Freitag, 4. November 2011

Um 20:15 Uhr #KONTRASTE in #EinsExtra --> Verbraucher ohne Schutz? Umstrittene EU-Behörde f. Lebensmittelsicherheit


Verbraucher ohne Schutz?

Umstrittene EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit

 
[KONTRASTE - Sendung vom 03.11.2011]
 
http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_03_11/verbraucher_ohne_schutz.html
 

Der umstrittene Süßstoff Aspartam, gentechnisch veränderte Pflanzen oder der Weichmacher Bisphenol A - Die EFSA, die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, sieht nur selten Risiken oder Probleme bei diesen Stoffen. Doch wie unabhängig sind deren Risikobewertungen? Welchen Einfluss hat die Industrie auf Mitarbeiter der Behörde?

Die Verunsicherung ist gross: Nach einer aktuellen Umfrage haben 70 Prozent der Deutschen Angst vor Schadstoffen in Lebensmitteln. Übrigens noch mehr Angst als vor der Schuldenkrise. Damit sich der Verbraucher sicher fühlen kann, wurde 2002 extra eine mächtige europäische Behörde für Lebensmittel-Sicherheit gegründet, die EFSA. Doch statt Verbraucherschutz stehen hier offenbar ganz andere Interessen im Vordergrund. Caroline Walter, Constanze Voigt und Chris Humbs mit Hintergründen.

In diesen Trinkflaschen für Kinder ist eine umstrittene Chemikalie enthalten: Bisphenol A. Es kann sich aus dem Kunststoff lösen und so in den Körper gelangen. Eigentlich müsste der Stoff komplett verboten sein. Doch das ist er nicht.

Prof. Schönfelder ist ein renommierter Toxikologie an der Berliner Charité. Dass Bisphenol A große Risiken birgt, steht für ihn fest.

Prof. Gilbert Schönfelder, Toxikologie Charité Berlin
"Bisphenol A greift in das Hormonsystem ein. Und wir wissen auf verschiedenster Ebene, wie Bisphenol A lebende Organismen beeinflussen kann. Ähnliche Ergebnisse, wie man sie im Tier gefunden hat, dass sich das Verhalten verändern kann von Tieren, finden wir dieses auch bei Kindern wieder, die nachweislich mit Bisphenol A in Kontakt gekommen sind."

Bei Kindern könne es zu Entwicklungsstörungen kommen, wie Lernschwäche und Hyperaktivität. Ein Risiko, dass man bei der zuständigen Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, kurz EFSA, nicht sehen will. Sie prüft - wie sie in ihrem Werbevideo verspricht – die Sicherheit von Lebensmitteln und Chemikalien, die mit uns in Berührung kommen.

Die Experten der Behörde bewerten, ob Genpflanzen, Pestizide oder Zusatzstoffe in Lebensmitteln unbedenklich sind. In aller Regel wird das umgesetzt, was die EFSA beschließt. Bis heute spricht sie sich nicht für ein Verbot von Bisphenol A in Kunststoffen aus - Kinder sind dem weiter ausgesetzt.

Der unabhängige Wissenschaftler Schönfelder wollte seine Forschungsergebnisse bei der EFSA vorstellen. Aber sie zeigt kein Interesse.

Prof. Gilbert Schönfelder, Toxikologie Charité Berlin
"Ich finde es verwunderlich, wenn man uns, die doch kritisch sind am Beispiel von Bisphenol A, nicht einlädt, um unsere Standpunkte darzulegen, was ich wichtig finde, gerade in der Diskussion, wenn es um Produktsicherheit geht."

Die EFSA steht aber nicht nur deshalb in der Kritik. Es rumort im Europäischen Parlament. Denn Abgeordnete wie Martin Häusling zweifeln an der Unabhängigkeit der Behörde für Lebensmittelsicherheit.

Martin Häusling (B'90/Grüne), EU-Abgeordneter
"Wir kritisieren eigentlich seit Jahren, dass es nicht sein kann, dass die Gremien der EFSA, der Lebensmittelüberwachung, so besetzt sind, dass man den Eindruck hat, die Industrie nimmt sehr viel Einfluss, dass auch Lobbyinteressen sehr starken Einfluss nehmen auf die Gremien, und letztendlich zu wenig Unabhängigkeit herrscht."

Sieht man sich die Gremien der EFSA an, die über die Sicherheit von Lebensmitteln entscheiden sollen, haben viele Experten engste Kontakte zur Chemie- und Nahrungsmittelindustrie - wie diese Beispiele zeigen.

Andere waren oder sind gleichzeitig für einen mächtigen Lobbyverband der Industrie tätig - namens ILSI. ILSI wird finanziert von vielen großen Industriekonzernen der Branche, darunter auch Monsanto – Marktführer bei Pflanzengiften und Genprodukten.

Etliche EFSA-Mitarbeiter haben ihre Verbindungen zu ILSI nicht einmal offen gelegt - entgegen aller Regeln. Konsequenzen hatte das keine, sie sind nach wie vor bei der Behörde.

Die Geschäftsführerin der EFSA versucht, diese Vorgänge und vor allem die Interessenkonflikte der Experten herunterzuspielen.

