Mittwoch, 9. Februar 2011

(K)lebt da was unterm Schuh? - Wie #Touristen die #Biodiversität der #Antarktis #beeinflussen


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Doris von Eiff, 09.02.2011
19:09

(K)lebt da was unterm Schuh? - Wie Touristen die Biodiversität der
Antarktis beeinflussen

Görlitz/Frankfurt a.M., 09. Februar 2011. Hundert Jahre nach Roald
Amundsens Wanderung zum Südpol in die Antarktis reisen?

Keine Seltenheit mehr: Tausende von Besuchern strömen jährlich von
Kreuzfahrtschiffen aus ins ewige Eis und eine steigende Anzahl von
Forschern aus aller Welt ist ständig vor Ort.

Formen all diese Menschen die Biodiversität der Antarktis
um? Wissenschaftler des Senckenberg Forschungsinstituts in Görlitz
untersuchen im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA), wie sich V
eränderungen der Biodiversität frühzeitig messen lassen.

Die Bodenlebewesen der Antarktis sollen Aufschluss geben, ob der
Aufenthalt von Menschen die Vielfalt des Lebens auf dem sechsten
Kontinent beeinflusst.

Längst ist die Antarktis nicht mehr allein das Land der Entdecker und
Abenteurer, der Wissenschaftler und Klimaforscher. Mehr Menschen als je
zuvor hinterlassen ihre Fußspuren auf dem sechsten Kontinent. Unwirtlich
wirkt das ewige Eis mit Polarnacht und –tag nur aus menschlicher Sicht;
für viele Lebewesen ist die Antarktis ein Zuhause. Welche Bodenorganismen
es zum Beispiel in diesem Lebensraum gibt, ist bereits verhältnismäßig gut
untersucht: "Antarktische Böden sind nicht sehr artenreich.

Die Bodenorganismen, die dort vorkommen, sind gut bekannt, sogar zum Teil
besser als in Mitteleuropa", beschreibt David J. Russell, Leiter der
Sektion Mesofauna am Senckenberg Forschungsinstitut in Görlitz.

Russell und seine Kollegen untersuchen millimetergroße Tiere wie Milben und
Springschwänze (Mesofauna), noch kleinere Bodentiere etwa Fadenwürmer und
Bärtierchen (Mikrofauna) sowie die Bodenvegetation (Moose und Flechten).
Die Winzlinge sind die Indikatoren an denen die Wissenschaftler
nachweisen, was mit antarktischen Lebensräumen passiert, wenn der Mensch
sie "betritt".

Im Auftrag des UBA untersuchen Senckenbergs Bodenzoologen und

Botaniker im Forschungsinstitut in Görlitz zwei Jahre lang Bodenproben
aus der Antarktis, die sie direkt von dort erhalten. Und sie erkunden auch
persönlich – jetzt im antarktischen Sommer – die Bedingungen vor Ort.

"Wir haben hier eines der seltenen Projekte, bei denen wir Umweltparameter
und Klimadaten analysieren und die gesamte Lebensgemeinschaft betrachten
können, nicht nur einzelne Tiergruppen", freut sich Russell.

Insbesondere interessiert die Forscher die Verschleppung von Bodenlebewesen
zwischen Untersuchungsstellen innerhalb der Antarktis, aber auch zwischen
Mikrohabitaten innerhalb der jeweiligen Standorte. Was unterm Schuh kleben
bleibt, fällt nämlich ein paar Meter weiter vielleicht wieder ab. Und ein
paar Meter,sind Strecken, die die winzigen Organismen niemals aus eigener
Kraft zurück legen.

Antarktische Bodengemeinschaften sind einfach strukturiert und sehr
empfindlich. Besonders im Sommer existieren sehr viele Mikrohabitate nahe
beieinander, die jeweils eine eigene Artenzusammensetzung beherbergen
können: Unter großen Steinen, an Schmelzbächen oder auf Flächen, auf denen
Pinguine watscheln, lebt jeweils eine eigene Welt im Boden.

Die typische, etablierte Fauna hat sich über Jahrtausende an die extremen
Bedingungen angepasst. "Wir können relativ gut vorhersagen, welche Arten
wo zu erwarten sind und untersuchen darauf aufbauend, welche Rolle menschliche
Aktivitäten bei der Einschleppung von fremden Arten und der Verbreitung
von Organismen innerhalb der Antarktis spielen", erläutert Russell: "dort,
wo es eine lange Geschichte menschlicher Aktivitäten gibt, kommen zum
Beispiel auch invasive Arten vor."

