Donnerstag, 4. November 2010

#Reflexionen über die #Krise und das #angebliche #Ende des #Kapitalismus in seiner #bisherigen #Form [jjahnke.net]


Gedanken zur Zeit 1883 31-10-10:

Reflexionen über die Krise und das angebliche Ende des Kapitalismus in seiner bisherigen Form

(jjahnke.net)

http://jjahnke.net/gedanken61.html#1883


Leider habe ich mich selbst in der Vergangenheit wenig mit den Theorien des Kapitalismus beschäftigt, sondern mich mit meinen praktischen Erfahrungen zufrieden gegeben, die aus der Arbeit in der Bundesregierung, in der EU-Kommission und dann im Herz des Finanzkapitalismus (der Londoner City) kommen.

Die selbst in dieser schweren Krise zu beobachtende politische Stärke des Kapitals kommt in meiner persönlichen Beobachtung aus sehr praktischen Bezügen:

1. Die Globalisierung hat einerseits zu einer engen Verzahnung der für die Bewahrung des Kapitalismus in seiner nun neoliberalen Form um den Globus herum arbeitenden Kräfte geführt. Seilschaften in den nationalen Administrationen und den internationalen Organisationen verfolgen praktisch dieselben Ziele.

Sie kommen aus ähnlichen Kaderschmieden mit globaler Ausrichtung und genießen hohe Einkommen und Vergünstigungen für problemloses Funktionieren im Sinne des Erhalts des Systems. Es ist eine Form schwerer Korruption. Teilweise sind selbst Gewerkschaften in die Entwicklung eingebunden (in Deutschland über die Mitbestimmung an den Vorstandstischen).

Diese eng und teilweise global verzahnten Netzwerke sind die Wasserträger und Bewahrer des neoliberalen Gesamtsystems.

Dabei hatte und hat Deutschland seine eigene Sorte von an neoliberalen Reformen orientierten "Chicago Boys", wobei dieser seinerzeit in Chile geprägte Begriff für die Friedman-Schüler hier nur im übertragenen Sinne gemeint ist und deswegen in Anführungszeichen gesetzt wird. Sie arbeiten in einem engverzahnten Netzwerk. Vertreter des neoliberalen Reformkurses der letzten Bundesregierungen seit Kohl sind oder waren beispielsweise:

Horst Köhler (Finanzstaatssekretär, Sparkassenpräsident, Chef von Osteuropabank und IWF, später Bundespräsident),

Hans Tietmeyer (Finanzstaatssekretär, Bundesbankpräsident und jetzt Vorsitzender des Kuratoriums der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft),

Gert Haller (Finanzstaatssekretär als Nachfolger von Köhler, Vorstandsvorsitzender des Finanzkonzerns Wüstenrot & Württembergische, Leiter des Bundespräsidialamts unter Köhler, Verbandschef der privaten Bausparkassen),

Jürgen Stark (Finanzstaatssekretär und Bundesbank-Vorstand, jetzt im EZB-Vorstand),

Klaus Regling (Stellv. Leiter der Kapitalmarkt Abteilung des IWF, Abteilungsleiter im Finanzministerium, Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen in der EU-Kommission, jetzt Chef des Euro-Rettungsfonds) oder

Bernd Pfaffenbach (Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt unter Kohl und Schröder und jetzt Wirtschaftsstaatssekretär).

Die Karrieren zeigen die enge Verzahnung zwischen Regierung und Wirtschaft. Dabei haben sie sich gegenseitig in die Karrieren geschoben. Unterstützend wirken dann noch viele Stiftungen, wie Bertelsmann Stiftung, Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung, Körber Stiftung und andere. Tietmeyer und Haller sitzen oder saßen bezeichnenderweise auch im Kuratorium der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung .

2. Das Großkapital, dem diese Strukturen dienen, bildet heute mehr oder weniger eine globale Superklasse. David Rothkopf geht in seinem Bestseller "Superclass" von etwa 6.000 Menschen aus, die er zu dieser Klasse rechnet. Dabei sind die Übergänge von den Wasserträgern zu den Superreichen fließend. Ein Mensch wie der Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann ist als deren Angestellter gleichzeitig Wasserträger und mit seinem enormen Einkommen auch Superreicher.

3. Das Großkapital beinflußt und leitet die Strukturen wie Pavlovs Hunde durch Zuckerbrot und Peitsche, sprich positive oder negative Signale für die Wirtschaftsentwicklung, vor allem Förderung oder Verweigerung von Investitionen oder auch Verlagerungen in Länder mit positiveren Entwicklungsbedingungen für das Kapital.

Dabei beherrscht das Kapital die Medien und setzt sie für die eigenen Zwecke ein. Hinzu kommt die Arbeit der Lobby bis zu den Parteispenden. Beispielhaft bremst die US-Industrie derzeit Investitionen und schiebt die Schuld für die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit Obama in die Schuhe.

