Mittwoch, 16. Februar 2011

Regisseur Djo Tunda wa Munga über Leben in Kongo [via Neues Deutschland]

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Alle wollen nur eines: Geld, Geld, Geld

Regisseur Djo Tunda wa Munga über Leben in Kongo


Djo Tunda wa Munga (38) ist Filmemacher in der Demokratischen Republik Kongo. Die Filmhochschule besuchte er in Belgien, seine Inspiration schöpft er aus dem Weltkino, und von der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage in Kongo lässt er sich erstmal nicht entmutigen.

ND: »Viva Riva«, den Sie im Forum der Berlinale präsentierten, ist ein mitreißender Gangsterfilm geworden. Und mit so sicherer Hand inszeniert, dass man ihn nie für einen Debütfilm halten würde.

Djo Tunda wa Munga: (Lacht.) Danke! Ich hatte aber auch viel Zeit, ihn zu entwickeln. Als ich vor Jahren mit der Idee zu einem Spielfilm ankam, haben mich alle ausgelacht. Einen Spielfilm drehen – in Kongo? Also bin ich erstmal Produzent geworden, habe Dokumentarfilme gedreht und nebenbei weiter an meiner Spielfilmidee gearbeitet. So konnte ich mir in aller Ruhe überlegen, wie man die soziale Realität von Kinshasa in einem Film unterbringt, der trotzdem noch als Kino funktioniert, also: als Unterhaltung.

In Kongo sind heute vor allem US-amerikanische Filme zu sehen.

Ja. Wir wollten eine Wirklichkeit dagegensetzen, die die Zuschauer wiedererkennen – ohne dabei unser Publikum zu verlieren. Für die Mischung aus Unterhaltungskino und sozialem Realismus, die mir vorschwebte, bot sich der Genre-Film natürlich an. Also habe ich einen Film Noir gedreht, einen Film im Stil der klassischen französischen Gangsterfilme.

Was ist denn die soziale Realität von Kinshasa?

Eine enorme Vitalität hat die Stadt. Ganz viel Energie. Und dann diese extremen Gegensätze. Da kann einer dich lieben, dich wirklich ehrlich lieben – und trotzdem knöpft er dir dein Geld ab. Die Menschen sind zerrissen. Nach 32 Jahren Mobutu-Regime liegen die sozialen Strukturen am Boden. Ich habe nie einen schriftlichen Beleg dafür gelesen, aber ich bin davon überzeugt, dass es Mobutus politische Absicht war, ganz gezielt die Familienstrukturen zu zerstören. Und mit dieser Auffassung stehe ich nicht allein. Als Mobutu in den Neunzigern gestürzt wurde, gab es keine »normale« Familienstruktur mehr. Keine Väter, die morgens zur Arbeit gingen und das Geld verdienten, mit dem sie ihre Familie ernähren konnten. Und so kam es zur heutigen Situation: In Kongo traut keiner mehr dem anderen. Jeder kämpft für sich allein. Zukunftsperspektiven gibt es für die meisten ohnehin keine – und auch keinen Respekt. Alle sind nur ständig auf der Jagd nach Geld, Geld, Geld. Für Geld prostituieren sich viele Menschen.

In »Congo in Four Acts«, einer Kompilation von dokumentarischen Kurzfilmen, die Sie produzierten und 2010 auf der Berlinale präsentierten, war von Plünderungen die Rede, von löchrigen Straßen, verfolgten Journalisten, traumatisierten Bürgern und korrupten Behörden. Held Ihres neuen Films ist ein kleiner Gangster, der vom Benzinschmuggel aus dem benachbarten Angola profitiert, bis er von der Konkurrenz ausgeschaltet wird. Ist das Benzin knapp in Kongo?

So eine schlimme Benzinkrise, wie sie im Film eine Rolle spielt, hatten wir zuletzt in den Jahren 2000/2001. Ohne Treibstoff geht gar nichts mehr. Wenn der Treibstoff knapp wird, steigt die Anspannung in einer ohnehin schon angespannten Stadt wie Kinshasa nochmal erheblich an. Das überträgt sich auf alle persönlichen Beziehungen. Freundschaften leiden darunter ebenso wie Paarbeziehungen. Selbst der Priester im Film lässt sich davon korrumpieren. Aber natürlich hat er auch an sein Kloster zu denken, seine Schutzbefohlenen. Auch er ist Teil der Gesellschaft, und jeder ist dem gesellschaftlichen Chaos ausgesetzt, es gibt keine Schutzmacht dagegen, keinen Schutzraum. Und unsere Beziehungen zu Angola sind ohnehin nicht die besten. Benzin ist dort billiger, also gibt es auch heute noch Schmuggel. Aber letztlich könnten der Kongo und Angola hier für das Verhältnis aller afrikanischen Staaten untereinander stehen: Sobald einer ein kleines bisschen mehr hat als der andere, sieht er auf den Ärmeren herab. Sehen Sie sich doch nur an, wie die afrikanischen Staaten bei der UNO miteinander umgehen!

Wie, um Himmels willen, haben Sie es dann geschafft, einen ganzen Spielfilm in Kongo zu drehen?

Mit Hilfe vieler Menschen. Wenn man ein gemeinsames Ziel vorgibt und eine organisatorische Struktur, funktioniert das. Auf staatlicher Ebene klappt das solidarische Prinzip nur deshalb nicht, weil da jedes Vertrauen fehlt. Nicht erst seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 haben wir eine korrupte Regierung nach der nächsten gehabt, und alle haben gegen die Interessen der Bevölkerung gehandelt. Das fing schon 1885 mit der belgischen Kolonialherrschaft an, der brutalsten Kolonialmacht von allen, und es ging mit Mobutu weiter, der die gesellschaftlichen Strukturen auflöste und hart und geistfeindlich gegen Intellektuelle vorging. Mit dem Sturz von Mobutu hat der Hass nicht aufgehört. Über hundert Jahre Leiden, das hinterlässt Spuren, die nicht so schnell verschwinden.

Die ersten freien Wahlen im Jahr 2006 haben keine Besserung gebracht?

Bei den Wahlen 2006 hatten wir große Hoffnungen, aber die haben sich nicht alle erfüllt. Es fehlen Investitionen von außen, aber manchmal fehlt auch der gute Wille. Doch die Kongolesen sind ungeheuer zäh. Auf einer Ebene unterhalb der staatlichen Ebene sind sie natürlich schon um Lösungen für ihre Alltagsprobleme bemüht. Man muss eben direkt an die Menschen herantreten, sie unmittelbar einbeziehen, auch, wenn man so einen Spielfilm drehen möchte: Zum Beispiel muss man persönlich mit jemandem vom Flughafen sprechen, wenn man Leute einfliegen lassen möchte. Und Polizisten beschäftigen, die als Statisten ihr Salär aufbessern können. Wenn man sich keine Produktionsfahrzeuge leisten kann, baut man sich eben ein Netz von Bekanntschaften unter Taxi-Fahrern auf, die einem aushelfen. Denen nützt das auch: So kommen sie für ein paar Tage zu gesichertem Verdienst.

Das klingt für eine Spielfilmproduktion alles nach großem Zeitaufwand. Hilfe zur Selbsthilfe also?

Genau. Wir haben Workshops abgehalten und die Leute für den Film ausgebildet, denn nicht jeder hat das Glück, dass er Eltern hat, die ihn zum Studium ins Ausland schicken können. Glück, wie ich es hatte. Wir sind gerade dabei, eine filmische Infrastruktur aufzubauen – beim nächsten Dreh haben alle dann schon etwas mehr Erfahrung. Nur die obersten technischen Chargen waren Techniker aus Europa, alle anderen haben wir vor Ort rekrutiert. Manche von ihnen hatten schon an »Congo in Four Acts« mitgearbeitet, andere haben ihre Häuser zur Verfügung gestellt, alle waren bereit, länger zu arbeiten. Wir wollten es auf keinen Fall so machen, wie es in vielen afrikanischen Staaten in den Neunzigern üblich war: eine westliche Crew einfliegen, die dreht und verschwindet wieder.



Interview: Caroline M. Buck

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