Auf Landschaftsebene aber nimmt die Vielfalt überall da ab, wo Menschen
sind. Das ist eine der Kernhypothesen, denen das Görlitzer Team nachgeht:
"Das Problem ist: Menschen laufen und treten  herum. Sie können dadurch
Arten verschleppen und es erfolgt eine Homogenisierung", schildert Russell
die Situation.

Der Mensch verwischt zum Beispiel mit seinen Schuhsohlen
die Verteilung der Arten und verringert damit das, was Ökologen als
β-Biodiversität bezeichnen, nämlich die Menge unterschiedlicher
Lebensgemeinschaften, die in einem Gebiet vorkommen und gemeinsam die
gesamte Biodiversität darstellen. Die β-Biodiversität ist umso größer, je
unterschiedlicher die Artspektren und Mengenverhältnisse in den einzelnen
Mikrohabitaten sind.

Sie geht gegen Null, wenn überall die gleichen Tiere und Pflanzen leben.

Vereinheitlichung des Artenspektrums bedeutet eine Verarmung der
Vielfalt auf Landschaftsebene.

"Wir wollen herausfinden, wie man solche Auswirkungen frühzeitig
erkennen kann", sagt Russell.

Am Ende des Projektes wird eine Empfehlung stehen, wie die Kriterien
zum Betreten der Antarktis modifiziert werden können, um die empfindlichen
Lebensgemeinschaften besser schützen zu können.

Schon jetzt ist zumindest für Kreuzfahrtschiffe und deren Gäste der
Besuch in der Antarktis reglementiert. Aber reicht das?

Diese Frage war Anlass für das UBA gemeinsam mit den Bodenspezialisten
des Senckenberg Forschungsinstituts in Görlitz dieses Projekt zu initiieren.

Die Bundesrepublik Deutschland kommt damit Verpflichtungen aus dem 1998 in
Kraft getretenen Madrider Protokoll nach. Dieses von 34 Ländern
ratifizierte Übereinkommen legt die internationalen Bemühungen zum Schutz
der Antarktis fest. Es ist eine Ergänzung zum Antarktis-Vertrag von 1959,
der die friedliche Nutzung der Antarktis regelt und der Polarforschung vor
anderen Interessen Vorrang gewährt.

Dem Antarktis-Vertrag ist die BRD 1979 beigetreten und beteiligt sich
seit dem intensiv an der Erforschung der Antarktis.

Die den Vertrag ergänzenden Umweltschutzvereinbarungen des
Madrider Protokolls sehen u.a. vor, mindestens 50 Jahre lang keinerlei
Bodenschätze zu gewinnen und alle menschlichen Aktivitäten vorab einer
strengen Umweltprüfung zu unterziehen.

Diese Aufgabe obliegt in Deutschland dem Umweltbundesamt in
Dessau-Roßlau, das auf Antrag entsprechende Genehmigungen erteilt.

Das UBA ist aber auch bestrebt, mit der Initiierung derartiger
Forschungsprojekte aktuellen Fragen des Umweltschutzes in der Antarktis
nachzugehen und praktische Maßnahmen zum Schutz der einzigartigen
antarktischen Ökosysteme zu entwickeln bzw. bereits etablierte Maßnahmen
zu optimieren. (rba)

Kontakt Wissenschaftler:
Dr. David J. Russell
Tel: 03581 - 4760 5502
David.Russell@senckenberg.de

Dr. Karin Hohberg
Tel: 03581-4760 5531
Karin.Hohberg@senckenberg.de
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz

Pressekontakt:
Doris von Eiff
Senckenberg Pressestelle Frankfurt
Tel.: 069/7542 1257
Mobil: 0173-54 50 196
E-Mail:
doris.voneiff@senckenberg.de

Dr. Christian Düker
Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz
Tel.: 03581/4760-5210
E-Mail:
christian.dueker@senckenberg.de

Arten der Pressemitteilung:
Buntes aus der Wissenschaft
Forschungsprojekte

Sachgebiete:
Biologie
Meer / Klima
Umwelt / Ökologie

Weitere Informationen finden Sie unter
http://Kurzlink: http://bit.ly/euDHWg
http://www.umweltbundesamt.de/antarktis
http://www.senckenberg.de

Zu dieser Mitteilung finden Sie Bilder unter der WWW-Adresse:
http://idw-online.de/pages/de/image134855
Eselspinguin beobachtet Probenahme auf der Petermann-Insel

http://idw-online.de/pages/de/image134856
Untersuchungsgebiet auf der Teufelsinsel i. Weddell-Meer

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder erhalten Sie unter:
http://idw-online.de/pages/de/news408419

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution639


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