Berlin - Auf den ersten Blick scheint der Fall klar: Der Magdeburger Unternehmer Oleg S. hat eineinhalb Jahre lang Frauen aus ehemaligen Sowjetrepubliken beschäftigt und zahlte ihnen einen Hungerlohn. Er stellte sie auf Minijobbasis ein und brachte sie zu Autobahnraststätten, Autohöfen und einem Schnellrestaurant in Westdeutschland.
Dort lebten sie jeweils 14 Tage lang zu zweit in Wohnwagen, um dann abwechselnd zwölf Stunden lang Toiletten und Duschen zu reinigen. Dafür erhielten die Frauen zwischen 60 und 170 Euro im Monat.
Das Magdeburger Landgericht, das den Unternehmer am Dienstag zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je zehn Euro verurteilte, ließ ausrechnen, dass die Frauen zu Löhnen von maximal 1,79 Euro und minimal unter einem Euro gearbeitet hatten. Zum Zeitpunkt der Beschäftigung zwischen 2004 und 2006 lag der Mindestlohn für Gebäudereiniger aber bei 7,68 Euro.
Solche Fälle gibt es immer wieder. Dieser aber sorgte bundesweit für Aufmerksamkeit, weil nun angeblich erstmals ein Gericht das Zahlen solcher Niedriglöhne als Straftat wertete und nicht wie in vergleichbaren Fällen nur als Ordnungswidrigkeit. Sofort meldete sich sogar der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes und begrüßte die Entscheidung. Auch in Presseberichten entstand der Eindruck, mit dem Magdeburger Urteil habe der Staat einem kriminellen Arbeitgeber mustergültig das Handwerk gelegt. Doch der Eindruck täuscht.
Offenbar haben Behörden den Unternehmer sogar unterstützt: Osmar Christmann, Rechtsanwalt von Oleg S., sagte dem Tagesspiegel am Freitag, dass ihm einige der Mitarbeiterinnen von der örtlichen Agentur für Arbeit vermittelt worden waren. In der Magdeburger Geschäftsstelle war am Freitag niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.
Ganz grundsätzlich haben Staatsanwälte und Richter juristisch kaum eine Handhabe gegen Unternehmer, die Mindestlohnregelungen unterlaufen.
Medien zitierten Richterin Claudia Methling zwar mit dem Satz: "Egal wie man es betrachtet: Ein Stundenlohn von einem Euro ist als sittenwidrig anzusehen." Das mag man moralisch so sehen. Allerdings konnte man Oleg S. juristisch kein "sittenwidriges" Verhalten nachweisen. Es ging nicht einmal um die Frage, ob S. seine Mitarbeiterinnen ausgebeutet hat. Auch Lohnwucher spielte in dem Verfahren keine Rolle. Paragraf 291 des Strafgesetzbuches, der den "Wucher" bestraft, war in der Anklageschrift nicht erwähnt.
Die Richterin verurteilte Oleg S. lediglich, weil er gegen den Paragrafen 266a des Strafgesetzbuches verstoßen hatte, der das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt regelt. Oleg S. soll bei den Sozialkassen einen Schaden von 69 000 Euro verursacht haben, weil er Beiträge zur Sozialversicherung nur aus dem geringeren, tatsächlich gezahlten Lohn, nicht aber auf Basis des Mindestlohns geleistet hatte. Juristisch waren also nicht die Frauen geschädigt, die für einen Hungerlohn geputzt haben, sondern die Sozialkassen.
Der Anwalt argumentiert, dass die Frauen tatsächlich keine zwölf Stunden, sondern "höchstens zwei bis drei Stunden" pro Tag gearbeitet hätten. Der Rest sei Bereitschaft oder gar Freizeit gewesen. Insofern habe sein Mandant Beiträge in korrekter Höhe abgeführt. Unabhängig davon, hätte sein Mandant den Putzservice anders nicht kostendeckend anbieten können, da die Raststätten lediglich rund 3000 Euro im Monat zahlen wollten. Oleg S., der heute selbst von Hartz IV lebt, wird die Strafe wahrscheinlich trotzdem akzeptieren und keine Revision beantragen. "Ich könnte mir vorstellen, dass mein Mandant das weitere Kostenrisiko scheut. Das Verfahren hat ihn mürbe gemacht", sagte sein Anwalt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen