Auf der ideologischen Schiene kann es da für die kapitalistische Seite nichts Besseres geben, als wenn der Ruf »Verzichtet auf Wachstum und zu viele materielle Güter!« unter den Lohnabhängigen selber erschallt. Wer öffentlich verkündet, der Lebensstandard in unseren menschenfreundlichen kapitalistischen Gesellschaften sei generell zu hoch und nicht auf Dauer zu halten, mag mit dieser Durchschnittsbetrachtung sogar recht haben, er lenkt aber vom eigentlichen Skandal ab, daß die Verteilung der materiellen Güter systematisch höchst ungleich ist, von einem Lebensstandard als Durchschnitt zu sprechen, zumindest irreführend ist. Wer meint, aus ökologischer Sicht lebten »wir« schon jetzt über unsere Verhältnisse, pflichtet schon Kanzlerin und Kapital bei, die genau diese Weisheit immer wieder verkünden, um niedrige Löhne, Renten und Sozialleistungen zu rechtfertigen. Wer unter den jetzigen Verhältnissen für niedrigeres Wachstum plädiert, tritt ein für hohe Erwerbslosigkeit, soziales Elend und eine Schwächung gewerkschaftlicher Gegenmacht.
Man kann auch noch deutlicher formulieren: Wer in der wirtschaftspolitischen Auseinandersetzung gegen die Förderung des Wachstums plädiert, schlägt sich auf die Seite des Großkapitals. Dies trifft insbesondere auf Deutschland zu, wo der Kurs der Wirtschaftspolitik noch stärker als anderswo gegen die Stimulierung der effektiven Nachfrage ausgerichtet war und ist. Nur in der allergrößten Not hat ausnahmsweise die Bundesregierung, damals gebildet von Union und SPD, im Herbst 2008 zwei relativ große und damit effektive Konjunkturstützungsprogramme beschlossen. Seitdem wird der übliche, eher wachstumshemmende Kurs verfolgt, wonach die Konsumnachfrage im Inland gering gehalten wird, die Löhne unter dem Zuwachs der Produktivität bleiben und damit die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf dem Weltmarkt gefördert wird. Die Tatsache, daß die Merkel-Westerwelle-Regierung ein »Wachstumsbeschleunigungsgesetz« auf den Weg gebracht hat, zeigt nicht, daß sie vom traditionellen restriktiven Kurs abgeht, sondern daß sie das Publikum gern und, um die modische Vokabel auch einmal zu gebrauchen, »nachhaltig« in die Irre führt.
Es gibt verschiedene Arten von Wachstumskritikern. Man sollte sie nicht alle über einen Kamm scheren. Jedoch hängt die Tatsache, daß die Skepsis gegenüber wirtschaftlichem Wachstum gerade in Deutschland weit verbreitet ist, damit zusammen, daß diese Ideologie der Strategie gerade der deutschen Unternehmerverbände und ihrer Regierung gut in den Kram paßt. Wachstumsskeptiker gelten als gesellschaftlich akzeptabel, ja, als ihrer Zeit voraus.
Wachstumskritik paßt insgesamt glänzend in die Strategie des deutschen Kapitals. Der Standort selbst, also die deutschen Lande selber und seine Bewohner, ob Ost oder West, werden auf Stagnation eingerichtet. Es findet kein Bevölkerungswachstum mehr statt. Die Kosten für Erziehung können gesenkt werden. Der Import von Arbeitskraft wird gering gehalten. Auch die Sachinvestitionen bleiben mäßig. Dank niedriger Lohnkosten, dank demzufolge geringer Nachfrage im Inland und entsprechend geringer Inflation steigen trotz mäßiger Investitionen im Inland die Exporte, der Exportüberschuß und vor allem die Unternehmergewinne. Der entstehende Kapitalüberschuß wird vorwiegend im Ausland investiert. Er soll die alternde Gesellschaft und deren privatisierte Rentensysteme mitfinanzieren (was – wie man sieht – leider immer mal wieder schiefgeht).
So weit das Modell. Die Realität ist ihm schon weitgehend angepaßt worden. Die Konsumnachfrage stagniert im Inland seit mehr als einem Jahrzehnt. Wachstumsskeptiker finden sich zuhauf auch unter Rentiers und Finanzhaien. Ihren Vorstellungen nach können Finanzgewinne durchaus üppig anfallen, wenn das wirtschaftliche Wachstum aus welchen Gründen auch immer zurückgefahren wird oder ganz ausbleibt. Um so besser, wenn diese Gründe ehrenwerte, ökologische, sozusagen transkapitalistische Gründe sind.