In Deutschland war die Verzahnung von Bundeswirtschaftsministerium und BDI/DIHT für mich aus eigener Erfahrung immer beispielhaft. Dazu gehört auch das Überwechseln von Führungspersonal aus der Verwaltung in lukrative Wirtschaftsjobs, das auch in Deutschland Schule gemacht hat und die Betreffenden vorzeitig korrumpiert.

4. Die demokratischen Verfassungen, die angeblich einen Siegeszug um den Globus herum angetreten haben, werden von den neoliberalen Wasserträgern, die sie unterwandert haben, und deren Hintermännern ständig und fortschreitend entwertet.

Dieser Prozeß verläuft ungeordnet und kann daher nicht als eine Form von Verschwörung eingeordnet werden. Er ist auch nicht justiziabel. Dazu gehört in der Europäischen Union die ständige Abretung von Hoheits- und Verfassungsrechten an nicht voll demokratisch kontrollierte Institutionen, wie die EU-Kommission oder der EU-Ministerrat oder in der Eurozone an die neoliberal ausgerichtete Europäische Zentralbank.

5. Die Globalisierung hat die linken und kritischen Bewegungen, die nicht entsprechend internationalisiert sind, ausgespielt. Globalisierung wird heute von Regierungen und Medien als unausweichliches Schicksal verkauft, obwohl es das Werk des Kapitals ist.

Linke Bewegungen verharren oft in einer naiven Form von Internationalismus und haben die Spielregeln der Globalisierung und wie sie und von wem gemacht wird, nicht verstanden. Anders als beispielsweise in Frankreich oder USA ist das Verständnisdefizit in Deutschland besonders groß. Dazu hat ein primitiver Exportfetichismus ("Exportweltmeister") beigetragen, der Deutschland auf Ewigkeit auf der Gewinnerseite der Globalisierung sah und leider noch sieht.

6. Das erbärmliche Ende des "real existierenden Sozialismus" hat den Kapitalismus konkurrenzlos gemacht und entsprechend abgesichert.

7. Die Konzentration und Schlagkraft des Kapitals hat durch die Rolle des Finanzkapitals seit Liberalisierung der Finanzströme gewaltig zugenommen.

Dazu hat das Aufkommen der Schattenbanken und Nicht-Banken als Finanzmarktteilnehmer sowie immer neuer und schwer verständlicher Finanzprodukte und Risikokonzentrationen von der Qualität "too big to fail" entscheidend beigetragen. Das Finanzkapital hat sich so bis zu dem Punkt entwickeln können, wo auch die schwerste Krise seit 70 Jahren ihm nicht mehr viel anhaben kann.

Das globale Finanzkapital ermöglicht den Unternehmen und individuellen "Finanzkapitalisten", Profite spekulativ im großen weltweiten Casino arbeiten zu lassen, statt sie in Investitionen und in Löhne zur Förderung der Nachfrage zu lenken. Wenn man dann auch noch die Verluste auf die Allgemeinheit abwälzen kann, wie derzeit, wird das System unschlagbar.

Daher halte ich die These, daß der Finanzmarktkapitalismus in der derzeitigen Krise zusammengebrochen sei, leider für unzutreffend. Es wird zwar ein paar neue Leitplanken - auch zur Beruhigung der Öffentlichkeit - geben, aber ansonsten wird sich das Spiel zum Schaden der Allgemeinheit fortsetzen. Schon jetzt wachsen die Risikopositionen in Finanzmarktwetten wieder, als sei nichts geschehen.

Hohe Bonuszahlungen kommen zurück, um die Diener des Finanzkapitals gefällig zu halten (die könnten sich sonst, verglichen mit den obersten Etagen, für "arm" halten und auf falsche Ideen kommen).

8. Zu einem abrupten Ende des Kapitalismus in seiner bisherigen Form kann es nur kommen, wenn einige große Spieler, vor allem China, die Spielregeln nicht mehr beachten und sich das Kapital in inneren Fehden verkämpft. Das kann über Währungskriege und wieder aufkommenden Protektionismus passieren. Derzeit findet bereits in kleinen Zügen eine Entliberalisierung des Kapitalverkehrs mit vielen Schwellenländern statt.

Auch ein Endkampf um seltener werdende Rohstoffe, wie er derzeit vor allem von China angeschoben wird, kann die globale Kohärenz des Kapitals zerstören. Doch auch bei einer solchen Entwicklung sehe ich derzeit keine Alternative, die an die Stelle des Kapitalismus in seiner neoliberalen Form treten könnte. Dafür bräuchte es eine globale Organisation der Kapitalismuskritik, die ich derzeit nicht kommen sehe.


Posted via email from Daten zum Denken, Nachdenken und Mitdenken

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