Donnerstag, 3. März 2011

Die #längst #überfällige #Wende - Michael Brückner - Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens

 


Die längst überfällige Wende

Gastbeitrag von Michael Brückner:

 

Foto: Wikipedia

 

Mit der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) bin ich etwa vor 5 Jahren das erste Mal in Berührung gekommen.

Aber erst in diesem Jahr habe ich mich u.a. über facebook in die umfassende Auseinandersetzung mit den Details zum BGE begeben.

Unterm Strich halte ich die Idee eines BGE für einen Ansatz, der das Potential hat, einer Wende gleichzukommen, wie es die friedliche Revolution von 1989 war – die längst überfällige 2.Wende.

Die Idee klingt fast zu schön um wahr zu sein, deshalb konzentriere ich mich auf Argumente, die gegen ein BGE zu sprechen scheinen. Nicht um die Unmöglichkeit zu beweisen, sondern eher im Sinne von "Wer dagegen ist findet immer Argumente, wer dafür ist findet einen Weg."

Themen wie die Finanzierbarkeit eines BGE oder der Befürchtung, es könnte zuviel Arbeit liegen bleiben, sodass unser Wirtschaftssystem zusammenbrechen würde, lasse ich zunächst außen vor, da schon sehr viel von anderer Seite dazu geschrieben und gesagt wurde.

Nur soviel dazu: Unberücksichtigt der Auswirkungen eines BGE, ließe es sich in Höhe von 1000,-€ unter den gegebenen Umständen heute schon finanzieren, sofern es eine entsprechende Reform des Steuersystems gibt. Nach dem Modell von Götz Werner würden jegliche Steuern abgeschafft, bis auf eine zu erhöhende Mehrwertssteuer. Die Marktpreise würden damit größtenteils gleich bleiben.

Die Ausgaben für den Sozialstaat belaufen sich heute auf rund 735 Milliarden Euro pro Jahr. Die Kosten für die Auszahlung von 1000,- € pro Person (Minderjähriger etwas weniger) können dadurch gedeckt werden, wenn man berücksichtigt, dass alle Staatsdiener wie Beamte, Politiker etc. ohnehin schon durch Steuergelder bezahlt werden, und eine Menge Kosten des Bürokratieaufwands eingespart werden könnten.

Dass zuviel Arbeit liegen bleiben würde, lässt außer Acht, welche Art Arbeit damit gemeint ist. Wie viel Arbeit wird heute geleistet, die ausschließlich dem Broterwerb dient, und den eigentlichen Interessen des Arbeitnehmers zuwiderläuft? Und wie viel Arbeit bleibt heute liegen, weil sie nicht getan werden kann, da die Menschen, die sich ihrer annehmen würden, sich um den Broterwerb kümmern müssen? Läuft unser gegenwärtiges System nicht Gefahr, einen ungeheuren Profit für wenige zu erwirtschaften, mit der Folge, dass Umwelt, Klima, Ressourcen, Kultur und Geistesleben zukünftiger Generationen exorbitant dafür bezahlen?

Es ist unmöglich vorauszusagen, wie sich unsere Gesellschaft entwickeln würde, wenn ein ernst gemeintes BGE eingeführt würde. Allein die Befürchtungen, es könnte zum Zusammenbruch der funktionierenden Wirtschaft führen, lässt viele an der Idee eines BGE zweifeln.

Umgekehrt kann aber auch gefragt werden, ob nicht unser bestehendes Wirtschaftssystem im Begriff ist zusammenzubrechen. Möchte man sich den wirklich entscheidenden Fragen nähern, dann muss man fragen, wann eine kritische Masse erreicht ist, die das eine oder andere System unmöglich macht. Z.B. wäre es interessant zu untersuchen, in wie weit der Mensch von heute mit der Freiheit und Verantwortung umgehen könnte, die mit Einführung eines BGE auf ihn zukäme.

Oder lösungsorientiert gefragt: wie müssten die Umstände gestaltet werden, damit die Menschen verantwortungsvoll ihr Leben mit einem BGE bestreiten können. Hier stellt sich auch gleich die Frage, wie verantwortungsvoll die Menschen im heutigen System mit sich und ihrer Umwelt umgehen.

Die Auswirkungen eines ernst gemeinten BGE, d.h. eines BGE, welches den Menschen wirklich frei macht, auch nein zu einem Erwerbseinkommen zu sagen, werden von ungeheurem Ausmaß in nahezu allen gesellschaftlichen Schichten und Belangen sein. Interessant finde ich dabei, wie es sich darstellt, wenn man all die negativen Auswirkungen in Betracht zieht, die unser gegenwärtiges System birgt im Vergleich zu dem, welches mithilfe eines BGE entstehen könnte. Dazu habe ich mir folgende Fragen gestellt und versucht zu beantworten:

Wie verhält es sich mit unseren Beziehungen?

Wie viele Beziehungen gehen zu Bruch, weil es Krisen und Konflikte aufgrund finanzieller Probleme gibt? Wie viele Menschen leben in Beziehungen, die sie längst aufgegeben hätten, wenn nicht die finanzielle Abhängigkeit bzw. Angst vor der Unsicherheit sie daran hinderte? Und wie viele Menschen verleugnen ihren eigentlichen Kern, weil sie sich aus finanziellen Gründen anbiedern und Angst haben durch einen Jobverlust ihren gesellschaftlichen Status zu verlieren? Wie viele Menschen verkaufen sich – und dabei denke ich nicht nur an Prostituierte! Welche Auswirkungen hätte ein BGE auf die psychische und seelische Gesundheit der Menschen?

Wie verhält es sich mit Kriminalität?

Menschen mit wenig ausgeprägtem Unrechtsbewusstsein wir es wohl immer geben, auch wenn sich deren Anzahl durch entsprechende Bildungsangebote vielleicht reduzieren ließe. Menschen jedoch, die aus einer Notlage heraus kriminell werden und möglicherweise dadurch in eine Spirale von Korruption, Gewalt, Erpressung und Betrug geraten, würde es mit Sicherheit deutlich weniger geben. Und jedes einzelne Schicksal aufgrund solcher Umstände ist es wert, das gegenwärtige System gründlich zu reformieren, nicht nur um aus Geld- und Existenznot entstandene Kriminalität zu verhindern.

Wie verhält es sich mit bildungsfernen oder asozialen Menschen?

Menschen, die es vorziehen, ihren Alltag mit Ablenkung durch Computer, TV und ähnlichem zu verbringen, gibt es heute schon und wird es wahrscheinlich immer geben. Es stellt sich nur die Frage, ob deren Anzahl durch ein BGE größer würde und wann eine kritische Masse erreicht wäre, die die Gesellschaft nicht mehr tragen könnte. Auf der anderen Seite sollte alles getan werden, damit die Anzahl solcher Menschen kleiner wird, und eine Frage dazu lautet, ob unser gegenwärtiges System nicht sogar kontraproduktiv in Bezug darauf wirkt. Was sind denn die Gründe dafür, dass es solche Menschen überhaupt gibt? Mangel an Perspektiven? Flucht vor der Realität? Ist die Realität denn so schlimm?

Trägheit und Faulheit sind von Kritikern eines BGE oft genannte Begriffe, die als Eigenschaft verstanden werden. Systemisch betrachtet gilt es, die sogenannten Eigenschaften zu "verflüssigen", d.h. die Merkmale herauszustellen, welche zu den Zuschreibungen von Eigenschaften führen, und den Kontext mit zu berücksichtigen, der zu den genannten Verhaltensweisen führt. Platos Höhlengleichnis bietet sich an, um deutlich zu machen, dass es falsch ist, Menschen auf Grund von "Eigenschaften" abzuschreiben, da es ihnen eigentlich nur an Perspektiven fehlt. Hier ist unser Bildungssystem gefragt, einschließlich lebenslanges Lernen.

Wie verhält es sich mit der Bildung?

Heutzutage einen Beruf zu erlernen, mit dem der Broterwerb eher ein karges Leben zu werden verspricht, hält viele Menschen davon ab das zu tun, was sie eigentlich am liebsten tun würden. Soziale, kulturelle oder naturschutzorientierte Berufe sowie wissenschaftliche Forschungen, die nicht irgendeine Ausbeute versprechen, sind gegenwärtig ein Luxus weniger Menschen, die es sich leisten können, unabhängig von Geld das zu tun, was sie am meisten interessiert. Was könnte es für Entdeckungen geben, welche Ideen könnten zu Ende gedacht und umgesetzt werden, wenn die Menschen sich wirklich dem widmen könnten, was sie wirklich interessiert? Es wird immer wieder gesagt, dass es zu viele Menschen geben würde, die mit einem BGE nur noch ihren Hobbys frönen würden.

Das einseitige Bildungssystem von heute schafft die Grundlage dafür, dass vor allem solche einseitigen Auswüchse durch eine Einführung eines BGE gesehen werden. Dass aber jedes Individuum ein vielseitiges Wesen ist und sein Dasein in vielfältigen Welten erlebt, wird im gegenwärtigen Bildungssystem viel zu wenig berücksichtigt.

So dienen Schule, Ausbildung und Studium hauptsächlich dem Erwerb von Handwerkszeug von Berufen, die an der Erwirtschaftung von profanem Profit orientiert sind. Welche Auswirkungen auf das Bildungssystem hätte es, wenn der Mensch, seine Umwelt und die Natur im Mittelpunkt stünden?