Es stört sie nicht, wenn ihnen Wachstumskritiker erzählen, daß der Kapitalismus auf Wachstum angewiesen ist und ohne Wachstum nicht überlebt. Sie glauben nicht daran und haben recht damit. Der Kapitalismus ist zunächst eine Produktionsweise, die die Produktivität fördert und Wachstum anregt. Dies ist die beste seiner ansonsten vielen schlechten Eigenschaften. Nicht umsonst haben Karl Marx und Friedrich Engels im »Kommunistischen Manifest« die Fähigkeit des Kapitals, die Produktivkräfte zu sammeln und zu entwickeln, geradezu hymnisch besungen. Das heißt aber nicht, daß diese Produktionsweise nicht auch anders kann. In seinem »höchsten« Stadium kann der Kapitalismus auch faulend und parasitär sein, hat zum Beispiel der oben bereits erwähnte Lenin festgestellt. Er wird allein an seiner Fäulnis nicht gleich zugrunde gehen. Allerdings wird dieser wachstumslose Zustand des Kapitalismus für die, die ihn erdulden und ihre Arbeitskraft ausbeuten lassen müssen, noch weniger erfreulich sein als ohnehin.
Altvater und die »Thesen«
Leider ist die Ablehnung wirtschaftlichen Wachstums nicht nur generell weit verbreitet. Sie findet auch unter Linken, ja sogar Menschen, die sich selber Marxisten nennen, erheblichen Anklang. Man nehme zum Beispiel den verdienstvollen und höchst produktiven Autor Elmar Altvater. Im verständlichen Bemühen, dem Kapitalismus ein baldiges Ende vorherzusagen, hat Altvater schon kurz nach dem Scheitern des Sozialismus in Europa begonnen, Theorien über das Scheitern des Kapitalismus an der Natur zu entwickeln und ein ökologisch erzwungenes Ende dieser Produktionsweise vorherzusagen. In »Die Zukunft des Marktes« (1991) testete er eine solche Theorie aus.
Um zu zeigen, daß der Markt, die Marktwirtschaft oder auch der Kapitalismus an unüberwindliche Grenzen stoßen muß, bemühte Altvater damals den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik der steigenden Entropie. Nach diesem grundlegenden physikalischen Gesetz verteilt sich Energie im Lauf der Zeit immer gleichmäßiger im Raum. Die Temperaturdifferenzen gleichen sich aus, bis das Weltall am Ende aller Zeiten nur noch eine völlig fade, gleichmäßige Suppe darstellt, in der nichts mehr geht. Begrenzte Systeme, etwa Lebewesen oder Gruppen von Lebewesen, sind zwar in der Lage, vorübergehend die Entropie innerhalb dieser Systeme zu vermindern (etwa indem sie hochkomplexe differenzierte Strukturen bilden, die nach außen abgegrenzt sind), sie tun dies aber erstens nur vorübergehend – ihr Tod ist gewiß –, und sie tun dies zweitens nur auf Kosten steigender Entropie außerhalb des eigenen Lebenssystems – d.h. sie verbrauchen z.B. selbst komplexe Systeme durch Nahrungsaufnahme und lassen Unstrukturiertes zurück.
Der zweite thermodynamische Hauptsatz reicht aus, nicht nur, um die Grenzen des Marktes und des Kapitalismus zu postulieren, er dient vielmehr als Begründung für die physikalisch bestimmte Endlichkeit aller menschlichen Bestrebungen und der Endlichkeit von Leben überhaupt. Der Hinweis auf physikalische Grundannahmen ist als Argument gegen kapitalistische Marktstrukturen einfach zu wuchtig, um zu treffen. Altvater führte nach eigenem Bekunden diese wuchtige Waffe gegen den Kapitalismus ein, weil er eine »Schnittstelle« zwischen ökonomischer und ökologischer Theorie suchte. Das Naturgesetz tritt in seiner Darstellung in Widerspruch speziell zur kapitalistischen Gesellschaft und deren ökonomischer Dynamik.
Der Hinweis auf die Entropie kommt bei Altvater meines Wissens heute nicht mehr vor, um die Endlichkeit auch des Kapitalismus zu begründen. Statt dessen treten nun, ähnlich wie bei dem eingangs erwähnten Niko Paech, Peak Oil und die Klimaveränderung auf den Plan. Jedenfalls stößt auch hier der Kapitalismus an Grenzen, die die Natur ihm setzt. Altvater zitiert in diesem Zusammenhang fleißig Engels, der allerdings davon spricht, daß die Natur dem Menschen (und nicht dem Kapitalismus) Grenzen setzt, was ein erheblicher Unterschied ist. Um das Wachstum zu dramatisieren, übertreibt Altvater zuweilen auch gehörig. So behauptet er schlicht, daß »unser Wissen wie die Wirtschaft geometrisch wächst« (»Fukushima, mon horreur« in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 5/2011, S. 69). Daß die Wirtschaft nicht geometrisch wächst, sondern allenfalls exponentiell, steht fest. Woher Altvater weiß, wie das schwer zu messende Wissen wächst, bleibt sein Geheimnis. Jedenfalls läßt er nichts unversucht, um den gegen die Natur gerichteten Wachstumsdrang der kapitalistischen Produktionsweise zu geißeln.