Catherine Geslain-Lanéelle, Geschäftsführerin EFSA
"Diese Leute arbeiten für die Gesundheit der Bevölkerung. Nur weil sie einmal die Hand der Industrie geschüttelt haben, sich mit denen getroffen oder eine wissenschaftliche Konferenz für die Industrie organisiert haben, heißt das nicht, dass diese Leute keinerlei Integrität mehr hätten."

Nur die Hand geschüttelt? Ein besonders brisanter Fall ist der von Harry Kuiper. Er hat dieses wichtige Dossier zur Gentechnik vom Industrielobbyverband ILSI mitverfasst - unter der Leitung eines Monsanto-Mitarbeiters.

Dabei war er gleichzeitig Vorsitzender des Gentechnik-Gremiums der Lebensmittelbehörde EFSA. Und dort bestimmte er mit, wie gentechnisch veränderte Lebensmittel geprüft werden müssen.

Harry Kuipers Doppelfunktion zahlte sich für die Industrie aus. Aus dem Industriedossier hat die EFSA fast wortwörtlich Textpassagen abgeschrieben – und sie für die eigenen Richtlinien übernommen.

Das hat der unabhängige Wissenschaftler Christoph Then gemeinsam mit Kollegen herausgefunden. Die Industrie habe so Einfluss auf die Lebensmittelsicherheit genommen.

Christoph Then, Testbiotech e.V.
"Abgeschrieben wurde zum Beispiel, dass Fütterungsversuche nicht nötig sind mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln, dass also keine Studien durchgeführt werden mit Ratten oder Mäusen, bevor man die Produkte auf den Markt bringt. Und das ist eins zu eins eben von der Industrie vorgegeben worden, und findet sich so auch in den Prüfrichtlinien der EFSA."

Die Folge: Nicht jedes genmanipulierte Produkt muss zwingend vorher getestet werden. Der Verbraucherschutz bleibt auf der Strecke.

Christoph Then, Testbiotech e.V.
"Die Europäische Lebensmittelbehörde hat sich jüngst für die Zulassung einer gentechnisch veränderten Sojabohne ausgesprochen, in die ein Insektengift eingebaut worden ist. Und dieses Insektengift, von dem ist bekannt, dass es Immunreaktionen verstärken kann. Und damit steigt natürlich das Allergierisiko für die Verbraucher. Und das ist nicht untersucht worden. Obwohl die Mitgliedsländer entsprechende Einwände gemacht haben, hat die Europäische Lebensmittelbehörde ohne weitere Untersuchungen, sich einfach auf die Angaben der Hersteller verlassen."

Das Durchwinken von Genprodukten hat offenbar System. Uns wird ein interner Beschwerdebrief von einem ehemaligen EFSA-Experten zugespielt. Wir treffen den Verfasser. Andreas Lang hat mehrere Jahre für die EFSA gearbeitet und sollte als Wissenschaftler beurteilen, ob bestimmte genmanipulierte Pflanzen eine Gefahr für die Umwelt darstellen. Doch seine Bedenken wurden von der EFSA ignoriert, er verließ daraufhin die Behörde.

Andreas Lang, ehem. EFSA-Genexperte
"Die Frage ist, wann gebe ich grünes Licht, sozusagen, bei welchem Risiko oder bei welcher Unsicherheit. Und in dem Fall war es halt so, dass die früher grünes Licht gegeben haben, als ich es oft getan hätte. Das bedeutet, dass in konkreten Fällen meiner Meinung nach das Risiko nicht ausführlich genug geprüft wurde."

Wie wenig der Verbraucherschutz bei der EFSA zählt - zeigt sich ganz aktuell beim Süßstoff Aspartam. Er kommt in etwa 6000 Lebensmitteln vor - in Süßigkeiten oder in zuckerfreien Softdrinks.

Die EFSA urteilt seit zehn Jahren, Aspartam stelle kein Risiko dar. Doch Untersuchungen zeigen immer wieder das Gegenteil: Bei einer Studie an ca. 60.000 dänischen Frauen zeigte sich ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt durch Aspartam.

Bei einer anderen Studie kam es gehäuft zu Krebserkrankungen bei Mäusen. Für den EU-Parlamentarier Martin Häusling ist nicht akzeptabel, dass die EFSA bei Aspartam nicht schneller auf kritische Studien reagiert und zwar von sich aus.

Martin Häusling (B'90/Grüne), EU-Abgeordneter
"Letztendlich sind da ganz massive Wirtschaftsinteressen im Hintergrund. Es ist durch eine kritische Öffentlichkeit erst ans Tageslicht gekommen, dass es ein Risiko gibt. Parlamentarierer haben nachgefragt, und erst auf Druck der Öffentlichkeit und auf Druck der parlamentarischen Nachfragen, hat die EFSA reagiert. Aber sie reagiert sehr langsam."

Wie das Urteil der Behörde über Aspartam am Ende ausfällt ist völlig offen. Es wird langsam Zeit, dass die EFSA einen Kurswechsel einschlägt, Richtung Verbraucherschutz.

Umso unverständlicher, dass derjenige, der für die Kontrolle der EFSA zuständig ist, hier abblockt. John Dalli, der EU-Kommissar für Gesundheit, lehnte es ab, unsere Fragen zu beantworten.

 

Beitrag von Chris Humbs, Caroline Walter und Constanze Voigt




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