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Die Angst vor dem Minarett-Verdikt aus Strassburg
Der Bundesrat ist in einer ungemütlichen Lage: Er muss für das Minarettverbot kämpfen, das von Muslimen angefochten wird.
Von Claudia Blumer
Bis zum nächsten Baugesuch dürften Jahre vergehen: Das Minarett der Mahmud Moschee in Zürich.
Bild: Keystone
Das war eine Premiere für die Schweiz: Nachdem die Minarettinitiative im November 2009 vom Volk angenommen worden war, beschwerten sich vier muslimische Vereinigungen beim Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Strassburg.
Als Folge davon machte die Schweiz vor einigen Tagen zum ersten Mal Gebrauch von ihrem Vetorecht am EGMR: Sie will verhindern, dass die zuständige kleine Kammer die beiden Beschwerden an die grosse Kammer abtritt.
Ein Dorn im Auge
Was wie ein formaljuristischer Akt klingt, hat auch inhaltliche Gründe. Denn die in Strassburg hängigen Minarett-Beschwerden sind dem Bundesrat ein Dorn im Auge. Ein Verdikt aus Strassburg, das Minarettverbot sei menschenrechtswidrig und müsse rückgängig gemacht werden, würde die Schweiz unter Druck setzen.
Dass Beschwerdeführer direkt nach Strassburg gelangen, ist nur in Ausnahmefällen möglich. Doch die muslimischen Organisationen (die Muslimische Liga Schweiz, die Stiftung Muslimische Gemeinschaft Genf, die Kulturelle Vereinigung der Muslime in Neuenburg und die Genfer Vereinigung der Muslime) können in Strassburg geltend machen, dass eine Beschwerde in der Schweiz aussichtslos wäre: Zum einen, weil das Bundesgericht nach bisheriger Rechtsprechung keinen Verfassungsartikel umstossen kann; zum andern, weil ein Anwendungsfall fehlt, aufgrund dessen man eine Beschwerde einreichen könnte: ein konkreter Fall, in dem der Bau eines Minaretts verboten wurde. Wenn das Minarett in Langenthal gebaut werden darf, wird es Jahre dauern, bis das nächste Baugesuch eingereicht wird.
Die Schweiz braucht mehr Zeit
Der Bundesrat hat bisher vergeblich versucht, das Unheil eines drohenden Verdikts aus Strassburg zu bannen: Im September 2010 ersuchte er den EGMR, die beiden Beschwerden als unzulässig zu erklären. Nun reichte er das Veto ein gegen die Abtretung der Beschwerden an die grosse Kammer, wodurch die Beschwerden mehr Gewicht bekämen.
Ein Verzicht auf das Veto hätte als Eingeständnis der Schweiz gewertet werden können, dass die Beschwerden schwerwiegend seien, erklärt Falco Galli, Informationschef des Bundesamts für Justiz. Kommt hinzu, dass die Schweiz Zeit braucht, falls sie in der Minarettfrage selber aktiv werden will. Mit der kleinen Kammer als zusätzlicher Instanz bleibt der Schweiz mehr Zeit.
Ohnehin ist die Situation für den Bundesrat höchst ungemütlich: Er hat sich im Abstimmungskampf gegen die Minarettinitiative eingesetzt und muss diese nun auf internationaler Ebene verteidigen. Der Gerichtsschreiber aus Strassburg habe den Erhalt des Veto-Briefs mitgeteilt, sagt Galli. Die Schweiz werde über den weiteren Verlauf des Verfahrens informiert. (baz.ch/Newsnetz)
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