Was ist grundlegend falsch an dieser weitverbreiteten Altvaterschen Denkweise? Es ist die falsche Vorstellung, daß die kapitalistische Produktionsweise durch Katastrophen, die sie verursacht, aufgehoben werden könnte. Bei der Luxemburgschen Alternative »Sozialismus oder Barbarei?« bedeutet letzteres nicht das Ende des Kapitalismus, sondern seine Fortsetzung. Klimakatastrophen bedeuten genausowenig wie Kriege das Ende des Kapitalismus.
Auch in den umstrittenen politischen Thesen des bis 2010 amtierenden Sekretariats der DKP finden sich sonderbare, geradezu Altvaterhaft anmutende Aussagen. These 8 meint, die immer noch aktuelle Finanz- und Weltwirtschaftskrise sei »Ausdruck dafür, daß die kapitalistische Produktionsweise an ihre natürlichen Grenzen stößt«1. Davon kann – leider – keine Rede sein. Wenn diese Produktionsweise an Grenzen stößt, dann an solche, die sie selbst hervorgebracht hat. Weiter unten in These 8 lernen wir, daß es im Kapitalismus zwar eine Steigerung der Ressourcenproduktivität gibt, dies jedoch die Naturzerstörung nicht gestoppt habe, weil das »Produktionswachstum nicht gestoppt worden« sei. Das Wachstum der Produktion zu stoppen, wird dabei unmißverständlich als Zielvorstellung dargestellt. Daß dank der Wirtschaftskrise die Produktion in allen Industrieländern nicht nur aufhörte zu wachsen, sondern zum Teil auch erheblich zurückging, wird in diesem Zusammenhang gar nicht erwähnt oder positiv vermerkt. Mit etwas Sarkasmus hätte diese These 8 deshalb auch überschrieben werden können: »Wie wir Kommunisten lernten, die Krise zu lieben«.
Wer wie Altvater oder die Autoren der Thesen den angeblichen »Wachstumszwang« des Kapitalismus beklagt und ihn bekämpfen will, findet sich – sicher ungewollt, aber auch unvermeidlich – ganz plötzlich auf der falschen Seite des Klassenkampfes wieder.
Anmerkung der Redaktion:
1 Die These 8 im Wortlaut: »Die Krise ist Ausdruck dafür, daß die kapitalistische Produktionsweise an ihre natürlichen Grenzen stößt.Weil höhere Ressourcenproduktivität – wenn z.B. aus einer Tonne Stahl etc. mehr Gebrauchsgüter als vorher hergestellt werden – zu höherer Arbeitsproduktivität führt, setzen sich umwelt- schonende Technologien im Kapitalismus tendenziell durch. Aber deren ressourcenschonender Effekt wird durch das kapitalistische Produktionswachstum zunichte gemacht: Da die Verwertung des Werts der Selbstzweck des Kapitals und die wachsende Aneignung des abstrakten Reichtums das treibende Motiv kapitalistischer Produktion ist, kennt das Kapital kein Maß außer sich selbst und leugnet jegliche Grenzen. Die Folge ist die unaufhaltsam voranschreitende Zerstörung der Natur. Im Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise haben umweltschonendere Technologien bisher nicht dazu geführt – und werden auch nicht dazu führen –, daß der Verbrauch von Ressourcen und der Ausstoß von Abfall gesunken wäre. Die Steigerung der Ressourcenproduktivität hat die Naturzerstörung nicht gestoppt, weil das Produktionswachstum nicht gestoppt worden ist. Und dieses kann nicht gestoppt werden, solange die Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise die wirtschaftlichen Prozesse bestimmen und jeden einzelnen Kapitalisten zwingen, sein Kapital fortwährend auszudehnen, den maximalen Profit zu erzielen und seine Produktion auf ständig erweiterter Stufenleiter fortzusetzen, um sein Kapital zu erhalten.Das Kapital ignoriert – und muß in seinem systemimmanenten Streben nach Maximalprofit ignorieren –‚ daß wir auf unserem Planeten in einer endlichen Welt mit ihren objektiven Grenzen leben. Die Natur ist weder in der Lage, in ständig wachsendem Maße der Produktion die Rohstoffe zu liefern noch deren Abfälle aufzunehmen. Wie Marx prognostiziert hat: Die kapitalistische Produktionsweise untergräbt beide Quellen des sachlichen Reichtums: die menschliche Arbeitskraft und die äußere Natur.« (Quelle:
www.debatte.kommunisten.de)
Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der Financial Times Deutschland. Zuletzt erschien von ihm »Geld – der vertrackte Kern des Kapitalismus«, 192 Seiten, brosch., 12,90 Euro, PapyRossa Verlag, Köln 2010 (auch im jW-Shop erhältlich)
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