Ein integraler Ansatz wie ihn Ken Wilber propagiert, sollte als Grundlage dienen können, an welchem sich ein neues Bildungssystem orientieren könnte. Durch einen solchen ganzheitlichen Ansatz könnte der Mensch von Kind auf lernen, in welchem Verhältnis er zur Welt und sich selber lebt und wie er sich darin so entfalten und weiterentwickeln könnte, dass jede Einseitigkeit, wie sie in unserer Gesellschaft gegenwärtig vorherrscht, mit all ihren Konsequenzen erkannt und verhindert werden kann.

Wie verhält es sich mit der individuellen Gesundheit?

Burnout, Depression, Übergewicht, Sucht etc haben vielfältige Ursachen. Ganzheitlich betrachtet stellt sich mir die Frage, inwieweit die wirtschaftsdominierte Arbeitswelt einen solchen Druck ausübt, dass es verstärkt zu solchen Krankheiten kommt. Profitsteigerung, Leistung, Karriere, Konkurrenz etc sind ja an sich nichts schlechtes.

Führt es aber dazu, dass die Menschen sich und alles dem unterordnen, dann kommt es zu einem Ungleichgewicht, welches Krankheit zur Folge hat. Und selbst das Gesundheitssystem ist auf Wirtschaftlichkeit ausgerichtet. Da frage ich mich, in wieweit Krankheit wirtschaftlich sein kann. Doch nur für Ärzte, Therapeuten, Herstellern medizinischer Geräte und die Pharmaindustrie.

Die alten Griechen haben ihren Arzt bezahlt, damit sie gesund bleiben. Wurden sie krank, dann mussten die Ärzte ihre Patienten unentgeltlich behandeln, in der Hoffnung, dass sie schnell wieder gesund werden, damit sie wieder bezahlt werden konnten. Heute steht dabei nicht mehr die Gesundheit im Mittelpunkt, da fast ausschließlich die Symptombekämpfung finanziert wird, Vorsorge ist Privatvergnügen, zuviel davon könnte ja den Absatz an Pharmazeutika verringern…

Wie verhält es sich mit den Medien?

Als ich den Film "Up in the air" gesehen habe, dachte ich mir, dass vielleicht in 20 Jahren, wenn es ein BGE geben sollte, dieser Film als historisch sehr aussagekräftig über die Zustände der heutigen Zeit, der Zeit der großen Finanzkrise und der Auswüchse des 20. Jahrhunderts gesehen wird. Auch wenn ich mir alle möglichen anderen Filme, Serien und Sendungen anschaue und dabei denke, wie anders deren Inhalte wohlmöglich wären, gäbe es ein BGE, dann wird mir immer wieder klar, in was für einen unmenschlichen Welt wir eigentlich leben.

Globale Auswirkungen

Die Gier und Machtbesessenheit von gewissen Politik- und Wirtschaftsakteuren, wird auch ein BGE kaum einschränken. Dennoch stellt sich mir die Frage, inwieweit solche Auswüchse vielleicht aus einem grundsätzlichen Verhältnis zum Mitmenschen und der Umwelt herrühren. Vielleicht geprägt durch individuelle Erfahrungen in der Kindheit mit Familie und Mitschülern, die mit Konkurrenz und Unterdrückung zu tun haben?

Kontraargumente

Sind die Menschen heute nicht schon so frei, dass sie ihre persönliche Weiterentwicklung und Gesundheit selbst in die Hand nehmen können? Welche Konsequenzen hat die Beantwortung dieser Frage bei einem Ja und bei einem Nein?

Es zeigt sich auch immer wieder, dass die Menschen mehr Initiative ergreifen, wenn der Staat sich zurückzieht. Ob das so Allgemein Gültigkeit besitzt, und woran das liegt, bleibt noch zu untersuchen.

Es gibt Beispiele die zeigen, dass BGE ähnliche Geldauszahlungen unerwünschte Wirkung zeigen. In US-amerikanischen Reservaten der indigenen Völker führte es zu vermehrten Alkoholismus und Glücksspielsucht. Auch ein unter Reagan ins Leben gerufenes Programm zur finanziellen Ausstattung von Kindern bis zum 18. Lebensjahr, hatte vor allem den Effekt, dass es eine Geburtenexplosion bildungsferner Schichten nach sich zog, welche rapide zurückging, als es unter Clinton wieder abgeschafft wurde.

Hier zeigt sich, dass ein nicht nur auf Kinder bezogenes BGE nötig ist, damit nicht allein das Kinderkriegen als Anreiz gesehen wird um an Geld zu kommen. Außerdem wird deutlich, wie wichtig die Reform des Bildungssystems ist. Zwar lassen sich diese Erfahrungen nicht 1:1 auf die Idee eines BGE im Allgemeinen übertragen, dennoch sollten diese Erfahrungen in die Überlegungen mit einbezogen werden


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