufen 10 Sitzungen je 90 min 6-monatige telefonische Nachbetreuung |
Inhaltlich stützt sich die Entzugstherapie v. a. auf verhaltenstherapeutische Gruppeninterventionen (Infobox 1) und Ansätze der motivierenden Gesprächsführung [17], die empirisch in ihrer Wirksamkeit gut gesichert sind [6]. Für die Entzugsphase werden zudem pharmakologische Therapieoptionen empfohlen. Die Tabakentwöhnung wird meist mit medikamentöser Unterstützung (z. B. Nikotinsubstitution) in verhaltenstherapeutischen Gruppen mit Motivations- und Selbstkontrollkomponenten angeboten.
1. | Psychoedukation: Aufklärung, Informationsvermittlung und Einstellungsänderung |
2. | Problem- und Verhaltensanalyse: Analyse und Dokumentation des Rauchverhaltens und der aufrechterhaltenden kognitiven und situationalen oder sozialen Bedingungen |
3. | Stärkung der Veränderungsmotivation (motivierende Gesprächsführung): klare Entscheidung zum Rauchstopp, Festlegung eines Rauchstopptermins |
4. | Systematische Abstinenzvorbereitung, Rauchstoppdurchführung und Verhaltensmodifikation: Kontrolle der konditionierten Auslösereize, Aufbau und Training von Alternativverhalten, Vertragsmanagement, Selbstbelohnung, Vermittlung von Selbstkontrollstrategien |
5. | Aktivierung eines unterstützenden sozialen Netzwerks und Vermittlung von unterstützendem, gesundheitsförderlichem Verhalten |
6. | Rückfallprophylaxe: Umgang mit Risikosituationen, Strategien gegen Rückfallrisiken (Rollenspielübungen) |
Die Wirksamkeit von professionellen Tabakentwöhnungsbehandlungen ist gut gesichert. Zahlreiche RCTs sowie mehrere Metaanalysen und systematische Cochrane-Reviews belegen eindeutig die hohe Effizienz professioneller Tabakentwöhnungsangebote [24, 26, 27], die im Durchschnitt 12-Monats-Abstinenzraten zwischen 20 und 50% erreichen und besonders erfolgreich in der Kombinationsbehandlung sind (Abb. 3).
Mittlerweile liegen auch erste AWMF-Therapieleitlinien der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) für den Bereich Tabakentwöhnung vor [4]. Eine krankheitsspezifische "S3-Leitlinie zur Tabakentwöhnung bei COPD" wurde erst kürzlich publiziert [1].
Der Abhängigkeitsaspekt des Tabakrauchens wird sowohl von den Rauchern selbst als auch von vielen Ärzten/Therapeuten häufig massiv unterschätzt. Etwa jeder zweite regelmäßige Raucher bildet eine schwerwiegende Abhängigkeitsstörung aus, die in vielen Fällen einer professionellen Behandlung bedarf. Zwar schafft im Lebensverlauf ein Großteil der Raucher irgendwann den Ausstieg auch ohne fremde Hilfe, dies aber meist erst nach vielen Jahren und zahllosen vergeblichen Aufhörversuchen also nicht selten erst dann, wenn bereits ernsthafte Gesundheitsschäden eingetreten sind. In der klinischen Praxis sollten Raucher frühzeitig und routinemäßig zum Rauchstopp animiert, auf eine bestehende Abhängigkeitsstörung getestet und ggf. zum Entwöhnungsspezialisten überwiesen werden. Tabakentwöhnungsbehandlungen müssen dringend in den Katalog der therapeutischen Kassenleistungen und der Regelpsychotherapieversorgung aufgenommen werden, um so auf Anbieterseite Anreize für eine flächendeckende Versorgung zu schaffen.
Literatur
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2. | Bundesministerium für Gesundheit (2008) Drogen- und Suchtbericht 2008. Enka-Druck, Berlin |
3. | Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (2004) Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2004. BZgA, Köln |
4. | Chen J, Millar WJ (1998) Age of smoking initiation: Implications for quitting. Health Rep 9: 3946 |
5. | Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) (2004) Leitlinien zur Behandlung von Substanzstörungen. Fortschr Neurol Psychiatrie 72: 318329 |
6. | Dilling HW, Mombour W, Schmidt MH (1991) Internationale Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10). Klinisch-diagnostische Leitlinien. Huber, Göttingen |
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11. | Hoch E, Mühlig S, Höfler M et al. (2004) How prevalent is smoking and nicotine dependence in primary care? Addiction 99: 15861598 |
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19. | Mühlig S (2008) Substanzmissbrauch und Abhängigkeit bei Tabak, Alkohol, Medikamenten und Schnüffelstoffen. In: Petermann F (Hrsg) Lehrbuch der klinischen Kinderpsychologie. Hogrefe, Göttingen, S 587621 |
20. | Mühlig S (2008) Tabakentwöhnung bei COPD-Patienten und -Patientinnen: Zur Versorgungssituation in Deutschland. Pneumologie 62: 17 |
21. | Mühlig S, Hagenau K, Hoch E et al. (2003) Rauchentwöhnung in der primärärztlichen Praxis: Einstellungen, Therapieerfahrungen und therapeutische Präferenzen von Hausärzten. Suchtther 45: 5158 |
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AntwortenLöschenGuten Tag ..erstmal Toller Beitrag mir gefallen die Tabellen und die Informationen über die Suchfaktoren :) Beschäftige mich zurzeit auch mit der Sucht ''Nikotin'' und betreibe ein kleines Projekt auf https://www.e-zigarette-ohne-nikotin.de/ und würde mich Freuen wenn wir austauschen könnten , würde auch gerne ihren blog weiter empfehlen
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